Paulus, mit Alain Badiou gelesen

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Die Evangelien waren mir immer näher als Paulus. Ihre dramatischen Erzählungen, poetischen Gleichnisse, die kraftvollen Worte und Wunder Jesu: Sie trafen mich stärker als die subtilen Reflexionen des Paulus.

Natürlich kannte und schätze ich dessen Highlights: Das Was kann uns trennen von der Liebe Christi? in Röm 8 oder das Hohelied der Liebe in 1 Kor 13, das die Liebe über die Hoffnung und selbst über den Glauben stellt. Doch obwohl ich wusste, dass Paulus zeitlich vor den Evangelien schrieb, kam er mir irgendwie sekundär vor, zu reflexiv, nicht unmittelbar.

Dann las ich das Paulus-Buch des atheistischen Philosophen Alain Badiou. Seither erscheint mir Paulus in einem neuen Licht. Paulus, so Badiou, nahm ernst, dass der Monotheismus radikal zu Ende gedacht bedeutet: der eine und einzige Gott ist der Gott aller, ganz unabhängig davon, wer sie sind, wo sie sind, was sie sind. Unsere Differenzen verschwinden nicht vor Gott, aber sie sind schlicht unwichtig.

Paulus koppelt diese Einsicht an das unableitbare "Ereignis" überhaupt: die Auferstehung Jesu. Da gilt nicht mehr Jude und Grieche, nicht Sklave und Freier, nicht Mann und Frau, denn ihr seid alle eins in Christus Jesus (Gal 3,28). Aus diesem Ereignis und unserem Bezug zu ihm, so Paulus, werden wir freie Subjekte: frei gegenüber der (griechischen) Einbindung in den Kosmos, frei gegenüber jedem (religiösen oder weltlichem) Gesetz. Weil er sowohl die griechischen wie die jüdischen Ausschließungsmechanismen beseitigt, ist Paulus für Badiou der welthistorisch bedeutsame Begründer des Universalismus.

Theologisch gesagt: Gnade hat einen Zug ins Anarchische. "Jede Partikularität ist eine Anpassung", schreibt Bardiou, "ein Konformismus. Es geht darum, eine Nichtkonformität mit dem, was uns stets anpasst, aufrechtzuerhalten".

Der Autor ist katholischer Pastoraltheologe an der Universität Graz

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