Vier Theater-Versuche, die Welt zu verstehen

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Nein, freundlich geht es nicht zu, wenn junge Theatermacher darangehen, ein Bild von unserer Gegenwart zu entwerfen. Runterziehen lassen sie sich dennoch nicht, das geben sie uns nachdrücklich zu verstehen in ihren Produktionen, die sich im Rahmen des Young Directors Projects dem Wettbewerb um den seit 2002 von Montblanc gestifteten Preis stellen. 10.000 Euro und ein Montblanc-Füllfederhalter werden vergeben.

Alle legen es darauf an, handfeste Geschichten zu erzählen. Alle sind sichtlich bemüht, den Finger an den Puls der Zeit zu legen und dafür eine Theatersprache zu finden, die aus dem Rahmen des klassischen Repertoiretheaters fällt. Die Ergebnisse sind allesamt bemerkenswert, doch wer sich etwas radikal Anderes erhofft hatte, sah sich enttäuscht. Doch warum auch muss Theater um jeden Preis etwas gezwungen Innovatives aufweisen? Es liegt an der Vorliebe des Schauspielchefs der Salzburger Festspiele, Sven-Eric Bechtolf, dass momentan die großen Geschichten zum Zug kommen und das Augenmerk nicht auf dem interaktiven Theater liegt, das ununterbrochen den Zuschauer ins Spiel holt.

Anarchische Heiterkeit

Dagegen gibt es wahrlich nichts zu sagen. Schauen wir uns nur die britische Truppe "1927“ an, die sich nach dem Jahr nennt, als der erste abendfüllende Tonfilm in die Kinos kam. Sie kommt mit einer wüsten Geschichte von der Unwirtlichkeit der in Gewalt versinkenden Vorstädte. Sie geht zurückhaltend mit dem Stoff um. Ununterbrochen umgibt eine latente Bedrohung die Menschen auf der Bühne. Aber weil ein Realismus nicht vorkommt, der immer dann laut wird, wenn es in der Gesellschaft laut und schrill wird, wenn Einzelne durchdrehen, steigt die Aufmerksamkeit. Bevor es allzu platt wird, kommt die Ästhetik des Stummfilms und eine Verfremdung durch Puppen ins Spiel. Nicht Menschen aus Fleisch und Blut agieren auf der Bühne, wir erfahren von den Figuren gleichsam aus zweiter Hand. Armselig die beherzte Frau, die sich mit ihrer kleinen Tochter ins Zentrum der sozialen Konflikte begibt, um Hilfe zu leisten. Sie ist zum Scheitern verdammt. Bedauernswert der einsame Hausmeister, der seine Münzen spart, um endlich wegzukommen aus der Hölle der Erniedrigung. Er kann nur verlieren. Weil in dieser Welt der Verlierer keiner jemals heil davonkommt. "The Animals and Children Took to the Streets“, ein Stück, das ständig auf Abwechslung zielt. Gut, dass es nie bierernst wird. Die Welt ist trist und hoffnungslos, aber soviel explosive Sprengkraft darf Kunst in sich bergen, dass eine mitunter anarchische Heiterkeit das Elend aufsprengt.

Da geht Mokhallad Rasem aus dem Irak, der jetzt in Belgien lebt, ganz anders vor. Seine "Romeo und Julia“-Version stellt er von allem Anfang an als Katastrophengeschichte auf die Bühne. Drei Paare (eines davon Tänzer!) verschiedener Generation mühen sich in Gasmasken ab, so ist klar gestellt, dass die Welt vergiftet ist. Zerstört sind die Gefühle, weil die Verhältnisse Liebende nicht sein lassen, was sie sein wollen, sondern diese bedrängen, bedrohen, verletzen. Es herrscht Krieg, die Liebe richtet dagegen nichts aus. Ein Traumpaar aus seinem irakischen Dorf stand Rasem Modell für sein Theater. Die beiden galten bis ins hohe Alter als Beispiel für eine große Liebe, und dann wurde ihr Auto gesprengt und die beiden starben einen späten Liebestod.

Jedermann als Untergeher

Es ist kühn, einen "Jedermann“ parallel zur großen Festspielproduktion zu inszenieren. Bastian Kraft stellte seine Version als Zwei-Personen-Stück vor. Ein Schauspieler übernimmt alle tragenden Rollen im Alleingang, eine Rockmusikerin treibt dem Stück sein Pathos aus. Der Knittelvers wird als Teil der Popkultur abgefeiert. Ein Hochgeschwindigkeitssterben findet statt, in dem die Besinnlichkeit als Dröhnspektakel abgefeiert wird. Was nicht zusammenpasst, wird hier ineinander geschnitten. Erschreckend kommt uns dieser Jedermann in seiner Brachialtour des Abtretens von der Welt allemal. Dieser Angst-Jedermann verkörpert die Fassungslosigkeit, vom Tod geholt zu werden in einer Zeit, in der dem Sterben kein Ort zukommt. Krafts Jedermann ist Verdrängungsmeister als Untergeher.

Der tschechische Regisseur Jan Mikuláˇsek rechnet in seiner Bühnenadaption von Luis Buñuels Filmklassiker "Der diskrete Charme der Bourgeoisie“ mit der postkommunistischen Gesellschaft ab. Er führt uns jene Neureichen vor, die sich jede Geschmacklosigkeit leisten können, weil sie sich alles leisten können. Eine Tischgesellschaft entwickelt sich zum Ensemble des Grauens. Es gibt viel Freiraum für die Schauspieler, die sich keinem strengen Konzept unterwerfen, sondern deren Fähigkeit zur Improvisation gefragt ist. Ein wüstes Stück als Spiegel einer wüsten Gesellschaft.

Die Bekanntgabe des Preisträgers fand erst nach Redaktionsschluss, am Mittwoch, dem 21. August, statt.

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