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Jedermann für jedermann

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Es ist wieder Saison. In Ischl und int österreichischen und inter nationalen Festspielbetrieb überhaupt. Allerorts zwischen Perchtoldsdorf und Ossiach, Saint Paul de Vence und Europas Nordspitze ist der Mini- und Maxi-Festivalrummel an- und ausgebrochen. Dennoch: daß von den USA bereits das erste Mondfestival vorbereitet wird, hat sich glücklicherweise als Schockmeldung herausgestellt, die bloß musikfestgeprüften Kritikern Angst und Schrecken ein-, und kalte elektronische Sphärenschauer über den Rücken jagen sollte. *

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Es ist wieder Saison. In Ischl und int österreichischen und inter nationalen Festspielbetrieb überhaupt. Allerorts zwischen Perchtoldsdorf und Ossiach, Saint Paul de Vence und Europas Nordspitze ist der Mini- und Maxi-Festivalrummel an- und ausgebrochen. Dennoch: daß von den USA bereits das erste Mondfestival vorbereitet wird, hat sich glücklicherweise als Schockmeldung herausgestellt, die bloß musikfestgeprüften Kritikern Angst und Schrecken ein-, und kalte elektronische Sphärenschauer über den Rücken jagen sollte. *

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Nichtsdestoweniger ist Österreichs Operettenhimmel wieder im kitschigsten Zuckerlrosa aufgema-scherlt: In Bregenz läßt man in dieser Hoch-Zeit eine Hochzeitsaffäre über die Bretter tollen, die die Welt des Robert Stolz bedeuten. Viktoria und ihr Husar und Czardasfür-stin reiten wieder ... Für Österreich. Und in Salzburg — es klingt fast hochgestochen — wurde der Ruf nach neuen Werken und zeitgemäßen Program, estaltungen der Festspiele laut Na ja. Man präsentierte — „Jedermann“, in einer Neuinszenierung. Da kann man nur mit Ollendorf sagen: „Schwamm drüber!“ ...

Alles feiert. In Friesach und Baden, in Melk und auf Schloß Poroia geht's munter zu. Jeder findet irgendwo ein noch älteres, noch ver-schmockteres Stück, das denn auch sofort irgendwo in Grund und Boden gespielt wird. Jedem Dorf seine Passionsspiele, jedem Schloßhof seinen Serenaden-Jour-fixe. Die reinste Festivalmanie.. Alle wollen Kultur präsentieren, in Kultur machen, daran verdienen; bald mit, bald ohne ausgleichende Gerechtigkeit, die ihnen dank der Zugehörigkeit zur Klasse der subventionierten Privilegierten vom Minoritenplatz her, aus Lan-

desbanken und Gemeindeämtern zuteil wird.

Kultur auf Bestellung ist ungeschriebenes Motto, gleichsam aus der Retorte: Ein Denkstein, ein Wässerchen, eine strohgedeckte Hütte genügt. Schon rankt der Rummel. Bettelstudenten treiben an Seeufern ihre Ehespäße, in „Gelsenreitschu-ien“, dem attraktiven Ziel am Ende kilometerlanger Auto- und Buskolonnen, vor Domen und Darfkirchen, in aufgelassenen Klöstern und vor passabel zusammengeflickten Ruinen holen Tod oder Teufel irgendeinen armen Schlucker. Bald in Hochsprache, bald mit Dialektfärbung. Und mancher Veranstalter glaubt wirklich noch des Publikums Nerven mit herzzerreißenden Todesschreien kitzeln zu können: „Jeeedermann!“ Ja, jedermanns Bedürfnis, mit dabei gewesen zu sein, Kultur zumindest am letzten Zipfel erwischt zu haben, wird da allabendlich oder zum Wochenende befriedigt.

Aber, täuschen wir uns nicht darüber hinweg. So manches Festival ist heute im Grunde entweder Ausdruck eines schlechten Gewissens, weil man sich die vehementen Angriffe der Jugend ersparen will, daß an kultureller Erziehungsarbeit viel

zu wenig geleistet wird, oder es ist kommerziell bravourös genützte Laune des Managements, das Musik wie neue Bananensorten und Theater wie neue Waschmittel verkauft. Hauptsymptom vieler Festivals: die großen und kleinen Akteure auf den knarrenden Brettern, die diese Festwochenschednwelt bedeuten, ziehen von einer Stadt zur anderen, schnurren ihre Paraderollen und -röllchen ab. Einmal vielleicht in Andernach, dann vielleicht in Stockerau, das nächstemal in der Burg von Perchtoldsdorf oder wer weiß, wo sonst. Die Festivalweit wird zum Kabarett: Tutto nel mondo e burlä. Spaß. Scherz. Mitunter schlechter Scherz. Von Mai bis Oktober.

Festivals sind eigentlich fast nur noch zum Magneten für Fremdenverkehrsunternehmungen aller Art geworden. Was geboten wird, scheint manchmal bereit egal. „Das Land des Lächelns“ in Bregenz wirkt nicht weniger seltsam als Feydeaus Piecen in Friesach und vielleicht Tschaäkowsky unter Kara-jan in den Ruinen von Palmyra, wo Monde und Demi-Monde mit Snob appeal ihre Juwelen gefällig ausbreiten beim abendlichen „noblesse oblige ä s'ennuyer“. Die Programmierung schlägt die tollsten Kapriolen, die Preise auch. Und der Massentourismus, eine tmllionenköpfiige Hydra, konsumiert, nein, verschlingt gierig alles. Mit bewundernswerter Kritiklosigkeit Weil's ohnedies inklusive ist ...

Übliche stolze Bilanz: So und soviel tausend Besucher, aus so und soviel Nationen, so und soviel Subventionen. Das eigentliche Defizit — ausgeglichen durch Zuschüsse von allen Seiten — wäre horrend. Kostendeckend arbeiten ist Utopie.

Resümee: Bedenkt man's recht, so ist es etwas abwärts gegangen mit den Festivals (ganz wenige ausgenommen). Die Attraktionen, unsere Sensationen, sind durchschnittlich geworden, einem Durchschnittsgeschmack entsprechend. In der Spitzehkate-gorie dominiert der Star. Das Werk, vor allem das neue, ist längst nicht mehr gefragt. Es ist ein Risiko geworden. Der Kassenrapport paßt sich dem Durchschnitt an. Was einst für exklusive Kunstkenner geplant war, ist unter dem Ansturm des Massentourismus rasch zum trivialen Schlager geworden, in dem sich Ort und Rahmen und Präsentation genauso reimen wie in banalen Poesien geschäftstüchtiger Hit-Texter. Man hat mancherorts verlernt, was vorgegeben ist — wie durch Architektur und genius loci — richtig zu inszenieren. Die Folgen werden nicht ausbleiben: Bestimmen ohnedies bald nur noch das etablierte Repertoire reisender Stars, die nicht gern neue, schwierige Werke lernen wollen, und die Flugpläne, wie ein Festival gestaltet wird. Wie grau wird die Szene aber sein, wenn der Vorhang aufgeht und nur abgestandene Show gezeigt wird, Show, die man — je nach Kategorie — aus Luzern und Paris und Aix und Edinburgh oder eben aus Andernach und Stockerau kennt

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