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Die „abhängigen“ Unabhängigen
Wie abhängig sind die Unabhängigen? Eine provozierende Frage ruft nach provozierenden Antworten. Etwa: Im Prinzip genauso wie die anderen. Wenn man will: Gar nicht. Aber da die Frage nur fünf Wörter umfaßt und für die Antwort ungleich mehr Platz vorgesehen ist, wird wohl eine stärkere Differenzierung erwartet. Sie muß von einer unerläßlich erscheinenden Begriffsklärung ausgehen: Was hierzulande unter „unabhängig“ firmiert, versteht sich von vornherein als „parteiunabhängig“, konkret: als Zeitung, deren Herausgeber nicht eine politische Partei ist. Andernfalls könnten von Interessengruppen herausgegebene Journale nicht sich ins stolze Kleid der Unabhängigkeit gewanden, wie es jedoch geschieht.
Genauer: Keine Zeitung könnte es tun, gibt es doch in jeder von ihr bestimmte Abhängigkeitskonstellationen. Der Herausgeber zum Beispiel hat in jedem Fall das Recht der Einflußnahme auf die große Linie seines Blattes. Auch der Pressegesetzentwurf 1961 hat in Paragraph 2, Absatz 6 den Herausgeber unbestritten als „jene natürliche oder juristische Person oder Personengesellschaft des Handelsrechts“ definiert, „die die geistige Richtung der periodischen Druckschrift bestimmt“.
Jeder Herausgeber macht von diesem Recht legitimer- und logischerweise Gebrauch — nicht zuletzt jener, der seinen Redakteuren sagt: „Schreibt, was ihr wollt, es muß nur die Auflage steigern!“ Freilich: Die „geistige Linie“ läßt einen weiten Spielraum für journalistische Eigenverantwortlichkeit. In ihm siedeln starke oder schwache Persönlichkeiten. Starke: Dann gibt es profilierte Meinungen — selbst in Parteizeitungen. Schwache: Dann gibt es kriecherischen Konformismus — selbst in Nichtparteiblättern.
Die Erfahrung in Österreich hat freilich gezeigt, daß verschiedene Arten von Herausgebern ihr geistiges Bestimmungsrecht verschieden extensiv auslegen. Wo ein Privat- und nicht nur Strohmann nicht nur Herausgeber, sondern auch Eigentümer des Blattes ist, sucht er sich zumeist Journalisten, mit deren Grundauffassung er sich eins weiß, und läßt ihnen ein Höchstmaß an Eigenverantwortung. In einem solchen Fall wird geistige Unabhängigkeit zumeist am stärksten fruchtbar.
Politische Parteien als Herausgeber können im Regelfall der Versuchung nicht widerstehen, ihren Redaktionen auch tagespolitischen Konformismus vorzuschreiben — meist zum Schaden des Blattes und auch der Partei. Freilich gibt es auch in diesem Bereich Ausnahmen (bei den, ach, so kollektivistischen Sozialisten übrigens eher noch als bei der, ach, so individualistischen Volkspartei). Katholische Preßvereine als Herausgeber haben dagegen in den letzten Jahren überwiegend eine bemerkenswert liberale Führungshaltung eingenommen. Materielle Interessenvertretungen als Herausgeber sind zumeist „aiibiliberal“: Sie lassen maßvolles Lob über Interessengegner und maßvolle Eigenkritik zu, solange für sie daraus kein unmittelbarer Nachteil entsteht; in wesentlichen Fragen regiert, nein, diktiert, allein der Eigennutzen.
Einflußversuche seitens der Inserenten, wie sie jedes Blatt kennt, werden in der Regel von außen überschätzt. Sie beziehen sich so gut wie immer höchstens auf das Verlangen nach Gefälligkeitstexten im redaktionellen Teil, nie aber auf die geistige Linie eines Blattes. Ein sehr wesentlicher Einfiußfaktor in jeder Zeitung ist dagegen natürlich der Leser. Leserwünsche sind selbstverständlich legitim — ihre in Grenzen zu haltende Erfüllung entehrt die Zeitung nicht.
Es kommt freilich auf die Grenzen an: Eine Zeitung muß auch den Mut haben, in grundsätzlichen Fragen einem erheblichen Teil ihrer Leser zu widersprechen, wenn sie glaubwürdig bleiben will. Wo prinzipiell den Lesern nur nach dem Mund geredet wird; wo kein Kommentar ein Urteil enthält, das nicht im nächsten Satz schon wieder eingeschränkt wird; wo das Bemühen, möglichst vielen in möglichst vielem rechtzugeben, unverkennbar ist: dort ist nackter Egoismus am Werk, der geistiger Unabhängigkeit, was immer der Zeitungskopf proklamieren mag, wenig Platz läßt.
Rekapitulieren wir noch ekumal die solcherart skizzenhaft angeführten Abhängigkeiten: Herausgeber, Leser, Inserent, Gewissen (die Reihenfolge will wertungsfrei verstanden sein). Dann muß man offen sagen: Jede dieser Abhängigkeiten ist jeder Zeitung eigen.
Die Frage nach der Unabhängigkeit eines periodischen Druckwerkes reduziert sich daher auf die Frage nach der PersöniMchkeitspotenz der Herausgeber und der Redakteure. Wo Respekt vor geistiger Liberalität und Gewissen den Vorrang genießt, werden Großzügigkeit, Aufgeschlossenheit und Offenheit, das aber heißt umfassende Information und gewissenhafte, wenn auch durchaus profilierte Kommentierung, gedeihen. Wenn es einem Herausgeber oder einem Herausgeberkollegium nur um den materiellen Vorteil, um Befriedigung eines persönlichen oder parteilichen Machtbedürfnisses geht, wenn noch dazu Kurzsichtigkeit und Engstirnigkeit am Werk sind, in der Redaktion aber Willfährigkeit, Bequemlichkeit und Selbstgenügsamkeit — dann muß das Produkt solcher Ver-schwisterung verkümmern.
Daß es alle diese Eigenschaften in wechselnder Intensität überall, den chemisch reinen Prototyp demnach nirgends gibt, erklärt die bunte Vielfalt auch auf diesem Gebiet menschlichen Schaffens — und birgt die Chancen für jenen, der sie zu nutzen versteht.
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