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Kläglicher „Jesus-Report“

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Der „Stern" hat vor einiger Zeit aus der Feder von Johannes Lehmann in vierteiliger Folge eine Abhandlung über Jesus Christus gebracht, welche dann auch als Ganzes unter dem Titel „Jesus-Report. Protokoll einer Verfälschung" in Buchform erschienen ist (Econ-Verlag). Verdienterweise haben drei Würzburger Theologen (Rudolf Schnackenburg, Karl-Heinz Müller und Gerhard Dautzehberg) gegen dieses mehr als fragwürdige Machwerk Stellung bezogen.

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Der „Stern" hat vor einiger Zeit aus der Feder von Johannes Lehmann in vierteiliger Folge eine Abhandlung über Jesus Christus gebracht, welche dann auch als Ganzes unter dem Titel „Jesus-Report. Protokoll einer Verfälschung" in Buchform erschienen ist (Econ-Verlag). Verdienterweise haben drei Würzburger Theologen (Rudolf Schnackenburg, Karl-Heinz Müller und Gerhard Dautzehberg) gegen dieses mehr als fragwürdige Machwerk Stellung bezogen.

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Worum geht es an dem „Report"? Der Verfasser (Lehmann) vertritt darin die These, daß Jesus den Essenern nahe gestanden habe, daß er sich am Ende seiner Wirksamlceit zu gewaltsamer Alction habe hinreißen lassen und darum von den Römern als Rebell, als Mesisiasprätendent hingerichtet worden sei. Der Leitfaden der Gedankengänge Lehmanns und der springende Punkt seiner „Argumentationen" ist folgender: Jesus war ein Essener und ein Jude durch und durch. Der welt-

weite Missionsgedairike ist das Werk von Paulus, der Christus nicht gekannt und nie gesehen und aus dem gescheiterten jüdischen Aufrührer den „Messias des Glaubens"…, aus dem Menschensohn den Gottessohn gemacht hat.

Wer waren die Essener?

Eine streng asketische, elitäre jüdische Sekte, die in einem gewissen Gegensatz zum offiziellen jüdischen Tempelkult stand, unter anderem deswegen, weil sie blutige Schlachtopfer ablehnte. Ob und wieweit Jesus diesen Essenern nahegestanden ist, wissen wir nicht. Feststeht, daß die Wissenschaft derzeit den Nachweis einer solchen Beziehung nicht zu erbringen vermag. Wir teilen aber die Ansicht der drei genannten Würzburger Theologen, daß eine aUfällige Beziehung Jesu zu den Essenern und zu Qumran den christlichen Glauben in keiner Weise anfechten würde.

Ein sehr wesentlicher und nicht zu entbehrender PfeUer der Argumentation Lehmanns ist die Annahme, daß die Geheimakten der Essener unzweideutig die Grundlage des späteren christlichen Glaubens bildeten. Diese Geheimschriften hätten die große „Überraschung" gebracht, an der heute niemand mehr vorbeigehen könne.

Er formuliert diese „Überraschung" (auf der Innenseite des Umschlages) wie folgt: „Begriffe, Worte und ganze Sätze aus den Schriftenrollen kannte man längst: sie standen im Neuen Testament, oft als Aussprüche des Jesus von Nazareth. Da die Schriften vom Toten Meer älter sdnd als das Neue Testament, ja noch vor der Geburt Jesu aufgezeichnet wurden, stellt sich die Frage, ob nicht jenes Kloster von Qumran, unweit von Jericho gelegen, … die eigentliche Wiege des Christentums ist, und ob Jesus nicht ein Essener war."

Wenn rnąn, ęn Uepcfct jffąiįįef;~,pest, wartet man gespaairtt aiif .den Beleg für diese Behauptung von der Ähnlichkeit zwischen Neuem Testament und den Geheimschriften der Essener, die sogar auf eine „direkte Abhängigkeit" (S. 72) des Testamentes schließen lasse. Auf Seite 70 des Reports versucht Lehmann auf eine geschickte, aber den Kenner keineswegs überzeugende Weise diesen Beleg zu bringen. Es heißt dort: „Wer auch nur eine schwache Erinnerung an Bibelverse hat, der glaubt die Bibel zu lesen, wenn es im Sektenkanon (der Essener) heißt:

durch seine Erkenntnis wurde alles, und was ist, richtet er nach seinem Plan. Außer durch ihn aeschieht nichts."

Das ist alles, was er zur Beweisführung angibt, indem er es in Vergleich stellt zu den Worten des Johannesprologs: „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott… Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist…" Bs handelt sich aber offensichtlich nicht etwa um ©ine Textgleichheit (wie Lehmann uns glauben machen möchte), sondern um eine inhaltliche Ähnlichkeit. Wenn man hier aber trotzdem eine konkrete Beziehung sehen will, so braucht man nur auf das Alte Testament, insbesondere die Weisheitsbücher zurückzugreifen, um für beide Texte eine gemeinsame „Quelle" zu finden, die sowohl den Essenern wie Johannes zugänglich war. Lehmann scheint selber das Gefühl zu haben, daß seine Beweisführung etwas dürftig ist. Er schreibt auf Seite 73 oben: „Ich habe bisher nur ein vielleicht zufälliges Beispiel verblüffender Übereinstimmung genannt, und ich weiß, ich bin noch eine Reihe anderer Beispiele schuldig, bevor man sich ein Urteil bilden kann. Aber, ich meine, es ist nur ein erstes Beispiel von vielen, die ich später noch aufzeigen will!" Wir sind der Ansicht, daß ein redlicher Streiter in diesen hohen Belangen — und das sind sie weiß Gott — nun zumindest einige wenige der „vielen" Beispiele wörtlich aufführen müßte, gleich hier oder wenigstens später. Nichts davon ist der Fall.

Mit beträchtlicher Leidenschaft und nicht geringer Anmaßung wird in dem „Report" vorgetragen, daß die abendländistie Kirche und die Theologie Jesus falsch gesehen hätten. Er führt das auf Seite 188 wie folgt aus: „Wenn Kirche und Theologie wirklich den historischen Rabbi Jesus meinten, dann müßten sie von einem Mann sprechen, der radikale Besitzlosigkeit forderte, um dadurch um so strenger das Gesetz des Moses halten zu können; sie müßten ihn als einen Mann schildern, der durch und durch Jude war und unter dem

Kommen des Reiches Gottes kein geistiges Ereignis, sondern die durch Frömmigkeit herbeigezwungene Selbständigkeit des auserwählten jüdischen Volkes verstand. Statt dessen verkünden sie einen verdunkelten und verzerrten, durch Geschichte und Tradition entstandenen ,Chrisus’, in dem sich Rabbi Jesus, wenn überhaupt, nur mit Erstaunen oder mit Entsetzen wiedererkennen würde. Sie sprechen vom Erlöser und vom Auferstandenen, sie nennen ahn Sohn Gottes, der unsere Sünden trägt, den Vermittler, Versöhner und Herrn; sie bekennen noch heute im Glaubensbekenntnis, er sei von einer Jungfrau geboren und in den Himmel aufgefahren, sitzend zur Rechten Gottes — und nicht bei einem einzigen Wort würde Rabbi Jesus sich im Spiegel wiedererkennen und sagen: Ja, das bin ich." Wenn man den Beweisen und Belegen von Lehmann nachgt, macht man immer wieder die Erfahrung, wie fadenscheinig und unzutreffend sie sind. Das bezeugt aucSi Dautzen-berg (auf Seite 92 des Buches „Rabbi Jesus"): „Wer das Buch (von Lehmann) einmal durchgearbeitet hat, ist in der Lage, noch viele (solcher) Widersprüche nachzuweisen, die eigentlich Lehmanns Anspruch, ganz abgesehen von der wiesenschaft-iichen Seite, diskriminieren müßten. Aber offensichtlich ist der ,Jesus-Report’ mediengerecht und markt-konform verfaßt und dementsprechend von den Redaktionen des Süddeutschen Rundfunks und der

Illustrierten ,Stem’ unci vom Lektorat des ,Sachbuch’-Verlages Econ übernommen worden." Das bisher Geigte dürfte ausreichen, um darzutun, daß die Methode Lehmanns keinerlei Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben kann. Wenden wir uns aber noch kurz seiner Behauptung zu, Jesus sei von Pilatus als wirklicher politischer Rebeli verurteilt worden. Diese Behauptung stellt eine derartige, allen historischen Grundlagen widersprechende Ungeheuerlichkeit dar, daß sie nicht unwidersprochen bleiben darf. Um hier nur einiges anzudeuten: Jesus wird — dem biblischen Befund nach — vor Pilatus zwar der politischen Rebellion verdächtig gemacht und angeklagt: „Jeder, der S’ich selbst zum Könige macht, lehnt sich gegen den Kaiser auf!" (Joh 18, 34; 19, 12.) Aber gerade in diesem Anklagepunkt findet Pilatus „keine Schuld an ihm". Wie Pilatus im Verhör feststellt, bezeichnet sich der Angeklagte zwar als König, aber sein Reich ist, wie der Angeklagte dem Römer elaubhaft machen kann, „nicht von dieser Welt", sonst hätten ja seine Leute für ihn Rekämpft, damit er nicht denen in die Hände fiele, die ihn jetzt durch Pilatus umbringen lassen wollen, und er hätte seine Leute kämpfen lassen. Der Angeklagte ist offenbar keine Gefahr für den Kaiser und die Pax Romana, denn „Was ist Wahrheit?" Die Verurteüung Jesu als „König der Juden" — als politischer Rebell also — wird Pilatus unter massivem Druck abgenötigt. Die aufgewiegelten Masisen verlangen hingegen die Freilassung des Barabbas, eines

Mannes, der nun wirklich ein politischer Rebell und Mörder war, und deshalb vielleicht bei einem von diesseitigen messianischen Erwartungen erfüllten Volke eine gewisse Popularität besaß. Auch sonst im ganzen Neuen Testament keine Spur von politischer Rebellion; wenigstens die Versuchung mit dem Zinsgroschen — ein Versuch, Jesus über eine Verstrickung in die Politik zu ruinieren — sollte noch in Erinnerung sein. Die These, Christus sei tatsächlich wegen Rebellion gekreuzigt worden, entbehrt also in einem solchen Maße jeglicher Fundierung, daß man sich schon an den Kopf greift, wie so etwas mit einem noch so leisen Anschein der Historizität imd Wissenschaftlichkeit behauptet werden kann.

Wer sich in seinem Leben nur ein wenig mit dem N. T. befaßt hat — sei er nun überzeugter Christ oder nicht — weiß, daß darin ein Geist waltet, der mit politischer Rebellion nichts zu tun hat. Um das darzutun, ist es nicht einmal nötig, die Bergpredigt zu erwähnen, weil fast jeder Satz des Evangeliums von einem anderen Geist zeugt. In vergangenen Jahrzehnten bestand doch das „Ärgernis" umgekehrt gerade darin, daß das Christentum von vielen, die mit ihm nicht zu Rande kamen, als eine Religion der „Schwachen, der Sanftmütigen und Minderwertigen" gebrandmarkt wurde. Es genügt wohl, den Namen NietzBche zu nennen, um das überzeugend zu belegen. Der Satz vom Hinhalten der linken Wange forderte ja auch nur allzusehr den Spott des modernen „Übermenschen" heraus.

Nun soll auf einmal alles umgekehrt sein, indem man den Stifter des Christentums als ©inen Rebellenführer hinzustellen sicii unterfängt. Was das in seinen Konsecjuenzen bedeuten würde, was uns Lehmann da glauben machen will, brauchen wir den Lesern nicht erst klarzumachen. Der Herausgeber des Reports deutet es in seiner Buchausgabe selber an: Jesus-Report. Protokoll einer Verfälschung.

Man kann oder könnte den ganzen Report nur ernst nehmen, wenn man di3ießen wollitetai 22nd Usrauf zielt der Bericht ‘Isweifeilos ab —, allšš’uT^r Bord zu werfen, was das Evangelium und die ganze christliche Tradition in 2000 Jahren uns überliefert haben; er ist — darüber besteht kein Zweifel — auf totale Kapitulation ausgerichtet, wobei Lehmann in täuschender Weise etliche Stellen der Schrift, die ihm für seine Sicht der Dinge gelegen scheinen, als Belege heranzieht -, umd damit den Eindruck erweckt, als wäre er gar ein bibelfrommer Mann. Er macht sich endlich zum Richter über die Kirche (S. 189 ff) und schlägt ihr und ihrer Theologie gegenüber einen Ton an, wie sie nur einem Strafrichter gegenüber einem schwer beschuldigten Angeklagten zusteht, und das mit einer Anmaßung, wie sie heute in unserer zünftigen Justiz kaum mehr geübt wird. — Und das mit einer Million Auflage. Soweit sind wir also schon. Der ganze Report von Lehmann mjg einen ernsten Christen noch so dumm und oberflächlich vorkommen: er hat Methode. Es geht darum, den Wel-tenheilland Jesus von Nazareth zu einem kommunisttiischen Guerillaführer umzufunktionieren.

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