Wenn Gott in der Luft hängen bleibt

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Die gegenwärtige Gesellschaft ist durch Pluralismus bei den Gottes- und den Menschenbildern geprägt. Richtige Optionen sind nicht einfach zu finden.

Fragt man nach den gegenwärtigen Gottes- und Menschenbildern sind zwei Aspekte zu unterscheiden: Das eine sind die Gottes- und Menschenbilder der heutigen Gesellschaft, über die im öffentlichen Diskurs gesprochen wird. Das andere sind die empirisch vorfindbaren, pluralen Gottes- und Menschenbilder in der Gesellschaft, die wir soziologisch beschreiben können.

Gottesbilder der Gesellschaft

Das auffälligste Gottesbild lautet: „Gott“ ist Privatsache. Wir leben in Europa in einer säkularen Gesellschaft mit verbriefter Religionsfreiheit. Dennoch gibt es Debatten um den öffentlichen Stellenwert Gottes – Gott in die Verfassung, Kopftuch, Kreuz im Kindergarten …

Einerseits sichert ein solches „privates“ Gottesbild das Individuelle und vor allem die Freiheit, eine persönliche Beziehung zu Gott aufzunehmen oder abzulehnen. Diese Freiheit ist Bedingung der Möglichkeit für religiösen Pluralismus. Sie sichert also – soziologisch wie theologisch – die Freiheit des Einzelnen.

Andererseits droht „Gott“ damit eine Entpolitisierung. Gott ist für die Liebe, fürs Soziale, für Heil und Glück von Individuen und Familien zuständig, sodann für Individualmoral und Werte. Aber darf ein „privater“ Gott auch politisch für Gerechtigkeit sorgen – oder gar die Wurzeln für Ungerechtigkeit benennen?

Bei den sozialethischen und politischen Dimensionen des Gottesbildes wird es schwierig, sie gehören nicht zu den öffentlichen Leitbildern der Gegenwart. Denn die Rede vom „politischen“ Gott ist heikel. Erst recht in Österreich mit seiner Vergangenheit des politischen Katholizismus.

Nach biblischem Befund ist der Verzicht auf sozialethische und politische Gottesrede und Praxis aber keine Option. Wie kann man daher 2008 – im Angesicht von Religionsfreiheit und der unhintergehbaren Notwendigkeit, Religion und Politik institutionell zu trennen – von einem politischen Gott sprechen und politisch handeln?

Meine Prognose lautet, dass die politischen Seiten im Gottesbild wieder stärker ins öffentliche Bewusstsein treten: Diskussionen um Biopolitik, Wirtschafts-, Familien-, Sozialpolitik, Armutsbekämpfung etc. werden wichtiger. Wer heute einer Evangelisierung das Wort redet, muss auch diese Seite wieder stärken. Das wird Konflikte nach sich ziehen – auch zwischen den Religionen sowie zwischen Säkularismus, Atheismus und Religion. Das Gottesbild wird öffentlich neu verhandelt werden müssen.

Gottesbilder in der Gesellschaft

Die Jugendwertestudie 2006 hat ergeben, dass „Gott in der Luft hängt“: Zwei Drittel der Jugendlichen stimmen der Aussage zu: Gott liebt alle Menschen – wenn es ihn gibt. Und das Religionsbarometer 2008 der Bertelsmann-Stiftung resümierte: Der Gottesglaube ist familial, natural und sozial formatiert. Anders gesagt: Gott ist zuständig fürs persönliche und familiäre Lebensglück, für die Frage (partieller) Solidarität und lässt sich in der Natur erfahren.

Andererseits ist Gott – so die Jugendwertestudie – für zwei Drittel im Alltag kaum erkennbar. Gott ist kognitiver Bestandteil einer religiösen Weltanschauung – mit unklaren praktischen Folgen. 25 Prozent der österreichischen Jugendlichen sind religiös im Sinne einer Praxis: Das Gottesbild verbindet sich mit Gebet, Riten, aber nicht mit politischem Handeln. Auch soziales Handeln wird nicht primär religiös argumentiert. Das heißt, Religion ist in erster Linie keine Lebensform mit Tiefendimension, sondern Weltdeutung. Gott wird als Energie, letzter Grund, Welterschaffer, Grund für Naturgesetze oder für moralisches Handeln erfahren. Dieses Gottesbild ist nicht Leitmotiv für politisches Handeln.

Menschenbilder der Gesellschaft

Es gibt Menschenbilder, die durchs konkrete Handeln in Strukturen (Politik, Ökonomie, Wissenschaft) „erzeugt“ werden: Welches Menschenbild wird durchs gegenwärtige Finanzsystem gefördert? Welches Menschenbild drückt sich aus in der Art, wie die Finanzkrise politisch beantwortet wird? Oder: Wer macht in Politik, Wissenschaft, Wirtschaft Karriere? Welches Verhalten wird belohnt – mit Geld, mit Anerkennung, mit Status, mit Macht? Welches Verhalten wird tabuisiert, unsichtbar gemacht von Medien und warum?

Der Diskurs um die Menschenrechte zeigt, dass diese die normative Grundlage globaler Gesellschaft des 21. Jahrhunderts darstellen, das universell anerkannte Wertesystem der Gegenwart. Herausragend dabei ist, dass die Menschenrechte für jeden Einzelnen gelten und verbrieftes Recht sind. Der Mensch hat Würde – nicht aufgrund von sozialer Zugehörigkeit (Status, Stand, Geschlecht, Nation …), sondern weil er Mensch ist. Die Menschenrechte sind die wichtigste ethische und politische Legitimationsgrundlage des modernen Verfassungsstaats und der Völkerrechts-Gemeinschaft des 21. Jahrhunderts.

Dem entgegen verändert die Rede vom Menschen als „Humanressource“, „Humankapital“ etc. das Menschenbild zugunsten einer instrumentellen Logik, scheidet Menschen in jene, die nützlich sind, und jene, die das nicht sind. Man kann das an der Sozialstaatsdebatte sehen, die im Zeichen von Almosen statt von Recht steht. Dazu kommt die prekäre Lebenssituation von immer mehr Menschen – auch gut ausgebildeten –, die sich hinter Bezeichnungen verbirgt wie „neue Selbständige“, „geringfügig Beschäftigte“, „Projektarbeiter“ usw. Diese „Nichts Fixes“-Lage verstärkt unsichereres Lebensgefühl und hat Einfluss auf das Solidarverhalten, führt in die „Angstgesellschaft“, fördert neue Abhängigkeiten und Machtverhältnisse.

Der Mensch kann sich auf nichts verlassen und kann jederzeit aus dem Sozialgefüge fallen. Warum schweigen hier Christen und die Kirche? Und warum werden jene, die nicht schweigen, kaum wahrgenommen?

Die Autorin leitet das Institut für Praktische Theologie an der Kath.-Theol. Fakultät Wien.

Gekürzter Auszug des Vortrags, den die Autorin beim Ordenstag 2008 in Wien gehalten hat.

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