Globart - © Foto: Stift Melk, Philipp Nicolai Krummhübler (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger)

Globart-Intendant Jakob Brossmann: "Die Kunst selbst ist die Antwort"

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2022 hat der Filmemacher und Bühnenbildner Jakob Brossmann die Globart-Intendanz von Heidemarie Dobner übernommen. Im FURCHE-Interview spricht er über das neue Selbstverständnis des Vereins, seinen künstlerischen Blick auf Transformationen – und den Umstand, dass wir angesichts der Klimakatastrophe alle Anfänger:innen sind.

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2022 hat der Filmemacher und Bühnenbildner Jakob Brossmann die Globart-Intendanz von Heidemarie Dobner übernommen. Im FURCHE-Interview spricht er über das neue Selbstverständnis des Vereins, seinen künstlerischen Blick auf Transformationen – und den Umstand, dass wir angesichts der Klimakatastrophe alle Anfänger:innen sind.

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Globart wurde 1997 als „Denkwerkstatt für Zukunftsfragen“ gegründet. Im Vorjahr haben Sie die Intendanz übernommen – und verstehen Globart nunmehr als „Verein für diskursive Praxis“. Warum diese Transformation?
Jakob Brossmann: Weil die multiplen Krisen, die wir jetzt erleben – allen voran die Klimakatastrophe und das Artensterben – keine Zukunftsfragen mehr sind, sondern längst Fragen unserer Gegenwart. Wir haben nur mehr bis zum Jahr 2030 Zeit, um unsere Emissionen drastisch zu reduzieren. Deshalb braucht es jetzt, hier und heute eine radikale Änderung. Gleichzeitig erleben wir, dass uns mitten in dieser schwierigen Situation die gemeinsame Gesprächsbasis wegbricht und es kaum die nötige Tragfähigkeit für notwendige Schritte gibt. Wir können das aber nur gemeinsam schaffen. Und das ist es auch, was wir bei Globart versuchen.

Sie haben sich als Künstler intensiv mit gesellschaftspolitischen Fragen auseinandergesetzt – etwa im mehrfach ausgezeichneten Dokumentarfilm „Lampedusa im Winter“ mit dem Thema Flucht. Wieviel Kunst braucht die gesellschaftliche Transformation?
Brossmann: Ich glaube, dass die Kunst wichtige Aspekte mitbringt – und es deshalb wichtig ist, dass sie einen Raum, einen Platz am Tisch hat. Das eine ist ihr großer Mut und ihre Lust am Experimentieren, am immer neu Anfangen. Künstler:innen sind professionelle Anfänger:innen, sie sitzen immer wieder vor dem weißen Blatt, der weißen Leinwand, sie gehen immer wieder neu auf die existenziellen Fragen zu. Das Zweite ist die Vorstellungskraft, die in der Kunst geübt und gelebt wird: Es ist ja für jede Transformation wesentlich, sich andere Lebensrealitäten und Lebensweisen vorzustellen – sowohl im Negativen, bei der Dystopie, wie auch im Positiven, bei utopischen Entwürfen. Vieles, was früher in künstlerischen Kreisen entwickelt und gelebt wurde, ist heute zum Glück gesellschaftliche Realität: vom Verhältnis der Geschlechter zueinander über das moderne Körperbewusstsein bis zum selbstbestimmen Leben.

Drittens geht es um die zentrale Frage: „Was ist das gute Leben?“. Hier ist die Kunst nicht nur ein Vehikel, sondern selbst die Antwort. Gerade bei der ökologischen Transformation geht darum, Erfüllung zu finden und dabei nicht das Lebensglück von Menschen, die noch gar nicht geboren sind, zu beschädigen. Hier kann die Kunst eine wichtige Antwort sein: Ein Leben voll Kunst, Gesang, Tanz, Engagement und Diskussion ist ein gelungenes Leben, das nicht Katastrophe und Zerstörung produziert.

Sie betonen auch das spielerische Element. Die jährliche Globart-Academy wird sich in ein Festival transformieren, ebenso kommen auch Spiele zum Einsatz: etwa das Weltklimaspiel. Wie passt das Spielerische zur nahenden Klimakatastrophe?
Brossmann: Angst lähmt. Wenn hingegen Freude und Begeisterung mit im Spiel sind und die Vorstellungskraft wächst, dann geht es voran. Das beobachten wir, und wir merken es auch selbst in unserer Arbeit. Auch bei unserem dokumentarischen Theater-Projekt „Gemeinschaftskernkraftwerk“ im AKW Zwentendorf hat sich das gezeigt: Wir haben darin die Geschichte des geplanten AKW und der Widerstandsbewegung thematisiert und dabei erlebt, wie sich Menschen durch einen spielerischen Zugang plötzlich auf einer anderen Ebene mit sehr schwierigen, komplexen und auch wirklich beängstigenden Fragen auseinandersetzen.

Neben dem diskursiven und spielerischen Element wollen Sie auch die niederschwellige Begegnung weiter stärken, ebenso die Begegnung der Generationen. Tatsächlich schwindet aber, wie schon angesprochen, die tragfähige gemeinsame Gesprächsbasis. Die Polarisierung nimmt zu, ebenso verschärft sich die politische Kultur – bis hin zur Verachtung des Anderen.
Brossmann: Wir sehen die politischen Entwicklungen voll Sorge. Ich bin der festen Überzeugung, dass man nur aus der Vielfalt und ihrer Anerkennung heraus Lösungen entwickeln kann. Das verordnete Vereinheitlichen führt in die Katastrophe, das hat die Geschichte gezeigt. Vielfalt war schon immer da, ob das sprachliche und kulturelle Vielfalt ist oder verschiedene Blickwinkel von Menschen unterschiedlicher Weltanschauung oder Generationen. Deshalb haben wir bei Globart auch seit vielen Jahren ein Stipendienprogramm, wo Menschen zwischen 18 und 30 Jahren aus dem ganzen deutschsprachigen Raum zusammenkommen und Projekte entwickeln. Wir arbeiten auch oft mit Schulen.

Ich denke jedenfalls, dass es möglich ist, trotz aller Unterschiede breite Allianzen zu entwickeln – das hat die Geschichte der österreichischen Zivilgesellschaft gezeigt. Und dass man auch immer neu anfangen kann und muss. Deshalb haben wir die diesjährigen Tage des Transformation auch unter das Motto „Anfängerinnen“ gestellt. Gerade angesichts der Klimakatastrophe sind wir ja alle blutige Anfängerinnen: Wir wissen nicht, ob wir das schaffen können – aber wir müssen trotzdem weiterkämpfen. Wenn die Vorkämpferinnen des Frauenwahlrechts nicht daran geglaubt hätten, dass sie ihr Ziel erreichen können, hätten wir dieses Grundrecht bis heute nicht.

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