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Genmanipulation - Segen, Gefahr oder nur Science-fiction? tfteijJoffl

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Biochemie - das ist heute eine Wissenschaft, von der nicht nur die Boulevardpresse immer wieder Sensationen zu berichten weiß; auch ernst zu nehmende Magazine können zuweilen mit Berichten aufwarten, die aus Huxleys „Brave new world“ stammen könnten. Viel Staub hat ein amerikanischer, sicher mit der Materie gut vertrauter Journalist aufgewirbelt, als er berichtete, daß durch Genmanipulation im Laboratorium tatsächlich bereits „Klone“ beim Menschen erzeugt werden konnten.

Man hätte einen Menschen aus gewöhnlichen Körperzellen ohne Befruchtung, allein durch Genmanipulation auf bloß vegetativem Weg, so wie Kartoffeln oder Erdbeeren ohne geschlechtliche Zeugung „hergestellt“. Jeder informierte Wissenschaftler bestreitet entschieden auch die geringste Möglichkeit, einen Menschen zu Monieren. Dieser Bericht aus Amerika, stellt Univ.-Prof. Dr. Hans Tuppy von der Universität Wien fest, gehört unmißverständlich in die Sparte „science fiction“. Niemals noch ist eine wissenschaftliche Publikation über die Klo-nierung irgendeines Warmblütlers, und wäre es nur eine Maus oder ein Kaninchen, erschienen. Diese Idee ist undurchführbar und absurd.

Schon allein die künstliche Befruchtung, die bereits gehandhabt wird, bringt eine Unzahl diffiziler moralischer, rechtlicher und sozialer Probleme mit sich, die heute noch gar nicht durchdacht sind. Welches Recht etwa hat jener Organismus, der die fremde befruchtete Zelle austrägt? Solche Fragen müßten in nächster Zukunft von den Juristen geklärt werden. Von der biochemischen Seite jedenfalls ist es sicher, daß nur arteigene Lebewesen zur künstlichen Befruchtung herangezogen werden können. Ein Affe etwa wird.nie einen Menschen aH?t'wg^;k,ö^nej}sAuch4i^^me,rnit dem Fischleib wird weiterhin im Bereich der Sage verbleiben.

Allerdings gibt es auf dem Gebiet der Gentechnik im engeren Shin viele neue Erkenntnisse. Es ist b,eute möglich, künstlich neue Kombinationen in lebende Zellen einzuführen und in diesen zur Vermehrung zu bringen. Bisher ist dies jedoch praktisch nur bei Einzellern gelungen. Man erhofft sich durch die in aller Welt sehr eifrig geführten Untersuchungen eine große Menge wissenschaftlichen Materials zur Verfügung zu bekommen. Mit Hilfe von Computern und Statistiken könnte dann eine beliebig große Anzahl neuer Organismen geschaffen werden, die vollkommen neue Eigenschaften aufweisen.

Um neue Eigenschaften zu erzeugen, braucht man einen Transporteur, der diese neuen Eigenschaften in die Gene einbringt. Solche Transporteure sind Viren und Plasmiden. Im Prinzip findet dabei eine Infektion statt. An den Viren wird eine DNS (DNA), ein Nü-kleinsäure-Molekül, das Träger einer Erbinformation ist, gekoppelt und somit in den Zellkern eingeführt und das Gen verändert. Die Viren sind infektiöse, intrazellulare Teilchen in lebenden Zellen und vermehren sich in der Zelle. Zur Krebsbekämpfung spielt die Virologie im Bereich der Gentechnik eine eminent wichtige Rolle.

Die Plasmiden dagegen sind von den Chromosomen unabhängige Gengruppen, die sich vermehren. Sie machen Antibiotika inaktiv und enthalten eine eigene Antibiotikaresistenz. Für die Antikörperproduktion sind sie äußerst wichtig.

Die Forscher haben Bakterien entdeckt, die eine große Menge DNA erzeugen, sie werden daher als „Genfabriken“ benützt. Selbst menschliche Gene kann man auf diese Weise züchten. Derzeit suchen die Pharmazeuten nach Bakterien, die in der Lage sind, Insulin abzugeben. Mit Hilfe der Genmanipulation könnte man solche Bakterien, die Insulin ausstreuen, dem zuckerkranken Menschen einsetzen.

Eines der dringlichsten Probleme ist: die bis zur Jahrtausendwende auf zehn Milliarden Menschen ansteigende Weltbevölkerung zu ernähren. Das wollen die Biochemiker bis dahin

mit Hilfe der Gentechnik lösen. In Weizen etwa sollen Erbfaktoren von Pflanzen wie Bohnen oder Klee eingebracht werden. Diese besitzen im Verbund ihrer Wurzeln lebende Bakterien, die den Stickstoff aus der Luft zu binden imstande sind. Man könnte durch bakterienführende Pflanzen dem Boden auf neue und billige Art Stickstoff zuführen. Durch eine Stickstoffixie-rung im Weizen wäre man von Stickstoffdünger unabhängig, was vor allem für die Dritte Welt von ungeheurer Bedeutung wäre. Die Biochemiker wissen bereits, welche Enzyme für den Stickstoffeinbau notwendig sind. Doch müssen noch unzählige Experimente durchgeführt werden, bis man von der Theorie in die anwendbare Praxis kommt. Daher werden diese Forschungen weltweit geführt, denn das Welternährungsproblem droht andernfalls unlösbar zu werden.

Jede Genmanipulation muß mit äußerster Vorsicht gehandhabt werden, da viele Gene in den diversen Organen und in geänderter Umwelt verschiedene Wirkungen und unterschiedliche Phänomene hervorbringen. In der Virologie etwa können unerwünschte Resistenzfaktoren auftreten. Durch die Genmanipulation entstehen naturgemäß ganz neue Bakterienstämme, deren Eigenschaften man auch nach genauesten Berechnungen und Statistiken nicht voraussehen kann. Daher besteht etwa die Gefahr, daß krebsartige Geschwulstgene absichtlich oder unabsichtlich übertragen werden können.

Bei allen Genexperimenten werden als erste Voraussetzung für eine ge-

fahrlose Arbeit solche Bakterien für die Manipulation gezüchtet, die nur unter ganz bestimmten Laborbedingungen lebensfähig sind. Naturgemäß müssen auf alle Fälle die strengsten Sicherheitsbestimmungen beobachtet werden, wie Einbau von Schleusen, Unterdruckkammern, doppelte Sterilisation, damit kein Experimentiermaterial entkommen kann. Selbst bei noch so genauer Berechnung und sorgfältiger Planung sind Risken nie ganz auszuschalten, meint Prof. Tuppy, da niemals sämtliche Konsequenzen berechenbar sind.

In England, in Holland und den USA gibt es bereits vom Gesetz her ganz genau einzuhaltende Richtlinien. Der Staat kann dort mit Sanktionen eingreifen. Vor fünf Jahren haben hundert europäische und amerikanische Wissenschaftler von sich aus eine Selbstbeschränkung beschlossen, wonach gewisse Experimente nicht durchgeführt werden sollen. Der demokratische Staat garantiert die Freiheit der Wissenschaft, doch darf der Forscher das Recht der Bevölkerung auf Leben und Gesundheit nicht beeinträchtigen; der Staat wieder “muß die sozialen Grundwerte und den Frieden schützen.

Wohl kann man vom Wissenschaftler nicht verlangen, daß er Denken und Handeln einstellt, sagt Prof. Tuppy, eine Zwangsverpflichtung muß auch ihre Grenzen haben. Doch wird die Gesellschaft vom Wissenschaftler wohl eine vernünftige Verantwortlichkeit gegenüber der Menschheit verlangen dürfen!

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