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Christliche Caritas in der Rassenverfolgung

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Das Schreiben der Debrecziner Israelitischen Kultusgemeinde an Bundeskanzler Figl, das den Österreichern Dank bezeugt für die in Wien während der Hitlerherrschaft an Juden gewährte Hilfe, kann nur deswegen auffallen, weil bisher so wenig über die zahllosen stillen Liebeswerke gesprochen und gesc'-yieben worden ist, mit denen Christen ihr Erbarmen den unglücklichen Opfern nazistischen Rassenwahns bekundeten. Da waren christliche Hausgehilfinnen, die ihren jüdischen Dienstgebern bei der Vertreibung aus ihren Wohnungen in Armut und elende Löcher folgten und trotz Hohn und Spott sie nicht verließen, bis diese Treuen von ihren Dienstgebern bei deren Abtransport nach Galizien getrennt wurden. Und da waren andere Helfer, die aus ihren eigenen bescheidenen Rationen hungernden Verfolgten beistanden, andere wiederum, die Flüchtlinge auf verbotenen Wegen über die Grenze führten oder neugeborene jüdische Kinder als „Findelkinder“ in Anstalten unterbrachten, um sie vor dem sicheren Tode auf den Transporten nach Polen zu retten. Die sogenannten „U-Boote“, mehrere hundert jüdische Menschen, die in Wien jahrelang im Verborgenen lebten und leben konnten, obwohl sie keine Lebensmittelkarten besaßen, verdanken die Erhaltung ihres Lebens gutherzigen Menschen, die ihnen im Geheimen Unterhalt und oft auch Unterstand gaben. Das alles geschah aus privater Initiative und unter größter Gefahr, denn jeder dieser Mildtätigen verfiel bei seiner Entdeckung der Gestapo.

Aber es bestand auch eine eigene Organisation, die sich planmäßig während der ganzen Dauer der Hitlerherrschaft der Erleichterung des erbarmungswürdigen Loses vieler Juden widmete. Es war dies die von der Erzdiözese Wien errichtete „Zentralstelle für nichtarische Katholiken“, die zuerst Pater Bichlmai er S. J. und nach dessen strafweiser Verbannung Pater Born S. J. leitete. Diese Aktion galt zunächst getauften Juden und Mischlingen, aber auch manch anderer hat sie angerufen und fand um der Liebe Christi willen durch sie Rettung. Es war ein ganz großes Werk der christlichen Caritas. Bis zum Ausbruch des Krieges und in den ersten nächstfolgenden Monaten bemühte sich diese Zentralstelle möglichst vielen Bedrohten die Ausreise zu verschaffen, die nur mit Uberwindung vieler Schikanen und Hindernisse, für viele überhaupt nicht ohne diese Hilfe zu erreichen war. Kardinal Dr. I n n i t z e r Hatte sich bereits in den ersten Monaten der Hitler-Herrschaft an sechs ausländische Kardinäle gewandt, mit der Bitte, in ihren Staaten österreichischen auswandernden Juden ihre Hilfe angedeihen zu lassen. Die von der Aktion besorgten Affidavits lauteten zumeist auf Holland, von wo viele Flüchtlinge dann nach Brasilien oder den Vereinigten Staaten weiterbefördert wurden. Als durch die Ausdehnung des Krieges und die immer härter werdenden Rassengesetze die Auswanderung schließlich gänzlich unmöglich wurde, unternahm die Zentralstelle für die schwerbedrängten zurückbleibenden Juden, die nur verkürzte Lebensmittelrationen zugewiesen erhielten, geheime Sammlungen von Geld, Kleidern, Lebensmitteln, Medikamenten. Das war die Aktion „K“, bezeichnet mit dem Anfangsbuchstaben einer der tatkräftigsten Mitarbeiterinnen der Zentralstelle, der Gräfin Emanuela Kielmannsegg. Kardinal Innitzer spendete für die Zwecke der Aktion monatlich 3000 Reichsmark. Im Jahre 1944, als schon schwere Leberismittelknappheit herrschte, gelang es der Aktion dennoch, den Juden in den Konzentrations-lagern, von denen viele durch Hunger dem Tode nahegebracht wurden, Nahrungsmittelpakete zu senden. In die Lager von Theresienstadt und Auschwitz gingen 1944 bis Kriegsende über 7000 Lebensmittelpakete. In Theresienstadt hatte die Zentralstelle unter den dortigen Juden eigene Agenten, die sie immer auf dem laufenden hielten. Als 1944 Massen ungarischer Juden nach Österreich geschleppt wurden, griff zu ihrer Hilfe die Zentralstelle ein. An den Erfolg erinnert das Schreiben aus Debreczin.

Die Unterstützung der Juden während ihrer Verfolgung, trotz der schwersten Bedrohung der Helfer, stellt einen der Abschnitte in dem zähen, heldenmütigen Kampf dar, den christliche Menschlichkeit und unbeugsames Rechtsbewußtsein gegen die blutige nazistische Gewaltherrschaft geführt haben. Die tapferen Samariter haben bis zum heutigen Tage darüber geschwiegen. Ihnen ist es nicht um den Dank der Menschen zu tun. Aber w i r müssen reden, weil wir immer noch von so manchen im Auslande die Rolle des österreichischen Volkes verkannt sehen.

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