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Es ist Zeit!

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Die neue Pest durchseucht Stadt und Land und dringt über unsere Grenzen hinaus — schon sehen sich deutsche Städte genötigt, außerordentliche Abwehrmaßregeln zu ergreifen. Der Stadtrat von Passau hat verfügt, daß allen auf städtischem Grund befindlichen Zeitungsständen, die fortfahren, pornographische Druck-Erzeugnisse zu verschleißen, der Mietvertrag zu kündigen ist. In München geht man mit energischen behördlichen Säuberungsmaßnahmen vor. Der Stadtrat der großen rheinischen Industriestadt Gelsenkirchen droht allen Zeitschriftenhändlern die Strafanzeige von Amts wegen an, falls sie den Verkauf von Schmutzschriften nicht einstellen. Achtzig Prozent der Produkte, gegen die diese Verfügungen von Stadtverwaltungen, in denen sich Katholiken und Sozialisten in die Verantwortung teilen, gerichtet werden, sind österreichischenUrsprungs. Es ist Zeit. Zündet Feuer an! Reinigt die Luft! Denn keine Grenzen kennt diese Pest mehr. Ein Exzeß schlimmster Art war dieser Tage die sensationslüsterne Verunglimpfung einer großen französischen Künstlerin, die selbst durch ihren tragischen Tod nicht vor den schmutzigen Fingern von Skribenten des pornographischen Schandgewerbes geschützt wurde. Beschämt mußte man als Österreicher feststellen, wie berechtigt die Unwillenskundgebung eines bewährten Freundes unseres Landes, des Hochkommissars General Bcthouart, war, und daß der Chef des französischen Centre de Documentation einer in Wien erscheinenden „Animierpresse“, die selbst im Bereiche edelster Kunst die Opfer ihrer schmutzigen Anschläge sucht, entgegenrufen konnte: „Nein, meine Herren, das ist nicht Ihr Jagdgebiet, bleiben Sie bei der Unterwelt, bei Stundenhotels und Spelunken, dort ist für Sie Sensationsstoff genug vorhanden — Hände weg vom Tod, Hände weg von der Kunst, und wenn cs noch kein Gesetz gibt, das die durch Jahrzehnte mutigen Ringens erkämpfte Freiheit der Presse eben an der Grenze aufhören läßt, die Presse von Journaille trennt, so zwingt uns doch ein höheres Gesetz, dem verantwortlichen Herausgeber den Ausdruck unserer Verachtung mitzuteilen.“

Dem Österreicher aber bleibt mehr zu tun übrig. Wenn wir unsere Selbstachtung bewahren wollen, muß mit Erzeugnissen Schluß gemacht werden, die sich das Vorrecht der Pressefreiheit nur erschlichen haben und die Fortsetzung ihres anrüchigen "Gewerbes unter diesem Schutzschild nur der Gedankenlosigkeit oder einer unerlaubten Nachsicht verdanken. „Presse“, „Zeitung“ ist Dienst an der Gemeinschaft, sei es im bescheidensten oder im höchsten Rang, Nachricht, Meinung, Dienst am freien Wort und am Geiste; Pornographie ist Zubehör zum lizenzierten, polizeilich kontrollierten Schandgewerbe. Hier scheiden

nder wesensfremde Kategorien. Wenn die Gesetzgeber, di.e einst das Palladium der Pressefreiheit in den Verfassungen aufrichteten, auf eine unzweideutige Definition dieses großen Privilegiums des Zeitungswesens verzichteten, so deshalb, weil sie es damals noch gegen Einschleicher durch die Strafgesetze ausreichend geschützt glauben konnten. Die Entwicklung des Verkehrs und des Zeitungsvertriebswesens hat diese Schutzmaßregeln illusorisch gemacht. Noch die österreichische Strafnovelle vom 20. Dezember 1929, BGBl. Nr. 440, meinte mit dem Art. VI das Übel zu treffen:

„Wer wissentlich eine Schrift, Abbildung oder andere Darstellung, die unzüchtig oder doch geeignet ist, das Geschlechtsgefühl der Jugend zu überreizen oder irrezuleiten, einer Person unter 16 Jahren gegen Entgelt anbietet oder überläßt oder, wenn auch ohne Entgelt, auf solche Weise ausstellt, anschlägt oder sonst verbreitet, daß dadurch der anstößige Inhalt auch einem größeren Kreise von Personen unter 16 Jahren zugänglich wird, wird, sofern sich darin nicht eine schwerer verpönte strafbare Handlung darstellt, vom Gericht wegen Übertretung mit einfachem oder strengem Arrest bis zu drei Monaten bestraft."

Das Leben ist über die Buchstaben des Gesetzes längst hinweggeschritten. Wann hat man schon gehört, daß von Amts wegen oder privat der Klageweg gegen Erscheinungen, die das Gesetz deutlich genug als strafbar charakterisierte, beschritten worden wäre! Das Gesetz versagt daran, daß jede Klage nur für den Einzelfall, für eine oder mehrere Nummern wirksam ist; sie vermag das Übel nicht an der Wurzel zu fassen. Bis die Klage, allenfalls die Konfiskation, erfolgen kann, ist das Produkt längst verkauft. Das Geschäft ist so lukrativ, daß es die Ris- ken einer Strafverfolgung verträgt. D i e nüchterne Wirklichkeit zeigt, daß die bestehenden gesetzlichen Vorkehrungen restlos Vf r sag t haben. Wehrlos steht die Gemeinschaft Unternehmungen gegenüber, die aus dem Raubbau an der physischen und sittlichen Volksgesundheit Gewinn beziehen. Auf einer der mutigen Salzburger Abwehrveranstaltungen mußte festgestellt werden: „Wenn 41 Prozent aller Geschlechtskranken noch nicht 20 Jahre alt sind und zehn Prozent von ihnen unter 14 Jahren, dann sind dies Alarmzeichen, die den Kampf gegen die Volksseuche zu einer Lebensfrage für das österreichische Volk machen.“ Wir haben Vorschriften zum Schutz der Gesundheit von Arbeitern und Angestellten in allen Betrieben, Maßregeln von größter Strenge, wo der Mensch von Staubentwicklung, Gasen, Bleivergiftung bedroht werden kann. Nur gegen einen Betrieb, der sich das Vorrecht der Pressefreiheit angemaßt hat, ist der Mensch vogelfrei.

Durch das ganze Volk geht das stürmische Verlangen nach dem Einschreiten der

Gesetzgeber. Die würdevolle Kundgebung des Fürsterzbischofs Dr. Rohracher ist ein Mahnwort von tiefster Eindringlichkeit an die staatlichen Autoritäten. Unsere Demokratie wird in diesem Punkte eine sehr ernste Erprobung zu bestehen haben.

Man könnte der Demokratie keinen größeren Abbruch tun, als wenn man sie an einem Versäumnis schuldig werden ließe, durch das die Sorge um die Volkswohlfahrt in Frage gestellt würde. Hier geht es um keine Parteisache. Die Abwehrbewegung vereinigt denn auch Angehörige aller politischen Bekenntnisse. Warum schweigt bisher das Parlament? Wie das Unterrichtsministerium feststellt, ist der Gesetzentwurf, der unter dem Titel „gegen Schund und Schmutz“ Vorkehrungen zu treffen bestimmt und schon vor einem halben Jahr den Landesregierungen, Landesschulräten und Fachkörpe

worden war, noch nicht vor allen befragten Stellen beantwortet worden. Es erfolgten verfassungsrechtliche Einwendungen, Fragen der Zuständigkeit, föderalistische Einwendungen gegen eine einheitliche, zentrale Ordnung. Der Gesetzentwurf wird eine Neuformung erfahren müssen.

Ein kostspieliger Boden, auf dem hier verfassungsrechtliche Gegensätzlichkeiten ausgetragen werden! Brüder, was nützt uns der Disput um Föderalismus und Zentralismus, wenn inzwischen die Kinder unseres Volkes an der Seuche zugrunde gehen? Wenn aber schon die Länder mit Berufung auf die Verfassung ihre Zuständigkeit in der Kontrolle des Film- und des Theaterwesens geltend machen, so sollte die Auseinandersetzung darüber kein Hindernis für die Erledigung des dringlichsten Erfordernisses, das Einschreiten gegen die Bordellpresse sein. Es war überhaupt von Anfang an die Frage, ob mit einem e i n-

h e i 11 i c h e n Gesetz Materien von so verschiedener Erscheinung und Wesenheit, wie Druck-Erzeugnis, Film, Theater und öffentliche Vorführung geordnet werden sollen.

Man stelle zunächst auf dem Gebiete des v o 1 k s s c h ä d 1 i c h e n Druck-Erzeugnisses, das sich das Privilegium der Pressefreiheit angemaßt hat, die gebührende Ordnung durch ein selbständiges Gesetz her und überlasse die für Laufbild, Schallträger und Aufführungen notwendigen Normen eigenen Gesetzgebungsakten. Bei so 1c h er Trennung wird man den verfassungsrechtlichen Ansprüchen der Länder leichter gerecht werden, als mit einem Sammelgesetz, das sehr unterschiedliche Sachlagen in eine Form zu pressen sucht.

Wird die Entschlossenheit des G

s gegen die Sumpfpresse sichtbar, so werden selbst ohne Gesetz die andern sich vor seinem strengen Willen zu hüten beginnen.

Mit Genugtuung ist festzustelleri, daß in der Stellungnahme zum Problem die Parteiunterschiede zurücktreten. Wie schon in diesen Blättern vermerkt wurde, haben in der Generalversammlung des österreichischen Verbandes der Fach- und Zeitschriftenpresse Angehörige aller Parteien sich zu einem einstimmigen Votum für das Gesetz zur Bekämpfung von Schund und Schmutz geeinigt. Nach einer Meldung des ÖVP- Pressedienstes beschäftigte sich die Wiener Arbeiterkammer in den letzten Tagen mit dem Gesetzentwurf und erklärte sich im wesentlichen mit dem Entwurf einverstanden. Auch die A r b e i t e r k a m- mern der Bundesländer haben bereits ihre positive Stellungnahme zum Entwurf des Unterrichtsministeriums bezogen.

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