Judentum - © Foto: picturedesk.com / dpa / Patrick Pleul

Ich verstehe Antisemiten nicht

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Laut der jüngsten Studie „Antisemitismus in Österreich“ hegt bis zu ein Drittel aller Österreicher(innen) judenfeindliche Vorstellungen. Was kann man dagegen tun? Ein Gastkommentar.

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Laut der jüngsten Studie „Antisemitismus in Österreich“ hegt bis zu ein Drittel aller Österreicher(innen) judenfeindliche Vorstellungen. Was kann man dagegen tun? Ein Gastkommentar.

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Ich verstehe Antisemiten nicht. Das mag wie eine Binsenweisheit klingen, insbesondere aus dem Mund eines Juden. Mir geht es aber gar nicht darum, zu sagen, dass ich antisemitische Haltungen nicht gutheiße. Das wäre in der Tat absurd. Nein, ich verstehe Antisemiten schon rein intellektuell nicht. Die Motive eines Steuerhinterziehers, Erpressers oder gar Raubmörders kann ich nachvollziehen, auch wenn ich ihre Taten natürlich aufs Tiefste verabscheue. Aber für die Ablehnung von Juden, weil sie Juden sind, fehlt mir jedes Verständnis. Denn was unterscheidet uns Juden von der übrigen Gesellschaft? Dass einige von uns koscher essen, dürfte den meisten Menschen egal sein, es regt sich ja auch niemand über Leute auf, die Rosenkohl oder Fisch verschmähen. Auch der regelmäßige oder gelegentliche Besuch der Synagoge kann in einer immer säkulareren Welt wohl kaum der Grund sein. Und selbst wenn jemand so intolerant ist, fremdländisch aussehende Menschen abzulehnen, lässt sich dieses abstoßende Verhalten nicht zur Begründung des Antisemitismus heranziehen, denn Juden sind äußerlich nicht von ihren Landsleuten zu unterscheiden.

Wahnvorstellungen

Noch unverständlicher aber bleibt mir, wie sich irgendjemand der Wahnvorstellung anhängen kann, die Juden beherrschten die Medien, die Geschäftswelt, die Politik und so weiter. Es gibt weltweit gerade einmal 15 Millionen Juden bei einer Erdbevölkerung von acht Milliarden. In Österreich stellen sie nicht mehr als 0,2 Prozent der Bevölkerung, in den USA, die immer wieder als Beispiel für den angeblich übermäßigen jüdischen Einfluss angeführt werden, ist die Zahl zwar deutlich höher, aber auch hier stehen zwei Prozent Juden 98 Prozent Nichtjuden gegenüber. Wie um Himmels willen soll eine so verschwindend kleine Gruppe einen so großen Einfluss ausüben? Ich würde annehmen, derartig absurde Behauptungen widerlegten sich selbst.

Und dennoch muss ich zur Kenntnis nehmen, dass sie es offenbar nicht tun. Der jüngsten, vom österreichischen Parlament in Auftrag gegebenen Studie „Antisemitismus in Österreich“ zufolge hegt jeder dritte bis fünfte Österreicher antisemitische Vorstellungen. 36 Prozent stimmen der Aussage zu, die Juden beherrschten die internationale Geschäftswelt, immerhin 30 Prozent beklagen eine übermäßige Macht der Juden in der internationalen Presse und Politik, und selbst in Österreich hätten Juden einen zu großen Einfluss, glauben knapp 20 Prozent. Das macht mich sprachlos. Wie kann man so einen Unsinn glauben? Und was kann man angesichts solcher absurden Annahmen eigentlich wirklich gegen Antisemitismus tun?

Allerdings offenbart die Studie zumindest auch zwei Gründe für Optimismus: Erstens sind diese Zahlen rückläufig. 1986, auf dem Höhepunkt der „Waldheim-Affäre“, waren immerhin zwei Drittel aller Österreicher der Ansicht, die Juden beherrschten die internationale Geschäftswelt. Und zweitens sind antisemitische Ansichten unter Menschen ohne Matura deutlich verbreiteter. Bildung scheint folglich zu helfen.

Wirklich beruhigen können mich beide Erkenntnisse nicht. Der Rückgang antisemitischer Haltungen ist erfreulich, aber auch die heutigen Zahlen sind noch erschreckend hoch. Und auch die Bildung ist kein Allheilmittel. Vor allem ist sie kein Mittel, auf dessen schnelle Wirkung wir setzen könnten. Bildung braucht Zeit. Wenn die Politik heute beispielsweise beschließt, der Information über das Dritte Reich und den Holocaust einen größeren Platz in der schulischen Stundentafel einzuräumen, ist das begrüßenswert. Die positiven Effekte werden sich aber erst Jahre später einstellen.

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