Flaubert  - © Foto: Getty Images / Universal Images Group / Universal History Archive

Gustave Flaubert: Meister der Entzauberung

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Makellos sollte seine Prosa sein: Vor 200 Jahren, am 12. Dezember 1821, wurde Gustave Flaubert geboren. Mit seiner realistischen Erzählkunst prägte er maßgeblich die Entwicklung des europäischen Romans.

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Makellos sollte seine Prosa sein: Vor 200 Jahren, am 12. Dezember 1821, wurde Gustave Flaubert geboren. Mit seiner realistischen Erzählkunst prägte er maßgeblich die Entwicklung des europäischen Romans.

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Das vollständige Verschwinden des Künstlers in seinem Werk war das Ideal, dem Gustave Flaubert zeitlebens mit heißem Herzen folgte. „Der Autor muss in seinem Werk sein wie Gott im Universum, überall präsent und nirgendwo sichtbar.“ Der dies 30-jährig dekretierte, war am Schreibtisch, oft bis tief in die Nacht hinein, ein Titan an Gewissenhaftigkeit und Akribie. Sieben Jahre verwendete er im Durchschnitt für seine Bücher, vier davon meist nur für Vorarbeiten. „Der Mensch ist nichts, das Werk ist alles!“, hielt er seiner langjährigen Brieffreundin George Sand entgegen, die als Autorin anderen künstlerischen Ansichten folgte.

Ernüchterung ist der Grundtenor von Flauberts Ästhetik. Makellos sollte seine Prosa sein, perfekt in der Wiedergabe der Wirklichkeit ohne Trübung durch Gefühle. Dafür nahm er jede Schwerfälligkeit beim Abfassen in Kauf.

Besonders zähflüssig ging ihm bei seinem Romanerstling „Madame Bovary“ die Schilderung des bürgerlichen Alltags seiner Protagonistin von der Hand, galt es doch, „un sujet terre à terre“ darzustellen, „eiskalt bei der Beschreibung von Leidenschaften und Begebnissen, bei denen gewöhnliche Sterbliche sich erhitzen“, wie Baudelaire den Roman rühmte. Er hielt auch fest: „Der neue Romancier sah sich einer Gesellschaft gegenüber, die absolut verbraucht war, schlimmer noch als verbraucht, abgestumpft und gefräßig, erfüllt nur vom Abscheu vor dem Fiktiven und nur von Liebe zum Besitz.“

Freunde hatten den Verfasser auf die banale Tragödie der Frau des „Officier de Santé“ (Stabsarzt) Eugène Delamare aufmerksam gemacht, der unweit von Flauberts Heimatstadt Rouen als Landarzt praktizierte. Delphine Delamare war aus Langeweile Liebschaften eingegangen, hatte Schulden gemacht und sich schließlich mit Gift das Leben genommen.

Anklage wegen Unsittlichkeit

Mit diesem Stoff im Kopf reiste Flaubert mit seinem Schriftstellerfreund Maxime Du Camp nach Ägypten, und dort, auf einer Nilfahrt, rief er plötzlich freudig aus: „Ich habe es gefunden. Heureka! Ich werde sie Madame Bovary nennen!“ Zu dem Romanprojekt stellte er fest: „Die gewöhnlichen Milieus stoßen mich ab, und weil sie mich abstoßen, habe ich dieses genommen, das erzgewöhnlich und ausdrucksvoll ist.“

Die Schilderungen der beiden Ehebrüche und des Selbstmords der Titelheldin trugen dem Verfasser prompt eine Anklage samt Gerichtsverfahren ein: Die „Sitten in der Provinz“, wie „Madame Bovary“ im Untertitel heißt, wurden im prüden Reich Napoleons III. bis zum Freispruch als unsittlich inkriminiert.

„Monsieur Gustave Flaubert führt die Feder wie andere das Skalpell“, schrieb der Kritikerpapst Sainte-Beuve. Er spielte damit auf die Herkunft des Autors aus einer Arztfamilie an – Gustaves Vater war ein weitum bekannter Chirurg. Der Knabe hatte ihn in seiner Klinik gern heimlich beim Sezieren beobachtet.

Flauberts Leben nachzuzeichnen, das vor 200 Jahren, am 12. Dezember 1821, begonnen und 59 Jahre später, im Mai 1880, plötzlich geendet hatte, war der Ehrgeiz vieler Biografen. Der französische Historiker Michel Winock versucht es mit enorm kenntnisreicher Detailarbeit und einem einnehmenden Erzählstil, und er kommt damit beachtlich weit. Flauberts Lebensgestaltung, seine großen, warmherzigen Freundschaften und seine nicht minder ausgeprägten Feindschaften werden ebenso durchkämmt wie seine Scheu, sich einer Liebe hinzugeben. Seiner langjährigen Geliebten Louise Colet hatte er gestanden: „Das Groteske der Liebe hat mich immer davon abgehalten, mich ihr auszuliefern.“ Als George Sand 1872 dem vereinsamten Fünfzigjährigen eine Heirat anriet, seufzte er: „Das Weibliche hat sich niemals in meine Existenz eingefügt.“

Immerhin hat das Motiv der unmöglichen Liebe bereits seine romantische Monologerzählung „Memoiren eines Irren“ beherrscht, ein reichlich juveniles Frühwerk, das nun in neuer Übersetzung von Elisabeth Edl vorliegt.

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