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Die DDR-Kulturgewaltigen führen seit einigen Jahren geschickt Regie. Kaum sind die West-Berliner Festwochen zu Ende, beginnen im Osten alljährlich die Berliner Festtage, das DDR- Konkurrenzunternehmen. Hier auf dem kulturellen Sektor hat sich die Parole „Überholen — ohne einzuholen“ längst bewahrheitet, wenngleich sie im ökonomischen Bereich noch nicht Realität wurde. Während im Westen kulturelle Festivals immer noch das Vorrecht einer kleineren Elite sind, trifft man in DDR-Thea- tern mehr und mehr einfache Arbeiter, hier Werktätige genannt.

Deshalb gab Festtagedirektor Wolfgang Lippert die Losung aus: „Echte Volkstümlichkeit ist der Tenor!" Daran hielt man sich. Etliche Uraufführungen, die sich mit Problemen des eigenen Staates auseinandersetzten sowie Gastspiele der Warschauer Oper und des Stadttheaters Göteborg bildeten heuer die Schwerpunkte. Nicht zu vergessen: die sensationelle „Don-Quichotte“- Ausgrabung an der Komischen Oper.

Rolf Schneiders Komödie „Einzug ins Schloß", uraufgeführt im Deutschen Theater, hat nur am Rande mit einem Schloß zu tun. Darin 1st nämlich eine Gaststube untergebracht, die zum Treffpunkt derer wird, die am Aufbau des Chemieriesen Schwedt mitwirken. Persönliches tritt nach und nach ganz in den Hintergrund, bis es nur noch ein Thema gibt: Schwedt. Darüber geht eine Liebe in Brüche, doch schließlich dämmert es sogar dem Wirt, daß an kollektivem Bewußtsein einiges dran sein müsse. Freilich schien mir manches allzu sehr durch eine rosarote Brille gesehen, doch dem DDR- Publikum gefiel es. Außerdem: im Westen bleibt Gegenwartsdramatik

— in gewohnter Manier — schön brav im privaten Bereich. Wagt sich einmal ein Autor Ein die Arbeitswelt heran, Kellings „Auseinandersetzung“ bewies es zur Genüge, gibt es Probleme.

Doch zurück zu Schneiders Komödie: Hans Georg Simmgen inszenierte flüssig, verlieh den verschiedenen Typen Profil. Namentlich zu nennen: Ursula Staack, Alexander Lang, Peter Bause, Horst Wein-

heimer, Erhard Marggraf und Walter Lendrich, die den kurzweiligen Abend trugen.

Rainer Kemdl, Theaterkritiker des SED-Zentralorgans „Neues Deutschland“, steuerte im Maxim-Gorki- Theater mit „Wann kommt Ehrlicher“ eine weitere Uraufführung bei. Jürgen Beckeimann, der bekannte Rezensent, meinte, es sei etwa eine „Zimmerschlacht“ (Walser) auf sozialistisch daraus geworden. In der Tat: das Schlafzimmer des Direktors eines volkseigenen Werkes wird zum Schauplatz politischer und privater Konflikte. Die kurze Wartestunde auf Ehrlicher, den gemeinsamen Schulfreund, wird für den Direktor und seine Frau zur Stunde der Selbsterkenntnis. Der Direktor, voller Selbstgerechtigkeit, ist ein Manager, der über die Köpfe der Menschen hinweg bestimmt. Beide leben aneinander vorbei. Zusätzlich in Frage stellt diese Ehe Susanne, eine alte Bekannte, die plötzlich auftaucht. Einiges am DDR- Management mißfällt ihr — sie schwärmt von der wahren Revolution (Pariser Maitage). Dramen solcher Art — ohne jegliche Schönfärberei — braucht das DDR- Theater.

Zweimal sah man Brecht im Stammhaus des Dichters, im „Berliner Ensemble“.

Begeistert gefeiert würde, und das will etwas heißen, das Gastspiel des Stadttheaters Göteborg mit Brechts „Herr Puntila und sein Knecht Matti“. Dieses Theater, neben dem Dramatischen Theater Stockholm die führende Bühne Schwedens, ist seit Jahren eine Heimstätte des politischen Dramas. Der Regisseur Ralf Langbacka, fünf Jahre in der Hafenstadt tätig, trägt daran den Hauptanteil. Sein „Puntila“ macht deutlich, daß es nicht wesentlich ist, für den betrunkenen oder nüchternen Gutsbesitzer Partei zu ergreifen, sondern die Figur im Verhältnis zur Gesellschaft zu bewerten. Mattis Rolle ist darauf angelegt, die Klassengegensätze deutlich zu machen. „Galileo Galilei“, Brechts Sorgenkind, Inszenierte der Gastregisseur Fritz Bennewitz mit hauseigenen Kräften. Wolfgang Heinz in der Titelrolle Setzte einen Maßstab für künftige Interpretationen.

Beste Vorsätze stampfen noch keine Oper aus dem Boden. Das erfuhr der Eisler-Schüler Günter Kochan mit seiner Erstlingsopfer „Karin Lenz“. Erik Neutsch lieferte ihm für die Uraufführung an der Deutschen Staatsoper ein Libretto, das sich an einer wahren Begebenheit orientierte. Karin Lenz tötete in den letzten Kriegstagen aus Angst vor den Russen ihr Kind. Sie selbst überlebt — mit Hilfe der Russen. Ihren Geliebten, von dem sie ein Kind erwartet, klagt sie vor Gericht an, weil er Betriebsgeheimnisse an ausländische Firmen verrät. Sich selbst bezichtigt sie des Kindesmordes. Doch der Staatsanwalt Baumann verurteilt sie nicht: für diese Tat seien nicht die Unterdrückten verantwortlich, sondern die Unterdrücker. — Daß keine Oper daraus wurde, lag vor allem an der Musik: in den Chören klang sie allzu sehr nach Gesangsverein.

Im selben Haus gastierte die Warschauer Oper (Teatr Wielki) an einigen Abenden. Kaum im Westen zu hören: „König Roger“ von Karol Szymanowski. Allerdings nicht grundlos: die Musik ist bestenfalls ein matter Richard Strauss, „Daphne“- und „Elektra“-Anklänge nicht verleugnend. Dürftig die Handlung: König Roger steht allein gegen einen Hirten, dessen Religion sein Volk samt Tochter „verzaubert“. Man hörte Andrzej Hiolski in der Titelrolle, Hanna Rumowska- Machnikowska als Tochter und Kazimierz Pustelak als Hirtengott.

Massenets „Don Quichotte“ inszenierte Götz Friedrich, Felsensteins Paradeschüler, als flotte Politrevue. Don Quichotte (Ullrich Cold) irrt duch eine spätbürgerliche Welt — die Handlung wird ins Jahr 1910 verlegt — die er nicht versteht. Er paßt ebensowenig zur vordergründigen Bühnenfassade wie zur Dulcl- nea (Libuse Marova), hier eine offenherzige Kurtisane.

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