Endlich Energie in gute Lösungen stecken!

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Bei Wohnen und Energie zu entlasten, hilft am wirkungsvollsten gegen das Abrutschen in die Armut: ein Plädoyer für eine Wohnbau-Investitionsbank und eine Energiegrundsicherung fürs neue Jahr.

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Bei Wohnen und Energie zu entlasten, hilft am wirkungsvollsten gegen das Abrutschen in die Armut: ein Plädoyer für eine Wohnbau-Investitionsbank und eine Energiegrundsicherung fürs neue Jahr.

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„Ich hab keine Energie mehr“, sagt Cordula in der Sozialberatung der Diakonie – und sie meint es im doppelten Sinne. Die junge Frau mit zwei Kindern ist gekommen, weil sie nichts mehr zu heizen hat. Sie wohnt am Wiener Stadtrand in einer kleinen Wohnung und kann nicht mehr. Der Wohn- und Energieschirm begleicht Rückstände und übernimmt eine notwendige Heizrechnung. Cordula ist da, um darum anzusuchen.

Wäre Österreich ein Dorf mit hundert Einwohnern, lebten neun Menschen in feuchten, schimmligen Wohnungen. Wohnen heißt, mehr als vier Wände um sich herum zu haben. Wohnen bedeutet daheim sein, es warm haben, genießen, gesunden. Wohnen geht unter die Haut. Kälte auch. Neben dem Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöht sich durch Kälte die Infektanfälligkeit. In dem Augenblick, in dem der Körper auskühlt, werden die Schleimhäute nicht mehr adäquat durchblutet – und dadurch öffnet sich die Eintrittspforte für Erreger.

Menschen verursachen Feuchtigkeit, etwa durch Schwitzen, Ausatmen oder Kochen. So produziert ein Haushalt mit vier Personen rund zwölf Liter Wasser. Kalte Luft kann Feuchtigkeit nicht so gut aufnehmen wie warme Luft. Entsteht Schimmel, drohen Kopfschmerzen und Konzentrationsstörungen. Allergien und Atemwegserkrankungen können sich verschlechtern oder neu entstehen. Ständiges Frieren löst psychischen Stress aus, mindert die Leistungsfähigkeit und macht müde.

Energiearmut geht unter die Haut

Wohnen, Energie und Lebensmittel: Das sind die drei Hauptposten in Haushalten mit wenig Geld. Wohnen und Energie machen den größten Anteil aus, Lebensmitteleinkauf ist der kleinere Bereich. Wollen wir effektiv einkommensarme Haushalte entlasten, sind leistbares Wohnen und Energie am wirkungsvollsten.

Wäre Österreich ein Dorf mit hundert Einwohnern, lebten sieben Menschen in zu engen, überbelegten Wohnungen. Wir brauchen mehr günstigen, leistbaren Wohnraum, mehr Investitionen in den öffentlichen und gemeinnützigen Wohnbau, da gibt es in vielen Teilen Österreichs noch großen Aufholbedarf, besonders im Westen. Die Gründung einer Wohnbau-Investitionsbank könnte hier Ressourcen für neues günstigeres Wohnen schaffen. Sie würde Gelder bei der Europäischen Investitionsbank abholen und in Form von günstigen Darlehen an Wohnbauträger weiterleiten. Der Bund unterstützt mit einer Haftung. Diese Investitionen kämen jetzt gerade im drohenden Wirtschaftsabschwung richtig, wären gut für die Konjunktur. Gleichzeitig muss die Flächenwidmung mithelfen, günstigen Boden für sozialen und gemeinnützigen Wohnbau zur Verfügung zu stellen. Der ist zurzeit mancherorts viel zu teuer, um leistbare Mieten zu entwickeln.

Wäre Österreich ein Dorf mit hundert Einwohnern, könnten es sich drei Personen nicht leisten, ihr zu Hause angemessen warm zu halten. Die sogenannte Stromkostenbremse, die Ende 2024 auslaufen wird, sollte zu einer Energiegrundsicherung weiterentwickelt werden. Damit wird jedem Menschen eine bestimmte Versorgung an Energie als Grundanspruch zugesichert.

Die ,Stromkosten­bremse‘ sichert verbilligte Energie. Sie ist als Maßnahme aber weder sozial noch ökologisch.

Die Stromkostenbremse sichert Haushalten verbilligte Energiekontingente zu. Was bisher fehlt, sind die Haushaltsgröße und die Haushaltseinkommen, um da­raus sowohl eine soziale als auch ökologische Maßnahme zu machen. Eine Energiegrund­sicherung muss neben Strom auch das Heizen miteinschließen. Die Ideen dazu sind in der Armutsforschung in den letzten zwanzig Jahren immer wieder diskutiert worden, erste Modelle wurden auf europäischer Ebene vorgeschlagen, auch Armutsnetzwerke in England und Belgien thematisierten einen kostenfreien Energieanspruch. Im Rahmen der „Right to Energy Coalition“ werden Energiegrundversorgungskonzepte als Menschenrecht verhandelt, denn: „Energiearmut ist keine bloß individuelle Last, sondern ein politisches Versagen.“

Die aktuelle Klima- und Energiekrise, vor allem aber die gestiegenen Energiepreise haben die Frage der Daseinsvorsorge mit neuer Wucht auf die politische Tagesordnung gesetzt. Eine Energiegrundsicherung stellt den Grundbedarf an Energie für alle Menschen sicher. Solch universelle Leistungen entlasten untere Einkommen stark, können unbürokratisch in Anspruch genommen werden, schützen die untere Mitte und wirken armutspräventiv, sind wichtig für die generelle Zustimmung zum Sozialstaat und stigmatisieren nicht. Wichtig ist hier die Verlässlichkeit von Maßnahmen, sprich strukturelle, nachhaltige soziale Sicherheit. Jetzt ginge es darum, vorliegende Modelle weiterzuentwickeln und ihre Umsetzung zu prüfen.

38 Prozent sind durch Wohnkosten belastet

Cordula hofft, dass der Wohnschirm ihre Zahlungsrückstände übernimmt. Sie weiß aber auch, dass das keine Lösung für die Zukunft ist. Im Rahmen des Wohnschirms werden zwar teuerungsbedingte Mietrückstände übernommen, aber nur, wenn das Wohnverhältnis dauerhaft leistbar ist. Wenn Wohnkosten und Einkommen nicht mehr zusammenpassen, ist eine günstigere Wohnung nötig. Da schließt sich der Kreis mit der Wohnbau-Investitionsbank.

Wäre Österreich ein Dorf mit hundert Einwohnern, berichteten in den letzten zwei Jahren 38 Menschen von einer schweren Wohnkostenbelastung, davon 18 dauerhaft. Da in gute Lösungen mehr Energie hineinzustecken, würde sich auszahlen. Gerade jetzt, im neuen Jahr.

Der Autor ist Sozialexperte der Diakonie Österreich und Mitbegründer der Armutskonferenz.

Navigator - © Die Furche

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