Michelangelo: Anmaßung und Demut
Horst Bredekamps monumentale Studie über Michelangelo beschreibt den großen Künstler als Unangepassten, zeitlebens zwischen Verzweiflung und Größenwahn oszillierend.
Horst Bredekamps monumentale Studie über Michelangelo beschreibt den großen Künstler als Unangepassten, zeitlebens zwischen Verzweiflung und Größenwahn oszillierend.
In einer höchst präzisen, mehr als 800 Seiten umfassenden und reich bebilderten Gesamtdarstellung würdigt der an der Berliner Humboldt-Universität tätige Kunsthistoriker Horst Bredekamp den „göttlichen“ Michelangelo.
DIE FURCHE: Bestand eine Ihrer Grundintentionen darin, den mythologischen Dschungel um Michelangelo zu lichten?
Horst Bredekamp: Michelangelo ist von Mythen umgeben und mit Überhöhungen verkapselt. Diese Gestalt der Kunstgeschichte ist nicht entschlackt darzustellen, sondern sie bringt immer so viel Eigenschaften, so viel Qualitäten und Widersprüche mit sich, dass das Gefühl eines Mythos niemals vergehen wird. Der Versuch, zu seiner Person zu dringen, wird vermutlich eigene Mythen schaffen. Dies war mein Versuch, über den gängigen Mustern der Erklärung Alternativen zu bieten, die sich aus einer Gesamtsicht allein ergeben konnten.
DIE FURCHE: Wie sah konkret die Arbeit an der Studie aus?
Bredekamp: Es war eine großartige Zusammenarbeit zwischen der Auswahl der Fotografien, die im Zusammenspiel mit der Bibliotheca Hertziana, dem Kunsthistorischen Institut in Florenz, meinem eigenen Büro und vor allem mit Julie August, der Designerin des Wagenbach Verlags, vollzogen werden konnte. Wir haben buchstäblich Monate über der Gestaltung der Seiten verbracht, um den Lesern zu ersparen, zwischen Bild und Text hinund herzublättern. Das war sehr schwierig, weil man die Bedeutung, die Größe der Abbildung, die sie im Text haben oder aus sich heraus besitzen, in eine Balance bringen will; es hat lange gedauert, um diesen Ausgleich hinzubekommen.
DIE FURCHE: Sie beschreiben Michelangelo als nicht angepassten Künstler, der manche Auftraggeber – darunter den Papst – verstört hat. Welche Motive hatte er dafür?
Bredekamp: Das Bezeichnendste dafür ist die Unfähigkeit oder der Unwille, definierte Aufträge im Verhältnis eins zu eins umzusetzen. Er hat in der Regel in einem Folgeauftrag das, was er in einem vorhergehenden Auftrag nicht leisten konnte oder wollte, umgesetzt. Das berühmteste Beispiel ist das Julius-Grab von 1505/1506, das ihm Papst Julis II. absagte, von 1508 hat er dieses JuliusGrab an die Sixtinische Kapelle gemalt, und so gibt es Verschiebungen, Verschichtungen wie bei Dachziegeln, die übereinanderliegen, die eine eindeutige Rahmenbestimmung gar nicht zulassen.
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