Die Götter sind gefährlich

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Heidentum ist in die Gesellschaft eingedrungen. Der jüdisch-christliche Monotheismus gilt als intolerant. Aber: Heidentum und Menschenrechte sind unvereinbar!

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Heidentum ist in die Gesellschaft eingedrungen. Der jüdisch-christliche Monotheismus gilt als intolerant. Aber: Heidentum und Menschenrechte sind unvereinbar!

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In den letzten Jahren wurde das Vertrauen in die Kraft des Glaubens an den Einen Gott erschüttert: Die These vom bekömmlichen Polytheismus kam auf, der unverdauliche Monotheismus wurde mit Fundamentalismus und Totalitarismus identifiziert (nicht zuletzt mit Hinweisen auf die Intoleranz von monotheistischen Welt- und Glaubensverständnissen), die Erfahrungen der Kirchenfrustration taten ein übriges. Die kirchliche Debatte um Inkulturation und die feministische Theologie förderten den Einzug bunter Götter und Göttinnen in die vertraute Glaubenswelt, befruchteten christliche Spiritualität, drängten aber die Frage nach den unverzichtbaren Zügen des christlichen Gottes oft in den Hintergrund.

Analogien zum Heidentum, nicht aber die Unterschiede, standen zur Diskussion. Der uralte Gegensatz zwischen Heidentum und der jüdisch-christlicher Tradition wurde banalisiert; die Frage nach einem gemeinsamen normativen Horizont des menschlichen Zusammenlebens verschwand aus dem Zentrum der Aufmerksamkeit.

Der Esoterikboom und die Selbstverständlichkeit des "anything goes" in Sachen Religion haben den Trend verstärkt. Ein über die Medien vermittelter Pluralismus von Religionen und Kulturen schafft ein neues Lebensideal. Bastelmentalität steht dem modern gestylten Leben Pate. Konsequent durchdacht, bedeutet dies aber nichts anderes als die Radikalisierung heidnischer Denklogik: Was für mich in dieser Situation "Gott" ist, das bestimme ich selber und kein anderer! Hand in Hand mit diesem Bekenntnis geht das Vertrauen, daß Polytheismus, Pluralismus und Toleranz austauschbar sind. Sind sie es aber wirklich? Solange Gott, Fango-Bad und Vitaminpräparate im kulturellen Bewußtsein problemlos nebeneinander gereiht werden, scheint die Rechnung jedenfalls aufzugehen.

Rechtsradikalismus Nur im Kontext der Konfrontation mit den "braunen Göttern" findet der bekömmliche Polytheismus seine Grenze: Die destruktiven Erscheinungsbilder des Rechtsradikalismus passen ja nicht in das Schema der Toleranz! Deswegen werden sie von der Öffentlichkeit aus dem pluralistischen Himmel verstoßen. Jeder darf sich zwar seine Götter wählen, gewalttätig und rechtsradikal dürfen sie allerdings nicht sein.

Und warum eigentlich? Weil sie die religiöse Problematik tabuisiert, tut sich die Öffentlichkeit mit der Begründung immer schwerer. Ein Rückgriff auf Argumentationsketten, die solche Phänomene als "ewiggestrig" qualifizieren, hilft heute kaum. Der einfache Hinweis auf rational nicht nachvollziehbare mythische Vorstellungen in der rechtsradikalen Weltanschauung, auf Geheimnisvolles und Rituelles in den rechtsradikalen Kulten und auf die Tatsache der führerorientierten Sozialisation Jugendlicher in Gruppen, verliert seine Kraft angesichts der Allgegenwart von mythischen Denkmustern im Alltag, des Hungers nach Mysterium und Riten, schlußendlich auch des zunehmenden Bedürfnisses nach überschaubaren und stabilen Gruppenbindungen.

Reicht dann die humanistische Tradition um die Ächtung zu rechtfertigen? Die Öffentlichkeit verkündet zwar pausenlos humanistische Werte als normativ, der Mensch auf der Straße macht allerdings ständig die Erfahrung, daß sich "der Stärkere" durchsetzt. Warum soll er da nicht von der Erfahrung her folgern, daß sich der Stärkere auch durchsetzen soll? Solche Rückschlüsse strukturieren ja ständig die Logik des "gesunden Menschenverstandes" und dies nicht nur bei den Heranwachsenden.

Gesteht man ein, sich der Faszination dieser Logik nicht immer entziehen zu können, so wird man den Boden für die Botschaft der braun gefärbten Götter nicht nur bei den anderen suchen und finden: Wie alle Götter des Polytheismus sind auch die braunen bloß Verlängerungen partikulärer Zwecke und Interessen!

Und wie steht es mit der "humanistischen Tradition"? Schließt man sich der Meinung an, daß wir bereits in einem radikal neuheidnischen Zeitalter leben, so wird die Berufung auf "humanistische Tradition" mit der Zeit auch bloß zum Ausdruck partikulärer Interessen degradieren müssen. Die durch das global village erreichten universalen Dimensionen der Auseinandersetzung und die fortschreitende Infragestellung des Personenbegriffes durch die naturwissenschaftliche Forschung verschärfen das Problem zusätzlich.

Wirft man die Frage des Heidentums in diesem Kontext auf, so verliert der Polytheismus seine Bekömmlichkeit und offenbart das ihm (und nicht bloß den rechtsradikalen Kulten) innewohnende Gewaltpotential. Aus diesen Gründen muß sich die Öffentlichkeit dem Problem des religiösen Ursprungs ihrer "humanistischen Werte" im monotheistischen Glaubensbild stellen. Dies umso mehr, als die Theoretiker der "Neuen Heiden" seit Jahren selber das Problem durchschaut haben und klare Vorentscheidungen treffen, indem sie die jüdisch-christliche Tradition verwerfen.

Bibel und Humanität Nur der biblische Schöpfungsglaube stellt ja den Einen Gott dem gesamten Universum gegenüber und glaubt an eine unmittelbare Beziehung Gottes zu jedem einzelnen Menschen. Dadurch zeichnet er für die Vision der einen Menschheit und auch für die Vorstellung dessen, was der Mensch sei, verantwortlich. Beides wird der Verfügungsgewalt der Menschen entzogen, beides aber dem Menschen als Glaube aufgegeben. Mit diesem Glauben werden die Grundannahmen des Heidentums gebrochen. Der Gott, zu dem der jüdisch-christliche Monotheismus durchstößt, kann zwar immer noch als Verlängerung menschlicher Zwecke und Interessen verstanden und damit auch mißbraucht werden (und er wurde auch mißbraucht), er ist aber mit diesen nicht identisch! Mehr noch. Er kann diese sogar durchkreuzen, und auf diese Weise dem bedrohten oder verlorengegangenen Glauben an seine Beziehung zu jedem Menschen (damit auch an dessen Würde) zur Glaubwürdigkeit verhelfen.

Auf dieses Faktum haben ja die zahlreichen Propheten immer wieder hingewiesen, und sie haben dies mit ihrem prophetischen (Leidens-)Geschick bezeugt. Der Weg, auf dem Israel es verstanden hat, was es denn heißt, daß der Eine Gott der ganzen Menschheit gegenübersteht und er sich auch einem jeden Menschen zuwendet, verdichtet sich im Geschick des Gottesknechtes. Die Texte schildern die Erfahrungen der gewaltsamen Ausgrenzung und Verfolgung des Knechtes im Namen eines Gottes, der nur die Verlängerung partikulärer Interessen der Verfolger sei (per analogiam könnte man da durchaus die Erfahrungswelt der braunen Göttern wiederfinden).

Sie erzählen auch vom Geschick des Verfolgten, von seinem Glauben an den Einen Schöpfergott und seiner sich aus diesem Glauben ableitenden Hoffnung einer universalen - auch seinen Gegnern geltenden - Gerechtigkeit. Letzlich reden sie auch von seinem "stellvertretenden Handeln", das den heidnischen Glauben seiner Gegner transformiert.

Ein gemeinsamer Gott Erst durch all die widersprüchlichen Aspekte hindurch stoßen die Betroffenen auf den allen Beteiligten gemeinsamen Gott. Der im Schöpfungsglauben grundgelegte Monotheismus bewährt sich auf diese Weise in der geschichtlichen Erfahrung. Dieser Geschichte des Volkes Israel, deren Aufbrüchen und Sackgassen, verdankt die Menschheit die Erfahrung des Einen sich der menschlichen Manipulation entziehenden Gottes. Sie verdankt ihr aber auch den Glauben, an den Einen sich frei (und keineswegs launenhaft) mit dem leidenden Menschen solidarisierenden Gott.

Und sie verdankt ihr auch die Erkenntnis vom Preis, den die Menschen, die von diesem Gott fasziniert sind, für ihren Glauben zahlen. Kulturgeschichtlich einzigartig bildete dieser Monotheismus den entscheidenden Impuls für die moderne Vorstellung der Gleichheit und der Gleichwertigkeit allen menschlichen Lebens und deren Folgen in der Kultur der Menschenrechte.

Der für unsere Rechtskultur fundamentale Gleichheitssatz ist implizit demnach ein Weltbild, das mit den heidnischen Weltkonstruktionen zuerst unvereinbar ist. Solange unsere liberale Kultur von dieser religiösen Tradition zehren konnte, war ihr das religiöse Problem der Menschenrechte nicht bewußt. Die brennende Frage lautet: Was wird aus unseren Strategien zur normativen Fortschreibung des Gleichheitssatzes, wenn der religiös motivierte Einsatz ausbleibt? Heidentum und universale Menschenrechte zusammen denken zu wollen, gleicht einer Quadratur des Kreises.

Es ist die höchste Zeit, daß sich mindestens die Kirchen der Botschaft des biblischen Monotheismus neu öffnen. Dann werden sie der liberalen Kultur wiederum zum "Salz der Erde" werden.

Der Autor ist Professor für Dogmatik und lehrt an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck.

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