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Bundesheer- Impressionen

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Montag. Acht Uhr morgens. Strömender Regen: Meine Frau bringt mich mit dem Regenschirm bis zum Kasernentor. Der Wachtposten lächelt: „Zum Kasern- kommando, geradeaus dann links. Man wartet schon auf Sie.“ Mit meiner militärischen Ausrüstung auf dem Rücken und nunmehr ohne Schirm mache ich die ersten Schritte in mein diesjähriges militärisches Leben.

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Montag. Acht Uhr morgens. Strömender Regen: Meine Frau bringt mich mit dem Regenschirm bis zum Kasernentor. Der Wachtposten lächelt: „Zum Kasern- kommando, geradeaus dann links. Man wartet schon auf Sie.“ Mit meiner militärischen Ausrüstung auf dem Rücken und nunmehr ohne Schirm mache ich die ersten Schritte in mein diesjähriges militärisches Leben.

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Meine Stimmung ist mäßig — nicht nur wegen des schlechten Wetters. Wie kommt es, daß ich trotz meiner 45 Jahre und einer nicht gerade steilen militärischen Karriere (ich bin immer noch

Leutnant, während erfolgreiche Jahrgangskollegen schon Obersten sind) in der Milizarmee offenbar noch erste Wahl bin?

Ein Vizeleutnant klärt mich später auf, daß ich ja nur zum Ersatzregiment einrücke. Und dort landen diejenigen, „deren militärische Karriere ausläuft“.

Apropos Vizeleutnant. Wer sich in der Kaserne umschaut, hat den Eindruck, das Heer bestehe vornehmlich aus Vizeleutnants, also aus Unteroffizieren, die am Plafond ihrer Beförderung angelangt sind. Im Gebäude der Stabskompanie dürfte sich dem Augenschein nach die Zahl der Wehrmänner und der Unteroffiziere die Waage halten. Ob das nicht das Ergebnis allzu langer Bürokratisierung ist, denn ein Großteil der Vizeleutnants macht Kanzleidienst?

Im Gespräch mit mehreren Unteroffizieren wird mir klar, welche tiefe Frustration unter vielen von ihnen herrscht. Auf Nachschub-, Wirtschafts- oder Mobilmachungsposten versauern sie, weil in Friedenszeiten - die wir Gott sei Dank haben - auf diesem Sektor hauptsächlich relativ spärliche Verwaltungsarbeit anfällt Trotzdem ist ein Geriß um diese Posten, weil sie eben die am besten bewerteten sind.

Und dennoch: Spricht man länger mit einem der Betroffenen, dann erkennt man, wieviel Enttäuschung da mitschwingt; wieviel Hoffnung und Engagement begraben worden sind in einem von Vorschriften überwucherten Alltag, in einem vom ständigen Geldmangel aufgezwungenen Dahinwursteln.

Sicher gibt es auch unter den Unteroffizieren solche, die den Beruf aus Bequemlichkeit ergriffen haben. Aber welches Trümmerfeld von gutem Willen verbirgt sich auch hinter der zur Schau getragenen „Obiezahrer- Mentalität“!

Stichwort „Obiezahn“ sprich gut getarntes Nichtstun oder schleppende Bewältigung von Aufgaben, die rasch erledigt werden könnten: Sich darauf einzustellen, bereitet dem Neuankömmling zunächst Schwierigkeiten.

Nach Erledigung der Einrük- kungsformalitäten galt es, das schwierige Problem zu lösen, für mich einen Spind zu besorgen. Irgendwo mußte ich ja mein Zivilgewand deponieren. Es war eine lange Suche — mit vielen Telefonaten verbunden. Keiner fühlte sich zuständig.

Um halb zehn Uhr wurde ich unruhig, denn um neun Uhr hätte ich - laut Dienstplan — nach Al- lentsteig verlegt werden sollen. Einem findigen Vizeleutnant gelang dann der große Coup: Ich bekam einen Spindschlüssel - und teilte diesen Kasten mit einem Jungmann. Warum auch nicht?

Weil es mittlerweile spät geworden war, wurde unsere Abreise auf halb eins verlegt, nach dem —übrigens ausgezeichneten-Mittagessen. Bis dahin Tratschen.

In Allentsteig: Empfang durch den sehr bemühten Regimentskommandanten. Unterbringung in neuen, äußerst zweckmäßigen Gebäuden am Truppenübungsplatz - und wieder Warten, diesmal auf die übrigen Reservisten des Regiments, die anderswo als ich eingerückt waren. Sie kamen noch später. Unser Programm startet schließlich um 15 Uhr…

Langsam gewöhne ich mich an das neue Tempo. Als dann am Mittwoch das Gros des übrigen Kaders einrückt und über den schleppenden Ablauf des Klei- dertauschs klagt, reagiere ich bereits gelassen. Schließlich bin ich ja seit zwei Tagen im Training.

Einen wirklich guten Eindruck machen auf mich die Jungmänner, die unserer Gruppe von Reserveoffizieren und -Unteroffizieren am Donnerstag für 24 Stunden zugeteilt werden. Gemeinsam üben wir, wie man das Allentstei- ger Lager sichern sollte. Da wird offenkundig, wie wenig viele der Milizkommandanten vom militärischen Handwerkzeug beherrschen.

Noch schlimmer: Laut Dienstplan sollen die Jungmänner von uns ausgebildet werden! Da stellt sich endgültig heraus, daß diese Soldaten, die mittlerweile zehn Wochen Ausbildung hinter sich haben, ja weitaus mehr wissen als viele von uns „Milizlern“.

Zwar haben wir in den ersten Tagen einen Schnellsiedekurs zur Auffrischung des militärischen Wissens gemacht. Aber wer sich mindestens zwei Jahre hindurch nicht militärisch befaßt hat, kann die Wissenslücken—viele von uns wurden vor 25 Jahren ausgebildet - nicht in wenigen Stunden füllen.

Aber noch einmal: beachtlich die Disziplin und das Wissen der jungen Soldaten.

Wie man solche Ausbildung betreiben könnte, führen uns zwei zugeteilte Unteroffiziere vor. Gekonnt ist ihr Vortrag. Immerhin keine einfache Sache, vor skeptischen, zum Teil akademisch gebildeten Zuhörern aufzutreten.

Einfallsreich gehen sie uns dann auch bei der Ausbildung der Jungmänner zur Hand, treffen auch da den richtigen Ton. Da wird erst klar, was eigentlich alles vom Berufssoldaten gefordert wird: Fachwissen, Menschenführung, Einsatzbereitschaft (etwa bei Nachtübungen)—hohe Erwartungen für die mittelmäßige Bezahlung, das schlechte Berufsimage. Darf man sich da über Versager wundern?

Wie üblich, wird beim Bundesheer nichts so heiß gegessen, wie es am Dienstplan gekocht wird. Daher endet auch unsere Übung Donnerstag um 21 Uhr statt, wie vorgesehen, Freitag um sechs Uhr morgens. Ein schöner, gemütlicher Tag im Freien geht zu Ende. Die Erholung wurde nur durch die Unmenge von Gelsen gestört, die uns im Wald umschwirren.

Bekanntlich ist jede Übung, die ohne gröberes Mißgeschick beendet wird, ein Erfolg gewesen. Darauf einigt man sich auch bei der Abschlußbesprechung, in der wir ausdrücklich zur Kritik eingeladen werden.

Einige Details am Rande werden kritisiert. Uber die grundsätzliche Frage nachzudenken, ob das Ganze überhaupt sinnvoll war, dazu kann sich kaum jemand aufraffen. Schließlich wollen wir ja nach Hause, und sollen wir vielleicht das Bundesheer ändern?

Im Einzelgespräch aber waren sich viele einig: Wenig motivierte und militärisch unbelastete Kommandanten gut ausgebildeten Rekruten vorzusetzen, was soll das?

Eine Woche Bundesheer sind Ferien vom Alltags-Ich: Man ist anders gekleidet, riecht anders, hat andere Sorgen als üblich, hält sich viel im Freien auf, kommt viel zum Plaudern und damit seinen Mitmenschen nahe — und hat Zeit. Ein guter Nährboden für das Entstehen von Kameradschaft, die sich rasch entwickelt und alles in ein rosiges Licht taucht Ich habe schon lange nicht soviel gelacht wie in dieser Bundesheerwoche.

Das wirft aber ein schlechtes Licht auf mein Alltagsleben: zuviel Streß, zuwenig Zeit für die Mitmenschen, zuviel Schreibtischhocken, zuwenig Fröhlichkeit und viel zuviel tierischer Ernst…

Ich bin wahrlich kein Soldat. Je älter ich werde, umso deutlicher sehe ich die Greuel des modernen Kriegs vor mir. Unsere Ausbildung über ABC-Schutz (atomare, bakteriologische und chemische Kriegsführung) ist mir schwer an die Nieren gegangen.

Dennoch finde ich es skandalös, daß unser Heer seit seinen Anfängen unter dem Existenzminimum gehalten wurde, als Lendenschurz für Österreichs internationale Verpflichtung zu militärischer Landesverteidigung.

Ein bißchen Draken da, ein wenig Kürassier dort, das ersetzt nicht politisches Engagement für dieses Heer. Sonntagsreden von der Umfassenden Landesverteidigung kann ohnedies niemand mehr hören — am wenigsten die Soldaten.

Wer alle zwei Jahre eingezogen wird, spürt, daß das Bundesheer laufend von der Substanz lebt. Ob es die weiter verordneten Hungerkuren übersteht, erscheint fraglich.

Wie kann man den jungen Österreichern zumuten, ihr Leben einzusetzen für eine Landesverteidigung, die augenzwinkemd als Potemkin’sches Dorf erhalten wird?!

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