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Im Geiste österreichischer Verfassung

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Der Verfassungsgerichtshof hat in einem Erkenntnis, das am 19. Dezember verkündet wurde, den 67 des Personenstandgesetzes (PStG.), der während der nationalsozialistischen Aera in Oesterreich in Kraft gesetzt wurde, als verfassungswidrig aufgehoben. Der Bundeskanzler wurde verpflichtet, die Aufhebung unverzüglich im Bundesgesetzblatt kundzumachen. Damit ist eine Frage entschieden, die seit der Zweiten Republik sehr umstritten war. Sie wurde als Gewissenszwang empfunden, während die Anhänger der staatlichen Zwangsziviltrauung sie als Schutz der öffentlichen Ordnung priesen.

Worum handelt es sich hier?

Durch den 67 PStG. wurde im Zuge der Einführung der nationalsozialistischen Ehegesetzgebung auch in Oesterreich eine Strafbestimmung wirksam, wonach ein Geistlicher, der, ausgenommen bei Todesgefahr, die religiösen Zeremonien einer Eheschließung vor dem Vollzug der standesamtlichen Trauung vornahm, zu einer Geldoder Haftstrafe verurteilt werden konnte. Es sei hervorgehoben, daß schon im Jahre 1945 Bedenken bestanden, ob dieser Paragraph aber überhaupt noch anwendbar sei angesichts der Tatsache, daß die wieder verlautbarte Bundesverfassung in der Fassung des Jahres 1929 zusammen mit den Artikeln 15 und 16 des Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger sowie der Artikel 63 und 68 des Staatsvertrages von St.-Germain die Glaubensund Gewissensfreiheit und die religiöse Betätigung sowohl den Staatsbürgern als auch den “Religionsgesellschaften garantiert wurde. Die einzige Einschränkung war, daß durch die Art der religiösen Betätigung die öffentliche Ordnung nicht gestört werden durfte. Der verstorbene Bundesminister Gero hat, soweit uns bekannt, diese Bedenken geteilt und das Einvernehmen mit dem Bundesministerium für

Unterricht gesucht. Doch wurde in den ersten Jahren der jungen Republik die Frage auf diesem Wege nicht entschieden. Tatsache aber war, daß nach dem Zusammenbruch der deutschen Herrschaft die Standesämter vielfach zu funktionieren aufhörten und vor allem in den westlichen Bundesländern die Rechtsauffassung vorherrschte, daß die deutsche Ehegesetzgebung überhaupt oder zumindest teilweise in ihrem rechtlichen Weiterbestand zweifelhaft war. Es wurden vielfach kirchliche Trauungen vorgenommen, und zwar in einem solchen Ausmaß, daß schließlich die Staatsregierung sich veranlaßt sah, um wenigstens für diese Trauungen die Rechtsgültigkeit außer Zweifel zu stellen, am 26. Juni 1945 ein Staatsgesetz zu erlassen, worin eine Generalsanierung der nicht von Standesbeamten vorgenommenen Eheschließungen erfolgte. Zugleich wurde gesetzlich festgelegt, daß in Hinkunft die standesamtliche Trauung allein die bürgerlichen Rechtswirkungen nach sich ziehen sollte. Die Formulierung des Gesetzes war zweifelhaft ( 6), ob damit nicht erst recht wieder die Strafsanktion des 67 PStG. eingeführt sei. Manche Autoren vertraten allerdings den Standpunkt, daß die Straffreiheit auch weiterhin für kirchliche Eheschließungen zu gelten habe.

In der Praxis ergaben sich in der Folge größte Schwierigkeiten. Einzelne Gerichte verurteilten Geistliche zu Geld-, ja selbst zu Haftstrafen, während auch Fälle bekannt sind, die mit einem Freispruch des betreffenden Geistlichen endeten, und wieder andere, in denen die Gerichte überhaupt nicht einschritten. Auch der Bundespräsident schaltete sich ein und sprach die Begnadigung eines verurteilten Priesters aus.

Die Rechtsunsicherheit wurde noch dadurch erhöht, daß der Oberste Gerichtshof 1950 sich der Auffassung anschloß, daß der 67 PStG. geltendes Recht sei. Besonders bedauerlich und viel bemerkt war in diesem Zusammenhang, daß

der Oberste Gerichtshof damals einer Erörterung über die Frage, ob die Anwendung des 67 PStG. nicht verfassungswidrig sei, einfach aus dem Wege ging. Dies war um so mehr bedauerlich, als er damit ein Erkenntnis fällte, das der Rechtsunsicherheit weiteren Lauf ließ.

Auf politischer Ebene führte dieser Zustand zu schweren Auseinandersetzungen. Von sozialistischer Seite wurde immer wieder ins Treffen geführt, daß die Zwangszivilehe eine moderne Errungenschaft sei, die mit Nationalsozialismus nichts zu tun hätte, und daß eine kirchliche Trauung vor der standesamtlichen keinerlei Einschränkung der Reli-

gionsausübung bedeute, sondern im Interesse der öffentlichen Ordnung der staatlichen Trauung nachgehen müsse Die Sozialisten verteidigten daher das Recht des Staates, Geistliche, die nach vollem Wissen und Gewissen ihre Amtspflichten erfüllten, zu Geld- oder Haftstrafen verurteilen zu können. Im übrigen sei die Strafsanktion des 67 PStG. überhaupt kein nationalsozialistisches Gesetz gewesen. Sie sei in Deutschland schon im Jahre 1875 eingeführt worden, entspreche daher dem bürgerlich-liberalen Gedankengut, das der linke Koalitionspartner sich nunmehr zu eigen gemacht hatte. So kam es zur merkwürdigen Situation, daß die österreichischen Sozialisten angebliche Errungenschaften, die aus der deutschen Kulturkampfperiode stammten, in Oesterreich seit dem Jahre 1945 als freiheitlichen Fortschritt begrüßten.

Von kirchlicher Seite wurde dem entgegengestellt, daß die Strafsanktion des 67 PStG. eine harte Einschränkung der Glaubens- und Gewissensfreiheit bedeute. Sie besage nichts anderes, als daß die Geistlichen in der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit unter Strafe gestellt würden, wenn sie entsprechend dem Recht und Auftrag der Kirche Trauungen vornähmen, bevor der Staat die standesamtliche Trauung durchgeführt hatte. Dabei ist hervorzuheben, daß für viele Brautpaare, insbesondere für Flüchtlinge aus den Oststaaten, die Beibringung staatlicher Ehefähigkeitszeugnisse oder anderer wesentlicher Dokumente oft ausgeschlossen war. Die Praxis der österreichischen staatlichen Behörden in solchen Fällen war noch strikter als die der katholischen Kirche, die doch gewiß nicht im Verdacht steht, leichtfertig Eheschließungen zuzulassen. Dennoch aber ergab sich immer wieder, daß durch Ersatzdokumente

und andere Beweismittel der ledige Stand der Ehewerber nachweisbar war, die Beweismittel jedoch nicht von den staatlichen Behörden anerkannt wurden, sondern nur von den kirchlichen. Die Auswanderung von Flüchtlingen in eine neue überseeische Heimat hing vielfach von einer vorgängigen Eheschließung ab. Was hier an Gewissensnot, Sorgen und Schwierigkeiten zu überwinden war, wissen nur jene, die mit diesen Problemen immer wieder in Berührung kamen. Aber auch für Oesterreich war es in einer Zeit, da infolge der Zerstörungen Dokumente oft unauffindbar oder überhaupt verloren waren, nicht immer leicht, den staatlichen Anforderungen

nach Beibringung jener Dokumente zu entsprechen, die von den zuständigen Behörden veilangt wurden. Es ist eine paradoxe Tatsache, daß die Ehescheidungen in Oesterreich durch Gerichte nicht selten in der leichtesten Weise ausgesprochen wurden, während der Eingehung der Ehe formal-juristische Hindernisse in den Weg gestellt wurden, die unbegreiflich schienen, weil an Hand von Ersatzdokumenten die Ehefähigkeit nachzuweisen war.

Die Kirche hat auch mit Recht darauf verwiesen, daß der 67 PStG. eine gesetzliche Ungleichheit bedeute, da nur der Geistliche zu bestrafen war, nicht aber das Brautpaar, das. die Ehe schließen wollte. Es sollten nur die religiösen Zeremonien getroffen werden und nur der Geistliche unter Strafe gestellt sein. Es wurde auch darauf hingewiesen, daß man einerseits die kirchliche Eheschließung für völlig unwirksam im Staate erachtete, anderseits sich zur Behauptung verstieg, daß durch ihre Vornahme vor der standesamtlichen Trauung die öffentliche Ordnung geschädigt wurde, daß der Geistliche eine Bestrafung verdiene.

Die österreichischen Rechtslehrer haben fast einmütig die Verfassungswidrigkeit dieser Zwangslage aufgezeigt. Es wurde immer wieder darauf hingewiesen, daß der 67 PStG. mit den Grundsätzen der österreichischen Bundesverfassung in Widerspruch stand. Er stellte eine verfassungswidrige Einschränkung der Religionsfreiheit dar. Die Behauptung, daß es sich hier nicht um nationalsozialistisches Gedankengut handle, wurde damit widerlegt, daß es ja der nationalsozialistische Staat war, der dieses Gedankengut bei uns einführte mit dem deutlichen Zweck, die Tätigkeit der Kirchen und die religiöse Betätigung des einzelnen zu unterbinden. Der Verfassungsgerichtshof hat sich dieser Auf-

fassung wohl nicht angeschlossen. Er hat sich aber durch die Aufhebung des 67 PStG. die Forderung der Rechtslehre voll zu eigen gemacht.

In Hinkunft wird es also nicht mehr möglich sein, Geistliche dafür zu bestrafen, daß sie vor der standesamtlichen Trauung einer kirchlichen Eheschließung assistieren.

Es war eine dankenswerte Tat der Landesregierungen von Tirol und Vorarlberg, durch ihre Anträge auf Ueberprü-fung der Verfassungsmäßigkeit des 67 PStG. beim Verfassungsgerichtshof wesentlich zur Wiederherstellung der österreichischen Rechtsordnung beigetragen zu haben. Das sollte für alle in Betracht kommenden Gerichte und Behörden eine ernste Mahnung sein. Die österreichische Rechtsordnung ist so gestaltet, daß sie die Religionsfreiheit und die Freiheit der Betätigung der Kirchen und Religionsgesellschaften nicht nur deklariert, sondern gesetzlich garantiert.

Das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes stellt die Glaubens- und Gewissensfreiheit in einem sehr wesentlichen Punkte wieder her. Es ist selbstverständlich, daß sich daran nun Konsequenzen knüpfen werden. Es wäre aber verhängnisvoll, wenn das Parlament sich der ihm nun zukommenden Verpflichtung entziehen würde oder sie verzögern wollte. Nach dem kanonischen Recht ist die katholische Kirche verpflichtet, sofern nicht schwere Unzukömmlichkeiten entgegenstehen, die kirchliche Trauung vor der standesamtlichen vorzunehmen. Der kirchlichen Trauung kommt heute in Oesterreich unter Mißachtung nicht nur des Konkordats vom Jahre 193?, sondern der ganzen rechtsgeschichtlichen Tradition unseres bürgerlichen Rechtes keine zivilrechtliche Bedeutung mehr zu. Von kirchlicher Seite, aber auch von namhaften Persönlichkeiten der Oesterreichischen Volkspartei wurde als Lösungsvorschlag die Einführung des Wahlrechtes der Ehewerber gefordert, wonach diejenigen, die in kirchlicher Form ihre Ehe_ schließen wollen, dies auch mit Wirkung für den staatlichen Bereich tun könnten, während andere, die keine religiösen Bindungen haben, die bürgerlichen Rechtswirkungen der Eheschließung durch die Vornahme der Trauung auf dem Standesamt erreichen sollten. Mit anderen Worten: Entscheidung der Ehewerber, ob sie kirchlich oder standesamtlich die Ehe schließen wollen. In beiden Fällen aber die gleiche bürgerliche Rechtswirkung. Diese Lösung muß jetzt gesetzlich verankert werden, damit tatsächlich der Geist österreichischen Rechts in einer wahrhaft fortschrittlichen Weise neuen Ausdruck findet.

Das Wiener Erzbischöfliche Ordinariat hat folgenden von Kapitelvikar Erzbischof Dr. Jachym gezeichneten Erlaß an alle Pfarrämter der Erzdiözese Wien herausgegeben:

„Durch ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes wurde festgestellt, daß 67 des PStG. der österreichischen Verfassung widerspricht und daher seit dem 1. Mai 1945 nicht mehr in Kraft steht (Näheres zu dieser Frage vgl. Weißbuch, S. 33 ff.). Verurteilungen von Priestern wegen der Vornahme rein kirchlicher Trauungen ohne vorausgegangene standesamtliche Heirat sind zu Unrecht geschehen. Dennoch war die Kirche immer dagegen, daß ihre Gläubigen sich ohne ganz besondere Notwendigkeit mit der rein kirchlichen Trauung begnügen. Sie hat von sich aus immer wieder streng darauf gedrungen, daß sie im Gegenteil alles tun, ihren Ehen auch die staatliche Anerkennung und die bürgerlichen Rechtswirkungen zu sichern. Das bedeutet nach der heutigen Gesetzeslage, bis zu einer gerechten Lösung dieser brennenden Frage, daß die Katholiken nach wie vor in der Regel die vorausgehende standesamtliche Trauung auf sich nehmen müssen. Den Priestern bleibt es daher im Sinne dieser Auffassung der Kirche und gemäß früheren Weisungen (vgl. Diözesanblatt 1950, S. 109: Oesterreichische Eheinstruktion 1936, 8/2) verboten, eigenmächtig rein kirchliche Trauungen vorzunehmen. Jeder einzelne Fall ist vielmehr zuvor dem Bischof vorzulegen und dessen Entscheidung abzuwarten.“

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