6606679-1954_23_05.jpg
Digital In Arbeit

Hindemith, Orff und die Jugend

Werbung
Werbung
Werbung

Während der Zweiten Linzer Kulturtagung von 24. bis 27. Mat haben die Komponisten Paul Hindemith und Carl Orjf Teile ihrer Schulmusikwerke vor- geführt und erläutert.

Wer das Musikleben unserer Zeit aufmerksam beobachtet, wird sich immer wieder Gedanken machen über das Verhältnis zwischen schaffendem Künstler und Publikum, über die Entfremdung zwischen den zeitgenössischen Komponisten und der breiten Masse der Hörer. Einer der Wege zur Ueberbrückung dieser Kluft wurde bereits vor mehr als zwanzig Jahren erkannt. Er führt über die Jugend. Hand in Hand damit ging die Erkenntnis, daß die Grundlage einer neuen Musikkultur nicht ausschließlich das „Musik hören“, also die Hörerziehung sein kann, sondern immer mehr im „Musik machen“ zu suchen sein wird. An die Bestrebungen der deutschen Jugendmusikbewegung anknüpfend, schuf einer der größten zeitgenössischen Komponisten ein umfangreiches Schulwerk des Instrumentalzusammenspiels, das mit zweistimmigen Melodien beginnt und zu kleinen konzertanten Formen für Soloinstrument und Begleitorchester führt. Der zweite Teil des betreffenden Opus umfaßt Lieder für Singkreise, die bewußt auf der alten Polyphonie basieren, deren lebendige Quellen der gregorianische Choral und das Volkslied sind. Resultat dieser Bemühungen ist jenes Werk, das unter dem Titel „P 1 ö n e r M u s i k t a g“ bekannt wurde und seine Entstehung einem „Zufall“ verdankt. Nach einem Konzert in Kiel wurde Paul Hindemith von Studenten der Jugendmusikschule im holsteinischen Plön eingeladen, sich ihr Musizieren anzuhören. Von dem gesunden Musikgeist beeindruckt, der dort regierte, erbot sich der Komponist, speziell für die Plöner eine Reihe von Musikstücken zu schreiben, die an einem einzigen Tag mit den bescheidenen zur Verfügung stehenden

Mitteln aufgeführt werden könnten. Das Fest fand im Juni 1932 statt, und Hindemith berichtet darüber:

„Ich war mit einigen meiner Schüler von Berlin gekommen, und nach einem sehr begeisterten und eindrucksvollen Empfang wurden wir alle geschäftig. Musik klang aus allen Ecken und Enden der Schulhöfe, das Orchester übte im Garten, der Chor sang in den Feldern und im Wald. Ich war damit beschäftigt, Neues zu komponieren und gewisse Aenderungen an dem vorzunehmen, was bereits fertig war Die jüngsten Schüler konnten noch keine Noten lesen und waren sehr traurig, daß sie nicht mitwirken durften. Das einzige Instrument, das sie vielleicht spielen konnten, war die kleine Schulblock- flöte in C. Es blieb nichts anderes übrig, als sie diese spielen zu lassen — und so schrieb ich für sie ein Trio im Eröffnungsmarsch der Kantate. So verbrachten wir die beiden ersten Tage mit Ueben. Das Fest fand am dritten Tage statt.“

Einer mittelalterlicl n deutschen Sitte folgend, wurde um sieben Uhr in der Früh eine dreisätzige Musik vom Turm geblasen, am Vormittag probte man die Kantate auf einen Text aus „Musica teutsch“ voji Agri- cola, die das Hauptwerk bildete, aber auch das Mitagessen wurde durch Musik verschönt, denn Hindemith hatte — gleichfalls einem alten Brauch folgend — eine Tafelmusik für Flöte, Klarinette (oder Trompete) und Streicher geschrieben. Die Abendmusik schloß mit einem Quodlibet, das die besten Melodien vereinigte. „Alle Teilnehmer waren zwar erschöpft, aber doch voll Freude über das gute Gelingen, und vor allem glücklich über den Ansporn und die Befriedigung, die das schöne Zusammenarbeiten jedem von ihnen vermittelt hatte.“ Nicht unerwähnt darf die Ueberraschung bleiben, die der Komponist seinen jungen Freunden mit der „Kantate“ bereitete: nachdem nämlich die drei Chöre gesungen waren, zeigte es sich am Schluß, daß man sie auch gleichzeitig exekutieren konnte. Damit hatte Hindemith eines jener artistischen Schelmenstücke zum besten gegeben, wie es jederzeit große Meister im Vollbesitz ihres Handwerks übten. — In der Tat ist viel Anregung von diesem Plöner Musiktag und den Stücken, die bald im Druck erschienen, ausgegangen. Bedenkt man, daß diese Gelegenheitsarbeit zwischen dem „Philharmonischen Konzert“ und der Oper „Mathis der Maler“ steht, so wird man die Bedeutung und den Wert ermessen, der diesem Werk für die Jugend zukommt.

Vor kurzem hat Hindemith einen neuen

Versuch zur Aktivierung seiner Hörer unternommen: In dem „Gesangan dieHaff- nung“ auf einen Text Paul Claudels wird nämlich das Auditorium, durch einen Blechbtäserchor unterstützt, zum Mitsingen des Refrains in den letzten beiden Chören aufgefordert. Denn man könne doch, wie der Komponist bei einet Aufführung sagte, sich nicht die Hoffnung einfach vorführen lassen, sondern müsse sich selbst tätig zu ihr bekennen Wer es einmal erlebt hat, wie Hindemith einem jugendlichen Auditorium seine Musik erklärt und vorführt — ganz und gar nicht „gottbegnadeter Künstler“, der sich herabläßt, sondern gutgelaunt-nachsichtiger und witziger primus musicus —, der hat mehr vom Wesen der neuen Musik erfahren als durch das Studium zahlreicher Theoriebücher und Partituren. Der weiß auch, daß dies die Musik einer kommenden Generation ist.

Zur selben Zeit, als Hindemith seine Jugendmusikwerke schrieb, war der gleichaltrige Bayer Carl O r f f an der Dorothea- Günther-Schule für Laientanz als Leiter der Abteilung für tänzerische Musikerziehung tätig. Aus der für die Zwecke der Schule ge schaffenen Gebrauchsmusik wuchs allmählich, etwa seit 1930, das Orffsche Musikschul- w e r k heraus. Auch Orff postuliert, wie Hindemith, die Selbsttätigkeit des Kindes. Aber diese beginnt bei ihm nicht in der Musik-, sondern in der Spielstunde. „Man soll“, schrieb Orff schon 1932, „nicht an die Musik herangehen, die Musik soll sich einstellen. Das Wichtigste ist, das Kind aus sich selbst heraus spielen zu lassen und alles Störende fernzuhalten; Wort und Ton müssen zugleich aus dem rhythmischen Spiel improvisatorisch entstehen.“ Das Schwergewicht liegt also auf der rhythmischen Erziehung, deren Mängel, ja deren Fehlen Orff während seiner Korrepetitorentätigkeit an mehreren Bühnen zuvor kennengelernt hatte. Für seine Zwecke ließ sich Orff von dem Münchener Cembalobauer Karl Mändler ein eigenes Instrumentarium konstruieren, das aus Metall- und Holzxylophonen, Stein- und Stabspielen sowie aus Schlagwerken aller Art, wie Trommeln, Becken und Pauken, Kastagnetten und Tamburins, besteht. Als Melodieinstrumente werden fast ausschließlich Block flöten verwendet, die Melodiebildung ist durch die Pentatonik bestimmt. Der Klang dieses Orchesters sowie die charakteristischen Orffschen Ostinatorhythmen erinnern an südostasiatische Gamelanorchester. Doch darf auch die zweite Wurzel dieses „Musizierens“ nicht übersehen werden:Volksliedund

Volkstanz des bayrischen Stammes.

Diese Elemente bestimmen auch Orffs Bühnenwerke, deren Texte (vom spätmittelalterlichen Latein und Mittelhochdeutsch über das klassische Latein der „Catulli Carmina“

zum klassischen Griechentum des „Trionfo di Afrodite“ und der „Antigonae“ in Hölderlins Uebertragung) immer entschiedener in die mediterrane Sphäre weisen — im Unterschied zu Hindemith, der besonders den norddeutschen Meistern verpflichtet ist. „Das Schulwerk, das in seiner Vielfalt nie bloß lehrhaft, sondern immer lebensanschaulich gestimmt ist, deutet die Welt der Musik als F ü 1:1 e des Lebens. Den schöpferischen Innenraum durchwaltet und durchwirkt in jedem Augenblick die gestaltenbildende Macht der musikalischen Phantasie und der gestaltenordnende Geist der künstlerischen Form“, erklärt der Komponist. Konsequent zu Ende gedacht, führen Orffs Prinzipien und Anschauungen zu einer Glorifizierung der Urkräfte, zu ästhetischem Vitalismus, zuweilen — wie in dem „Trionfo di Afrodite“ — zu einer Art Neopaganismus nicht unbedenklicher Art. Es wird sich zeigen, ob diese Kräfte durch den Humanismus, der eine gleichfalls sehr wesentliche Komponente im Gesamtbild Orffs ist, ausbalanciert werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung