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Was Sonja verzweifelt macht
Sonja ist Mutter von drei Kindern und mit dem vierten schwanger. Sie ist verzweifelt. Endlich ist sie wieder ein bißchen unabhängiger von ihrer Familie. Sie ist nicht mehr ausschließlich Mutter, sondern kann auch außerhalb des Hauses als Frau wieder „ihren Mann stellen“.
Und jetzt erneut zurück an den Herd, dorthin durch monatelanges, alleiniges Kinderbetreuen gefesselt? Wieder nur die Gefühle der Kinder fühlen und die Gedanken ihres Mannes denken? Wieder nur von allen abhängig sein? Sie fühlt sich verlassen, fast zu müde, sich mit der neuen Aufgabe überhaupt auseinanderzusetzen.
Sie liebt ihr Ungeborenes wie ihre anderen Kinder. Sie denkt nicht an Abtreibung. Sie will dieses Kind zur Welt bringen. Doch sie weiß nicht, ob sie das nochmals schafft.
Wer hat dieser Frau den Mut, den Optimismus genommen? Ich wage zu behaupten: Wir alle! Weil wir alle dafür mitverant-
wörtlich sind, wie nahe wir unserem Nächsten stehen.
Kürzlich erlebte ich eine erschütternde Diskussionsveranstaltung. Eine von Männern dominierte Runde erging sich über das Problem der Abtreibung — anders ist es nicht auszudrücken. Fast alle sind akademisch gebildet, alle sind stolz darauf, „echte“ Katholiken zu sein.
Das Abtreibungsproblem wurde theoretisch abgehandelt. Da gab es einerseits eine juristische Lösungsmöglichkeit, und dort waren andererseits die biologischen Fakten. Die Frau blieb auf der Strecke. Es wurde nicht ein mal der Versuch unternommen, ihre seelische Verfassung in manch schwieriger Situation zu beachten, geschweige denn zu verstehen.
Das wurde auch offen ausgesprochen: „Die Mutter ist bei der ganzen Abtreibungsproblematik schon wichtig, aber primär doch das Kind“, stellte ein „hoffnungsvoller“ Jungkatholik fest, dem Nächstenliebe über alles geht. Er vermeint, eine Auswirkung (= Abtreibung) bekämpfen zu können, ohne dabei die Ursache (= Not der Mutter) in Betracht zu ziehen.
Warum ist hier keine der anwe-
senden Mütter aufgesprungen, warum hat sich keine zur Wehr gesetzt? Mir — als Nicht-Mutter — hat es den Magen umgedreht.
Warum können Männer und Frauen, deren höchstes Ideal die „lebenslange Nur-Mutterschaft“ ist, nicht begreifen, daß sich viele Frauen auch andere Dinge vom Leben erwarten? Nämlich jene Dinge, die in unserer Gesellschaft allen Männern zugestanden, aber immer noch den wenigsten Frauen zugebilligt werden: wie etwa das Recht auf außerhäusliche Tätigkeit, auf konstante Fortbildung oder ganz einfach auf einen gewissen persönlichen Freiraum?
Wüßte Sonja, daß sie auch nach der erneuten Schwangerschaft ein Anrecht auf all diese Dinge hätte, würde sie ihr nächstes Kind ausschließlich mit positiven Gedanken erwarten. So kann ihr aber niemand den seelischen Zwiespalt abnehmen, der sie in den neun Schwangerschaftsmonaten ständig begleiten wird.
Die Autorin studiert in Wien Publizistik, Germanistik und Geschichte, unterrichtet nebenbei Volksschulkinder und ist freie Journalistin.
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