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Der Flüchtlingspapst

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Es bedurfte eines neuen Pontifikats, um uns wieder den Blick freizulegen auf ein Bild des Papsttums, das so ganz anders war als das des letzten Jahrhunderts der Kirche. Der Oberhirte, thronend auf dem Stuhl Petri: das waren sie alle gewesen, soweit das Gedächtnis der noch Lebenden überhaupt zurückzureichen vermag. Die Bauherren, Krieger, Diplomaten der Barockzeit und des Mittelalters bildeten den stummen, zur Historie der prunkvollen Qrabmonumente erstarrten Hintergrund.

Ein Papst, der das Martyrium erleidet, der als Verbrecher hingerichtet und verscharrt wird, ist unserer Vorstellung schon weit entrückt. Die Akten der Blutzeugen sprechen eine harte und jeder Phantasie abholde Sprache. Eine Papstgestalt der frühesten Zeit, Clemens L, der zweite Nachfolger des Apostels selbst, begegnet uns alljährlich zur späten Novemberzeit in den Texten der Liturgie, in den Wechselgesängen des Stundengebets, in der Poesie der Antiphonen zum Morgengebet, die so ehrwürdig und bildstark ist, daß sie auch nach der reformierenden Straff ung der kürzlichen Neuordnung beibehalten wurde. Clemens war der flüchtlingspapst, der Hirte, der seine Herde in die Verbannung nach Rußland, auf die Krim, begleitete, und der selbst dort noch das letzte, persönliche Blutzeugnis leisten mußte. Er starb als Märtyrer, mit dem geheimnisvollen Anker um den Hals, ins Schwarze Meer versenkt. Die Glaubensboten des Ostens, Cyrillus und Methodius, brachten seine Reliquien nach Rom. Die ihm geweihte uralte Kirche, die sich über einem noch älteren Kultraum erhebt, ist die Patenkirche der liturgischen Bewegung geworden. Dort lebt der altchristlich-apostolische Geist in seiner frühen Reinheit weiter. (Das Symbol des Clemens-Tempels schmückte die meisten Werke des großen Pius Parsch aus Klosterneuburg.) Kaum eine Gestalt der ersten Christenzeit ist uns so vertraut wie dieser Papst der Vertriebenen Und Flüchtigen. Er hat ihr Kreuz mit ihnen getragen.

Im Jahre 1215 war es das 4. Laterankonzil, welches den Bischöfen vorschrieb, geeignete Männer zu bestellen, die nach der Verschiedenheit der Riten und Sprachen den Gottesdienst halten, die Sakramente verwalten und in gleicher Weise unterrichten sollten.

Die Tendenz, den Gottesdienst selbst in der Volkssprache zu feiern, ist nicht Originalgut der deutschen Reformation. Schon die Waldenser hatten in ihre Erneuerungsbestrebungen auch die Liturgie einbezogen. In ihrem Turiner Teil verwarfen sie die ganzen kirchlichen Zeremonien, um an deren Stelle den Lesegottesdienst zu setzen. Ihren Spuren folgten später die Hussiten und die Böhmischen Brüder. Auch bei ihnen i trug diese Frage 'zunächst nur den Charakter einer Begleiterscheinung zum Zweck der leichteren Gewinnung der Massen. In der anglikanischen Kirche tat den entscheidenden Schritt die Synode von London im Jahre 1562. In Deutschland hatte Luther sich zunächst nur für eine teilweise Verwendung der Volkssprache in der Liturgie ausgesprochen. Erst nach seinem völligen Bruch mit der Kirche setzte er an die Stelle der Messe die Abendmahlfeier, welche ganz in der Sprache des Volkes begangen werden sollte.

Als zwei Jahrzehnte später das Konzil in Trient zusammentrat, war auch die Stellung der katholischen Theologen durchaus nicht einheitlich. Auch unter ihnen gab es solche, die die Zulassung der Volkssprache in der Liturgie befürworteten.

Es erkannte das Bedürfnis des Volkes nach der Verwendung der Muttersprache an und ließ diese auch zur Erklärung einiger Texte der Messe, der Episteln und Evangelien zu. Doch sollte die lateinische Gottesdienstsprache bleiben, weil diese für eine größere Ehrfurcht vor der Messe bürge, die Feier in der Volkssprache aber die Gefahr mit sich bringe, daß aus den vielen Übersetzungen auch verschiedene Irrtümer entstehen könnten. Daher lehnte das Konzil die Ansicht, daß die Messe nur in der Volkssprache gefeiert werden dürfe, mit aller Entschiedenheit ab.

Durch die Entwicklung der Buchdruckkunst ergab sich auch die Möglichkeit, dem Volk die liturgischen Texte mit Übersetzungen in seine Sprache zugänglich zu machen, sich aber gleichzeitig durch das Imprimatur gegen die Gefahr falscher Übersetzungen und damit das Einschleichen von Irrtümern abzusichern.

Im deutschen Raum waren es vor allem der Benediktinerorden und das Verlagshaus Herder, die sich mit der Herausgabe des Schottschen Meßbuches große Verdienste um die Erschließung der Liturgie für das Volk erwarben. Von hier aus war es nur noch ein kleiner Schritt zur Liturgischen Bewegung, welche von Klosterneuburg ihren Ausgang nahm und heute ermöglicht, daß während der lateinischen Messe der Priester deren Texte in deutscher Sprache teils von einem Vorbeter vorgebetet, teils vom Volk mitgebetet werden können. <• - Damit haben wohl auch die'Argumente, welche für die a u s s c h 1 i e ß-liehe Verwendung der Muttersprache im Gottesdienst früher in die Waagschale geworfen wurden, heute an Wirkkraft bedeutend verloren.

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