„Nathan der Weise“ bei den Salzburger Festspielen: Überwältigungstheater für eine gute Sache
Düster und ernst, aber nahe an der literarischen Vorlage und getragen von einem vorzüglichen Ensemble inszeniert Regisseur Ulrich Rasche das Stück.
Düster und ernst, aber nahe an der literarischen Vorlage und getragen von einem vorzüglichen Ensemble inszeniert Regisseur Ulrich Rasche das Stück.
Mit Ulrich Rasche findet das Pathos den Weg zurück auf die Bühne. Das ist nicht zu erwarten, weil, wer unter Pathosverdacht steht, mit Vorwürfen zu rechnen hat. Die beziehen sich darauf, dass das Gefühl angesprochen wird und nicht der Verstand und dass Verführung durch Brachialmethoden, die bis zur Einschüchterung gehen können, stattfindet. Rasche kennt keine Scheu, sich selbst einem so Toleranz und Vernunft beschwörenden Stück wie Gotthold Ephraim Lessings „Nathan der Weise“ mit Überrumpelungseffekten zu nähern.
Die Darsteller in Schwarz vor einer in Schwarz gehaltenen Bühne bewegen sich auf einer sich pausenlos drehenden Plattform in stampfendem Rhythmus aufeinander zu oder voneinander weg und tragen ihre Texte in getragener Langsamkeit vor. Nie sprechen sie zueinander, immer ins Publikum hinein, und dabei bleiben sie in ständiger Bewegung, um durch den rotierenden Boden nicht in den Hintergrund geschoben zu werden. Die ununterbrochene Unruhe sorgt dafür, dass die Menschen einander nicht nahe kommen. Sie brauchen Abstand, um nicht aufeinanderzukrachen, ein Bild dafür, wie isoliert sich alle in ihrem selbstgeschaffenen Dachsbau der felsenfesten Überzeugungen finden. Dazu kommt eine musikalische Begleitung, die der Überwältigung durch Rhythmisierung den Boden bereitet. Verstärkt wird die Wucht der Präsentation durch einen Chor, der einer religiösen Haltung zu verstärkter Wirkkraft verhilft. Bedeutendes wird verhandelt, das wird einem auf diese Weise unmissverständlich klargemacht.
Ein Kampf der Religionen ‒ leicht lässt sich daraus ein Kampf der Ideologien ableiten ‒ findet statt. Die Rasche-Methode schafft es, überaus bedrängende Situationen zu schaffen. Nathan gerät unter Verdacht, ein Christenmädchen als Jüdin erzogen zu haben und es im Unklaren darüber gelassen zu haben; ein Schwerverbrechen für die empörte Menge, die die Todesstrafe fordert. Der Jude muss brennen, so die Lösung jener, die den Chefideologen der neuen Einfachheit auf den Leim gegangen sind. So nimmt die Inszenierung erschreckend erhellenden Charakter an, Aufklärung durch Ausstellen der perfiden Methode der Macht. Es bedarf keiner aufdringlichen Aktualisierungen, um im Jerusalem der Kreuzzüge Strukturen vorzufinden, die Lessing beschäftigten und uns heute noch zu schaffen machen.
Nur hat sich Rasche dauerhaft auf diese effektsichere Version eingestellt, Zwischentöne kennt er nicht. Wenn NathanArgumente vorbringt, seine berühmte Ringparabel vorträgt, um damit Eindruck zu machen, und die Gleichwertigkeit der Religionen herausstreicht, kommt er nicht weniger propagandistisch rüber wie die Scharfmacher und Rechthaber.
Für das vorzügliche Schauspielteam ist die Inszenierung eine gewaltige Herausforderung. Rasches großes Verdienst besteht darin, im Original nicht wild herumgefuhrwerkt zu haben. Er bleibt nah an der Vorlage, was ein hohes Maß an Textsicherheit bei körperlicher Verausgabung verlangt. Valery Tscheplanowa ‒ als ehemalige Buhlschaft an der Seite von Tobias Moretti genießt sie inSalzburg einen ausgezeichneten Ruf ‒ leistet in der Hauptrolle Besonderes. Eine Frau als Nathan? Zugegeben, etwas albern ist das schon, denn die Ansicht, dass auch Frauen weise sein können, hat sich doch schon weitgehend durchgesetzt. Kniefall vor dem Zeitgeist, mehr ist das nicht.
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