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"1857. Flaubert, Baudelaire, Stifter": Die Liquidierung der Romantik

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Der Literaturwissenschafter Wolfgang Matz beleuchtete in „1857. Flaubert, Baudelaire, Stifter“ den historischen Rahmen, der zeitgleich drei epochale Werke im Vorfeld der Moderne entstehen ließ.

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Der Literaturwissenschafter Wolfgang Matz beleuchtete in „1857. Flaubert, Baudelaire, Stifter“ den historischen Rahmen, der zeitgleich drei epochale Werke im Vorfeld der Moderne entstehen ließ.

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„Sternenweit voneinander entfernt“ sind die Welten jener drei Meisterwerke der Literatur, die jedenfalls eines verbindet – ihr Erscheinungsjahr 1857: Gustave Flauberts Roman „Madame Bovary“, Charles Baudelaires Gedichtzyklus „Les Fleurs du Mal“ und Adalbert Stifters Roman „Der Nachsommer“. Und doch ist die epochale Gleichzeitigkeit dieser Werke mehr denn purer Zufall, wie der deutsche Literaturwissenschafter und Übersetzer Wolfgang Matz in seiner großartigen Analyse „1857. Flaubert, Baudelaire, Stifter“ darlegt. Der Untertitel weist die Richtung: „Die Entdeckung der modernen Literatur“.

Gewiss, die beiden Franzosen galten schon früh als Wegbereiter des modernen Romans beziehungsweise der modernen Lyrik. Aber der Österreicher? Ist sein „Nachsommer“ nicht geradezu die Ausgeburt einer antimodernen, reaktionären Geisteshaltung? Eine umständliche, langatmige Beschwörung des Alten, des hochnotpeinlich Geordneten, der Familie? Nun, alles ist relativ, auch die Interpretation von Literatur. Da gibt es die Lehrmeinung, ein Werk sei einzig aus dem Text zu erklären. Aber ist es nicht doch auch Ausdruck eines bestimmten Individuums in einer bestimmten Zeit? Wolfgang Matz hält nichts von der sogenannten werkimmanenten Deutung. Ein jedes Kunstwerk, so betont er, sei verwoben in das Geflecht von Biografischem und Historischem, Individuellem und Allgemeinem, Wirklichem und Fiktivem. „Jedes Kunstwerk errichtet sein Ästhetisches auf einem Fond des Unästhetischen.“ Und so spürt der Literaturwissenschafter dem Einfluss der „unästhetischen“ Realverfassung auf das von ihm gewählte Autoren-Trio nach.

Neue Perspektiven

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ist eine Ära der Entzauberung, der Technisierung und der Ökonomisierung. Die Zeichen stehen auf Verbürgerlichung, Demokratisierung, auf Nivellierung. Der Künstler, so Matz, verliere damit seinen elitären, privilegierten „Ort“. Vorbei das große feudale Spiel von „Geist, Kunst und Macht“, die neuen Mächtigen verlangten kein künstlerisches Meisterstück, sondern einen „Quadratmeter pikante Mythologie für den Salon und äußerstenfalls eine halbe Stunde unkonzentrierte und unterhaltsame Lektüre vor dem Schlafengehen.“ Eine neue Ästhetik für die – von vielen Künstlern des 19. Jahrhunderts abgelehnte – triviale, moderne Wirklichkeit war vonnöten. Für eine Wirklichkeit, deren Raum und Zeit schrumpfte, die sich aus immer neuen Perspektiven erschloss, etwa als fotografische Momentaufnahme oder als Breitwandfilm, der vor dem Eisenbahnfenster ablief.

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