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Doktrinen als Ballast

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Schoa, die Kernprovinz Äthiopiens, ist ein freundliches Hochland mit erloschenen Vulkanen unter dem strahlend blauen Winterhimmel Ostafrikas, lachenden Kraterseen, deren spiegelndem Glanz die abergläubischen Dörfler dennoch mißtrauen und so den Wassergeistern regelmäßig Kühe und Schafe zum Opfer bringen — eine rechte Idylle mit fruchtbaren Weiden und Ackerflächen. Als eines der wenigen Gebiete des einstigen Kaiserreiches ist Schoa bisher von Trockenheit und Hungersnot verschont geblieben, doch sind die Lebensverhältnisse der Bauern kläglich genug. Pferche und Basthütten, wie sie die Balkanhirten nur ihrem Vieh zumuten, sind die meist an sonnseitige Hänge gebauten

„Bauernhöfe“, zwischen denen mit exakter Regelmäßigkeit stattliche Gutshöfe auftauchen. Von diesen letzteren wehen die äthiopischen Farben, revolutionäre Plakate und Transparente sind bis herüber zu der Asphaltstraße erkennbar.

„In diesen Palästen residierten früher unsere Landjunker“, erklärt ohne Animosität meine Begleiterin, eine zum Zematscha-Landdienst eingezogene Junglehrerin aus dem nördlichen Tigre. „Heute sind das Zentralen der Bauerngenossenschaften. Unsere Aufklärungskampagne für die Landbevölkerung erfolgt hingegen zentral von Debra Zejt aus.“ Nach den vielen Berichten über den Unmut der Bauern wegen der zu ihrer Belehrung von allen Hoch- und Mittelschulen ausschwärmenden Stadtjugend ist es kein Wunder, daß die Zematscha-Teilnehmer in den Garnisonsstädten oder in großen, geschützten Lagern kaserniert sind und sich nur bei Tag zwischen die Hütten der Kleihhäusler wagen.

Am Vortag war mir die neue Lage auf dem Lande durch das Ministerium für Agrarreform und -Verwaltung eher rosig geschildert worden. In Verwirklichung der am 4. März 1975 proklamierten .Agrarrevolution“ sei im Anschluß an die erste Phase der Enteignung (in der Praxis hieß das blutige Vertreibung, in manchen Fallen aber auch hartnäckige Behauptung) der Feudalherren bereits Ende Mai die erste Reformphase mit der Bildung von Bauerngenossenschaften in Angriff genommen worden. Ende 1975 habe es- in Äthiopien rund 10.000 solcher Verbände gegeben, davon fast die Hälfte in Schoa. Das sei mit den dort bisher besonders katastrophalen Verhältnissen unter den kleinen Pächtern und Landarbeitern zu begründen, während in Gebieten mit einem stärkeren Anteü an freien Klein-und Mittelbauern, wie Tigre, Begem-dir-Semien (um Gondar) oder Gamu-Goffa (das alte Kaffa), die Zahl unter fünfhundert falle und in Godscham am Blauen Nil überhaupt nur mit Mühe und Not ganze 30 Genossenschaften hätten auf die Beine gestellt werden können.

Zum Abschied wurde mir eine Broschüre mit dem Titel „The Role of Agricultural Cooperatives in Econo-

mic Development: The Ethiopian Gase“ in die Hand gedrückt, der recht genau zu entnehmen war, wie sich die Revolutionäre die endgültigen Besitz- und Wirtschaftsverhältnisse vorstellen.

Im Grade der fortschreitenden Entwicklung des Klassenbewußtseins sollen die „Genossenschaften“ in den nächsten Jahren in regelrechte „Dorfkommunen“ umgewandelt werden. Diese Kollektive werden sich im Besitz aller agrarischen Produktionsmittel befinden und werden alle Dienstleistungen finanzieller, technischer und kaufmännischer Art selbst übernehmen. Während in der Berichterstattung über die äthiopischen Agrarexperimente meist der chinesische Einfluß betont wird, scheint

dabei neben der Reaktivierung lange verschütteter einheimischer Strukturen doch mehr das Vorbild der algerischen „Revolution agraire“ bestimmend zu sein.

Auf dem Papier fällt der Vergleich dieser Reformen und Reformpläne mit der bis 1975 bestehenden feudalen Ordnung zugunsten der Revolution aus. Das älteste Prinzip äthiopischer Landverteilung, das dem Nationalheiligen des 13. Jahrhunderts, Takla Hajmanot, zugeschrieben wird und seit dem Beginn der Neuzeit nachweisbar ist, besteht in einer Dreiteilung des gesamten Bodens zwischen dem kaiserlichen „Naguscha Nagascht“ (König der Könige) oder den Teilkönigen in den Zeiten schwacher Zentralgewalt, der Kirche und dem Volk. Aus dieser ursprünglich recht adäquaten Verteilung von Rechten, Pflichten und Lasten (Kaiser: Schutz- und Richterfunktion, Kirche: Bildungs- und Sozialwesen, Volk: Landarbeit) begannen sich aber spätestens im Reich von Gondar (16.—18. Jahrhundert) feudale Zustände zu entwickeln, die im wesentlichen unter die drei altäthiopischen Fachausdrucke „Rist“, ,,Gult“ und „Gabar“ fallen, und über deren Beharrlichkeit in unseren Tagen das so reformfreudige „neue Reich“ von Addis Abeba Haue Selassies zu Fall gekommen ist. „Rist“ und „Gult“ bezeichneten den privaten Großgrundbesitz mit Unterschieden in der Ver-erbbarkeit, die von der Entwicklung aus vom Kaiser oder Landesherren vergebenen Lehen oder dem ursprünglichen Besitzdrittel der Bauern herrührten, das in die Hände von immer wenigeren, immer größeren Grundherren geriet und zum Teil sogar als Lehensgebiet oder für gönnerhafte Schenkungen an Kirchen und Klöstern herangezogen wurde. Mit dem Boden wurden auch dessen bisherigen Besitzer „verschenkt“ oder „verliehen“. So entstand die äthiopische Leibeigenschaft der an die Scholle gebundenen, zu Naturalabgaben und Frondienst verpflichteten Kleinpächter mit dem amharl-schen Namen „Gabar“.

War daher die Agrarrevolution von diesen Unterprivüegierten zunächst freudig begrüßt worden, so ist heute die Stimmung auf dem Lande selbst unter den ehemaligen „Gabar“

schon nicht mehr die beste. Sje haben mehr zu arbeiten, haben nicht nur einen Teil der Ernte, sondern so gut wie alles abzuliefern und müssen sich daneben in Lesen und Schreiben, Hygiene und rationelleren Anbau-wie Viehzjuchtsmethoden schulen lassen. Dieses Programm mag langfristig seine Früchte tragen, es ist aber in den Hütten und Keuschen von Schoa denkbar unpopulär. Kollektivbesitz läßt eben bei keinem Bauern der Welt richtige Schollenverbundenheit aufkommen.

Auf fruchtbaren Boden scheint hingegen die mit der Landreform verbundene ^ Belehrungskampagne

„von Frau zu Frau“ zwischen Zemat-scha-Studentinnen und Bäuerinnen gefallen zu sein. In einem Gehöft am Dorfbach werden wir von den weiblichen Wesen freundlichst aufgenommen, die Lehrerin im Pullover sitzt auch schon neben der umhangvermummten Großmutter auf dem Boden und bringt der Familie das richtige Kaffeekochen bei. Die Hütte ist blitzblank als Ergebnis einer früheren „Unterrichtsstunde“.

Auf dem Rückweg stehen die Männer draußen an der Fernstraße und versuchen, den Reisenden Honig, Eier und Holzkohle zu verkaufen, die wenigen Produkte, die sie noch für eigene Rechnung umsetzen dürfen. Auf dieses „Straßengeschäft“ konzentriert sich ihr ganzes Interesse, während Felder und Vieh immer sträflicher vernachlässigt werden. Bauern als Straßenhändler — ein wenig erfreulicher Aspekt einer Landreform, die mit viel Elan, zu viel doktrinärem Ballast und zu wenig Erfahrung vorangetrieben wird.

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