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Digital In Arbeit

Horror, Porno und Gewalt

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Der Siegeszug des Videorecorders öffnet Schmuddelfilmen den Weg ins häusliche Wohnzimmer. Mit gesetzlichen Verboten alleine ist der tägliche Horror nicht zu bannen.

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Der Siegeszug des Videorecorders öffnet Schmuddelfilmen den Weg ins häusliche Wohnzimmer. Mit gesetzlichen Verboten alleine ist der tägliche Horror nicht zu bannen.

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„Manhattan“, „Der Stadtneuro-tiker“, „Bananas“ oder „Der Schläfer“. Alle diese Streifen der amerikanischen Kultfigur Woody Allen liefen vergangene Woche in Österreich an. Allerdings nicht im Kino, sondern in den einschlägigen Videotheken.

Aber auch sonst wächst das Sortiment an qualitativ hochwertigen Filmen, die in Osterreich auf Videokassetten zu haben sind, beständig und weist die Branche als Wachstumsbranche aus — auch wenn die Klagen so mancher notleidenden Videothek das Gegenteil zu beweisen scheinen.

Der Videoboom ist im Abflauen, ist mitunter als desillusionier-ter Kommentar eines Goldgräbers der vergangenen Jahre zu hören. Das Fernsehen zerstöre mit seinem größer werdenden Spielfümangebot das Geschäft, die zunehmende Empfangsmöglichkeit ausländischer Programme über Kabel vertreibe die Kundschaft. Und im übrigen werde es noch ärger, weil die Fernsehanstalten ihr Angebot an interessanten Spielfilmen noch erhöhen würden.

Was wie ein Weltuntergang aussieht, ist aber nur ein Umbruch in der Branche, denn der Videoboom steht erst vor der Tür, wie ein Zahlenvergleich zeigt. Hatten in Österreich zu Jahresende 1984 neun Prozent aller Haushalte einen Videorecorder, so sollen es Ende 1985 bereits zwölf Prozent sein.

Jenseits der Grenzen Österreichs ist noch deutlicher zu sehen, daß der Videorecorder bisher als einziges der „neuen Medien“ das gehalten hat, was man sich versprochen hat. In Großbritannien hatten 1984 36 Prozent aller Haushalte einen Videorecorder, Ende 1985 sollen es bereits 40 Prozent sein. Für die Bundesrepublik Deutschland lauten die Zahlen für 1984 21 Prozent und für 1985 26,5 Prozent. Frankreich soll, ausgehend von 10 Prozent 1984, mit einer Steigerung von sieben Prozentpunkten zu Jahresende 1985 bei einer Sättigung von 17 Prozent angelangt sein.

Die Videorecorderproduzenten können sich also freuen — und mit ihnen die Filmanbieter. Zwar ist nicht jeder Videorecorderbesitzer auch Käufer oder Mieter von bespielten Videokassetten, denn viele benutzen das neue Medium nur, um Fernsehproduktionen aufzuzeichnen. Aber der Anteil derjenigen, die das Fernsehangebot mit zugekauften Programmen aufbessern, ist nicht unbeträchtlich, nämlich 40 Prozent der Videorecorderhaushalte.

In diesen Zahlen liegt allerdings nicht wenig Explosivität. Was den neuen Medien an negativen Folgen nachgesagt wird, gut insbesondere für den Videosektor.

Zuerst einmal: Der Fernsehkonsum steigt, zwar nicht exorbitant, aber im Rahmen des Freizeitbudgets doch beträchtlich. Rund 40 Minuten zu den täglichen 117 Minuten vor dem Bildschirm kommen hinzu.

Viel gravierender ist schon die Tatsache, was gesehen wird, sofern nicht nur Fernsehsendungen aufgezeichnet werden. Vielfach dient die Aufbesserung der Fernsehkost dazu, jene Genres auf den Bildschirm zu zaubern, die von den Fernsehanstalten nicht ins Programm genommen werden können.

Von den angebotenen „Unterhaltungs“-Filmen ressortieren 45 Prozent in die Genres Horror, Krieg und Aktion, 30 Prozent zu Abenteuer, Krimi und Western, 13 Prozent zu Musik und Unterhaltung und zwölf Prozent zu Sex und Porno.

Jahrelang waren diese alternative Programmierungsmöglichkeit und ihre gesellschaftspolitischen Auswirkungen Diskussionsgegenstand exklusiver Expertenkreise. Neben der Frage nach den Wirkungen von Gewalt und gewalttätiger Pornographie hieß insbesondere die Frage: Wie reagieren Kinder und Jugendliche auf die angebotene Scheinwirklichkeit, die fernab der Realität Verhaltensmuster wie das Recht des Stärkeren, Geringschätzung persönlicher Würde, sexuelle Verfügbarkeit oder Sadismus vorgesetzt bekommen.

Mit dem rapiden Wachstum der Branche sind diese Fragen keineswegs mehr Spielwiese für Theoretiker, sondern von brennender gesellschaftspolitischer Brisanz.

Die Frage nach dem Jugendschutz steht im Zentrum der Diskussion — und sorgt für erhebliche Ratlosigkeit. Denn der dezentrale Einsatz des neuen Mediums läßt gesetzliche Bestimmungen vielfach ins Leere laufen.

Solange Filme fast ausschließlich über Kino und öffentlichrechtliche Rundfunkanstalten ans Publikum gelangten, war es nicht schwer, den Zugang zu altersadäquater Unterhaltung zu steuern. Selbstbeschränkungen und Altersabstufungen für den Kinobereich, gesetzliche Rahmenbestimmungen und Auswahl des Sendeplatzes im Fernsehen garantierten einigermaßen, daß Filme für jene Altersgruppen vorbehalten blieben, für die sie bestimmt waren, und andere überhaupt nicht im Programm liefen.

Bei dem neuen Medium plötzlich liegt die wesentliche Entscheidung im einzelnen Haushalt. Und wie Untersuchungen zeigen, kommen auch Jugendliche an Horror-, Brutal- und Pornovideos heran. Entweder liegen sie im Elternhaus herum, werden quasi als Nachmittagsunterhaltung eingesetzt oder bei Freunden konsumiert.

Mit gesetzlichen Bestimmungen alleine geht also nichts mehr, das Elternhaus muß unbedingt mitwirken, sollen die negativen Auswirkungen wirkungsvoll bekämpft werden.

Allerdings gibt diese Einsicht zu Skepsis Anlaß. Die Kontrollmöglichkeiten des Filmangebotes haben bisher alle Aufforderungen, Medienerziehung ernst zu nehmen, ungehört verhallen lassen. Als Folge dieser Versäumnisse reicht die Sensibilität gegenüber den Wirkungen der Medien nicht einmal soweit, den Fernseher als Babysitter zu verbannen.

Daß in dieser Situation der Ruf nach Verkaufsverboten für verschiedene Filmgenres immer wieder erhoben wird, ist als Ausdruck der Ohnmacht zu werten — und überschätzt diese Möglichkeit bei weitem.

Denn einerseits ist klar vorherzusehen, daß sofort ein lukrativer Schwarzmarkt entstehen würde, der keine Wünsche offen läßt. Der Schmuggel von Videokassetten, schon jetzt im großen Stil betrieben, könnte bei den leichten Kopiermöglichkeiten von keiner Zollbehörde unterbunden werden.

Andererseits würde sich das Genre „Pornofilme Marke Eigenproduktion“ ausweiten. Schon jetzt gibt es aus dem Ausland Beispiele von auf Video gebannten Sexspielen am eigenen Herd, die dann mit Gleichgesinnten getauscht werden.

Als vielversprechender gilt da schon die Forderung, den Fach- t handel zu qualifizieren, sodaß etwa wie im Buchhandel eine Beratung des Konsumenten möglich wird. Da der Großteil der in Österreich angebotenen Filme aus der Bundesrepublik Deutschland importiert wird, kann dazu die in Deutschland bereits eingeführte Alterskennzeic^inung herangezogen werden. *

Der ebenfalls in Deutschland verpflichtende Jugendschutzvorspann, der vor Beginn des Hauptfilmes nochmals auf die entsprechende Altersfreigabe hinweist, könnte Anstoß für die Eltern sein, sich entsprechende Filme wirklich nur im stillen Kämmerlein anzusehen.

Noch nicht allzuweit ist der Bau eines weiteren Schutzwalles gegen Brutalvideos fortgeschritten, der Aufbau von Videobibliotheken in Schulen und Büchereien, die den Zugang zu sehenswerten Filmen erleichtern sollen.

Rascher entwickelt sich da vielleicht schon der Trend, der bereits im Ausland sichtbar ist. Der Zug zum anspruchsvolleren Video, der nach Expertenaussagen den Marktanteil der Schmuddelvideos beträchtlich zurückdrängen wird.

Solange Bedürfnisse nach Videos aus der unteren Schublade bestehen, werden diese allerdings ihren Markt haben - und die Gesellschaft das Problem.

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