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An der großen Wende in Indien

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Bedeuten die großen politischen Veränderungen, die gegenwärtig in Indien sich vollziehen, auch die restlose Absage a n die geistigen Kräfte des Abendlandes und werden die Ereignisse auch das Schicksal der katholischen Mission und des Christentums in Indien beeinflussen? Es ist eine Frage von geschichtlicher Bedeutung, die jetzt gestellt ist.

I. A. Dubois, ein französischer Missionär, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Südindien wirkte, sprach damals das pessimistische Urteil aus: „In welchem Lichte auch immer die christliche Religion dem Volke Indiens geboten werden mag, die Zeit der Bekehrungen ist vorbei und unter den herrschenden Umständen besteht nicht die geringste Aussicht, sie wieder zurückrufen zu können.“ Dubois klagt über den Abfall von Hunderttausenden von Christen, die noch vor einem Jahrhundert von den Jesuiten Beseki und de Nobili dem Christentum gewonnen worden waren, und sagt: „Die Inder fanden heraus, daß diese Missionäre nichts anderes als verkappte Feringhi (Europäer) waren und daß ihre Herkunft, ihre Religion und Erziehung dieselbe seien wie die der verruchten und verachteten Feringhi. Seit der Zeit wurden keine Bekehrungen mehr erzielt und je mehr die Gewohnheiten der Europäer unter den Indern bekannt wurden, um so allgemeiner wurde der Abfall der Christen und desto mehr wurde das Christentum selbst ein Gegenstand der Verachtung und des Abscheus.“

Was Dubois vor mehr als hundert Jahren über die Abneigung der Hindus gegenüber dem Christentum und die Aussichten der europäischen Mission in Indien schrieb, besteht auch heute noch, wenn auch mit gewissen Einschränkungen, zu Recht, und was er vorausgesagt hat, ist eingetroffen: trotz der unermüdlichen Arbeit der Missionäre ist heute kaum mehr als ein Prozent der indischen Bevölkerung katholisch. Nicht anders sind die Erfolge der protestantischen Missionen. Die meisten Neuchristen gehören den Kastenlosen an, den Ausgestoßenen, von denen aus niemals eine geistige Durchströmung Indiens ausgehen kann. Ein hochgebildeter Brahmane sprach die Überzeugung aller gebildeten Hindus aus, als er mir sagte: „Ich bin ein Gegner der christlichen Mission, weil ich glaube, daß alle Religionen gleich gut sind und daß daher ein Religionswechsel überflüssig ist. Ich bin aber auch gegen die Missionäre, weil sie Vorkämpfer und Stützen des fremden Imperialismus sind.“

Im tiefsten Grunde steht der Ausbreitung des Christentums in Indien als Hindernis das festverwurzelte Gedankensystem des Hinduismus gegenüber, das Dogmen grundsätzlich ablehnt. Ghandi, die höchste Autorität unter den Hindus, sagte einmal: „Nach langer Beobachtung habe ich gefunden, daß der Hinduismus die toleranteste Religion ist, die ich kenne. Seine Ablehnung von Dogmen finde ich sehr anziehend, weil er dadurch seinen Anhängern weitesten Spielraum läßt." — Diese Relativierung der Wahrheit, die Vernebelung der Grenzen zwischen Wahr und Falsch ist das größte

Hindernis, auf das immer wiederum in Indien die Ausbreitung des Christentums stößt.

Verschärft wurden bisher diese Widerstände smn der Politik her, jjurch das Mißtrauen. das in den Missionären eben auch Angehörige der Fremdmächte erblickt. Der Präsident der Hindupartei (Hindu Masabha), M. D. Savarkar, urteilte einmal über die christlichen Bekenntnisse: „Wenn der Baum nach seinen Früchten zu beurteilen ist, dann muß das Christentum nach den Kulturwerten von Europa und Amerika, wo dieser Glaube in seinem ganzen Glanze erstrahlt,

beurteilt werden. Aber dieser Glanz riecht in erstickender Weise nach Kanonenpulver und Blitzkrieg."

Die fremdenfeindlichen Strömungen des politischen Unabhängigkeitskampfes, manche berechtigte persönliche Kritiken werfen auf die Beziehungen zwischen Hinduismus und Christentum ihre Schatten und der Lebenswandel mancher Euopäer, die Greuel zweier Weltkriege führen eben zu Anklagen gegen die Religion, die ihre Anhänger von solchen Irrungen nicht abzuhalten vermöge. Viele von den Indern, die sich europäische Bildung angeeignet haben, sind Atheisten geworden und stehen dem Christentum ebenso fern wie die orthodoxen Hindus.

Die Stimmung der Hindus gegenüber dem Christentum zeigt sich am deutlichsten in den Fürstenstaaten, die vielfach noch automatisch regiert werden. In diesen ist der Raja noch im Besitze aller Rechte, selbst jenes, die Religion seinerUnter- tarien zu bestimmen. Er wird sich in den meisten Fällen hüten, die religiösen Gefühle seiner mohammedanischen Untertanen zu verletzen, denn die Moslems sind in allen diesen Staaten eine Macht, mit der der Fürst rechnen muß. Aber gegenüber einer so geringen Minorität wie der christlichen wird die in ganz Indien offiziell proklamierte Freiheit der Religion und des Gewissens oft nicht gewahrt.

Einige Erlässe indischer Staatsregierungen gegen „unbefugten" Religionswechsel geben hievon ein beredtes Zeugnis. Der „Konversionsakt des Staates Udaipur vom Jahre 1946" führt wörtlich aus:

„Es hat die Aufmerksamkeit der Regierung von Udaipur erregt, daß eine erhebliche Anzahl von Eingeborenen ihrecReligion unter dem Einfluß trügerischer Personen und durch Verlockung gewechselt hat. Die Regierung hat Gründe, anzunehmen, daß in einer großen Anzahl von Fällen die einfältigen und arglosen Eingeborenen ihre Religion gewechselt haben, ohne si h der wirklichen Folgen einer solchen Konversion bewußt zu werden, und daß solche Konversionen eine Atmosphäre schaffen, die den öffentlichen Frieden stören könnte.

Um den öffentlichen Frieden zu wahren und um die Eingeborenen vor solcher Übervorteilung zu schützen, ist es wünschenswert, für alle Zeiten solche unautorisierte Konversionen zu kontrollieren. Es wurde daher für richtig gehalten, folgende Richtlinien zu erlassen:

Eine Person, die ihre Religion zu ändern wünscht, muß an den dazu beauftragten Beamten ein Gesuch in vorgeschriebener Form richten und darin ihre Absicht kundtun, ihre Religion wechseln zu wollen. Der beauftragte Beamte wird die Umstände des Falles untersuchen und wird dem Bittsteller, wenn er sich von dessen einwandfreier Absicht überzeugt hat, in der vorgeschriebenen Form eine schriftliche Erlaubnis zum Religionswechsel ausstellen. Der Beamte wird über alle solchen Gesuche ein Register führen und seine Entscheidungen darin eintragen.

Falls ein Staatsangehöriger seine Religion gegen den Wortlaut des Gesetzes wechselt oder zu einer solchen Bekehrung Vorschub leistet, kann er für jedes der beiden Vergehen mit Gefängnis bis zu einem Jahr und zu einer Geldstrafe bis zu tausend Rupien oder zu beiden Strafen gleichzeitig verurteüt werden."

In dem Gesuch um Bewilligung eines Religionswechsels muß angegeben werden, warum der Bittsteller seine Religion ändern will, wer ihn dazu veranlaßt hat, wer die Zeremonien des Religionswechsels vornehmen wird, sowie wann und wo dieselben stattfinden sollen.

In den Staaten Raigarh, Surguja und Patna wurden ähnliche Bestimmun gen erlassen. Letzterer Staat ordnete über dies noch an, daß Minderjährige unter 21 Jahren ihre Religion nicht wechseln dürfen. Wechseln die Eltern Minderjähriger die Religion, so wird ihnen die Obhut über ihre Kinder entzogen. Wer die Verhältnisse in den Eingeborenenstaaten kennt, weiß, daß nur wenige es wagen werden, solch ein Gesuch um Erlaubnis zu einem Religionswechsel an die Behörden zu richten. Die getroffenen Anordnungen hängen damit zusammen, daß im Bistum Ranchi, zu dem die genannten Staaten gehören, in den letzten hundert Jahren fast 300.000 Einwohner katholisch und etwa halb so viele protestantisch geworden sind. In vielen Rajpu- t'anastaaten wTrd keinem Missionär die Aufenthaltsbewilligung erteilt und die Verkündigung der christlichen Religion ist streng untersagt. Hin und wieder wünscht der Raja eines Staates Missionäre oder Schwestern für eine Schule oder ein Krankenhaus, aber immer wird die Bedingung beigefügt, daß keine Glaubensverbreitung stattfinden dürfe.

In fast allen indischen Staaten Bestehen Gesetze, die den Ausländern den Erwerb von Grundeigentum verbieten. Auf diese Weise kann es Missionären unmöglich gemacht werden, eine Station zu erbauen. Zudem ist für den Bau einer jeden Kirche oder Schule die Erlaubnis der Regierung einzuholen. Besonders zugespitzt sind diese Bestimmungen im südindischen Staate T r a- vancore, in dem 1946 ein Gesetz erlassen wurde, das den Bau einer Kirche verbietet, wenn im Umkreis von einer englischen Meile ein Tempel, eine Moschee oder eine andere Kirche besteht. Überdies muß in dem Orte, wo eine Kirche errichtet werden soll, die Mehrheit der Bevölkerung der betreffenden Religion angehören, und es müssen sich hi ihr wenigstens hundert Familien bekennen. Dieses Gesetz trat mit Rückwirkung bis zum Jahre 1898 in Kraft. Da die Christen dort vielfach verstreut unter der übrigen Bevölkerung leben, ist es praktisch nicht nur unmöglich neue Kirchen zu errichten, sondern es werden auch viele Kirchen geschlossen werden, die bis 1898 gebaut wurden, also zu einem Zeitpunkt, da das Gesetz noch gar nicht bestand. Mit der strikten Anwendung dieser Bestimmungen ist bei der im Staate Tra- vancore herrschenden Tendenz zu rechnen.

Es muß jedoch festgestellt werden, daß solche Bestimmungen nicht in allen Fürstenstaaten bestehen. In Mysore und Haidarabad gibt es Hindernisse dieser Art nicht. Aber auch dort hängt die Freiheit der Glaubensverkündigung und der Religionsausübung lediglich vom guten Willen des jeweiligen Herrschers ab.

Der Nichtkenner indischer Verhältnise mag sich wundern, daß unter britischer Oberherrschaft solche Bestimmungen stattfinden konnten, selbst in Fürstenstaaten, die von dem Willen der britischen Macht stark abhängig waren. Diese Politik entsprach der außerordentlichen Vorsicht der englischen Verwaltung, die in einem Lande heftiger religiöser Erregbarkeit, Unduldsamkeit und Befehdung, wie es Indien ist, die Anschauungen der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung schonen und gewaltsamen Konflikten von vornherein den Boden entziehen wollte. In der Tat hätten die Missionen von einer Protektion durch die britische Herrschaft kaum einen wirklichen Vorteil gehabt. Es war ihr Los, sich selbst mit Opfern durchzukämpfen. Jene Politik der englischen Verwaltung ging gelegentlich freilich so weit, daß Anordnungen, die dem Geiste der von Königin Viktoria auch für Indien proklamierten Religionsfreiheit empfindlich widersprachen, selbst seitens englischer Beamten ergingen; so 1935 zum Beispiel die Regulationen der Politischen Abteilung, die für Udaipur erfolgten, für diesen Fürstenstaat, der während der Minderjährigkeit des Rajas von ?inem englischen Funktionär verwaltet wurde und in dem unter den Oraons eine starke Übertrittsbewegung zum Christentum, ausgehend von Nachbarstaaten und Jashpur, Platz gegriffen hatte.

Die Situation, die für die katholische Mission bei dem Eintritt in das neue Indien gegeben ist, hat, übersieht man das Gesamtbild, mit den großen Schwierigkeiten zu rechnen, die sich aus der allgemeinen geistigen Disposition des Hinduismus, der Verschlossenheit seiner oberen Kasten, ererbten politischen Vorurteilen und auch aktiven politischen Widerständen und Feindseligkeiten ergeben. Wenn die Lage dauernd so bleiben würde, so müßte man A. I. Dubois recht geben und sagen, daß die Zeit der Gewinnung Indiens für das Christentum endgültig vorbei ist. Aber es heißt nicht wider

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