Mehr als ein "irdisch Ding"

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Es ist in Mode gekommen, von einer "Religion des Geldes" zu reden. Bei der Ökumenischen Sommertagung in Kremsmünster wird dieser Tage darüber nachgedacht.

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Es ist in Mode gekommen, von einer "Religion des Geldes" zu reden. Bei der Ökumenischen Sommertagung in Kremsmünster wird dieser Tage darüber nachgedacht.

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Es besteht kein Zweifel: Armut beschränkt die Lebenschancen. Reichtum öffnet viele Tore, schenkt ungezählte Möglichkeiten, gewährt Freiheit. Und doch ist der Schluss nicht zulässig, dass mehr Geld automatisch mehr Freiheit bringt und garantiert. Das menschliche Verhältnis zum Geld ist weniger selbstverständlich als es scheinen möchte.

Geld ist nicht einfach ein "rein irdisch Ding". Es scheint etwas dran zu sein, das die Menschen seit jeher fasziniert und in Beschlag nimmt ... Und wem wird nicht unheimlich, wenn bei derzeitigen Bank- und Firmenfusionen von Summen die Rede ist, die sich niemand mehr vorzustellen vermag? Die Frage kommt auf: Gibt es dieses Geld wirklich, oder ist es nur eine fiktive, virtuelle Größe? Was besitzt eigentlich ein Mensch, der meint, am Konto viel Geld zu haben? Stimmt es, dass "Geld die Welt regiert"? Und was heißt das eigentlich? Ist die unterdessen global gewordene Geld-Gesellschaft der Multis, Börsen und Großbanken letztlich etwas anderes als eine riesige Glaubens-Gemeinschaft, in der alle in Spielregeln eingebunden sind und die von nur wenigen bestimmt und dirigiert wird? Ist das Geld zum omnipräsenten Herrschafts- und Druckmittel geworden, dem quasi-göttliche Qualitäten zueigen sind?

Was ist Geld?

wie wirkt Geld auf die Menschen?

Zunächst muss festgehalten werden, dass das Geldwesen eine kulturelle Errungenschaft darstellt, die das Zusammenleben der Menschen und Völker in vielem erleichtert, strukturiert, "codiert". Es ist in mehrfacher Hinsicht ein Mittel: Mittel des Tausches, zur Zahlung, zur Bewertung. Es hat damit wesentlich den Charakter der kommunikativen Vermittlung zwischen den Menschen (und dem was sie wollen). Der Geldverkehr drückt aus, welche Güter als wertvoll erachtet werden (welche also hergestellt werden und in den Handel kommen) und welche Ziele verfolgt werden. Es ist nicht nur ein Preisindikator für Produktion und Konsum, es ist auch Bewertungsinstrument für Dienstleistungen, für den freien und spielerischen Umgang mit allerlei Dingen, für Spekulation et cetera. Sosehr dem Geld die objektive Qualität der Verrechenbarkeit eigen ist, so transportiert es doch auch persönliche Intentionen (von der Hoffnung, an es heranzukommen bis zur Solidarität in einer Spende); freilich zieht es dabei das Gewand der Anonymität an.

Geld in den Händen (und ebenso in den Hirnen und Herzen) von Menschen bedeutet Wahlmöglichkeit, damit auch Souveränität. Es birgt auch die Chance, am Weg der Ersparnis Sicherheit zu bevorraten. Geld vermag unvorstellbar viel; es ist "ein Zaubermittel, mit dessen Hilfe man alles in alles verwandeln kann" (Michael Ende). So besehen kann es hilfreich und ein Segen sein fürs Eigene und fürs Gemeinsame ...

Die Magie des Geldes, sein "Fetischcharakter" Was aber ist es um den Zauber, der vom Geld ausgeht? Wie kommt es, dass Geld und Finanzwesen so mystifiziert werden, dass es "Geldmythen" gibt (Walter Hollenweger), dass Bernard A. Lietaer, einer der Konstrukteure des Euro mit seinem Buch "Mysterium Geld - emotionale Bedeutung und Wirkweise eines Tabus" (Mönchengladbach 2000) Aufsehen zu erregen vermag?

Nach der Weltwirtschaftskrise hat Walter Benjamin eine Skizze über "Kapitalismus als Religion" entworfen und ihn als "Parasiten des Christentums" qualifiziert. Er erkannte im Monetarsystem eine ähnliche und analoge Struktur wie in der christlichen "Heilslehre".

Darauf hatten aber in den 40-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts schon Karl Marx und einige in seinem Umkreis (besonders Moses Hess mit der Schrift "Über das Geldwesen") hingewiesen und von quasi-religiösen Gehalten im Waren- und Geldverkehr gesprochen.

Am Anfang des "Kapitals" ist die Rede vom "Fetischcharakter" der "anscheinend selbstverständlichen, trivialen Dinge, die aber eigentlich sehr vertrackte Dinge sind, voller metaphysischer Spitzfindigkeiten und theologischer Mucken." Schon 1843, in der Kampfschrift "Zur Judenfrage" formulierte Marx: "Der Gott des praktischen Bedürfnisses und des Eigennutzes ist das Geld ... (es) ist das dem Menschen entfremdete Wesen seiner Arbeit und seines Daseins, und dieses fremde Wesen beherrscht ihn, und er betet es an." Es ist die Denkfigur der Entfremdung (im Gefolge von Ludwig Feuerbach), die hier erkennbar wird: Die Verhältnisse sind auf den Kopf gestellt, die Subjekt-Objekt-Relation ist pervertiert: die Menschen, die bestimmen und beherrschen sollten, werden zu Beherrschten und Abhängigen.

Marx hatte die Schrift von Charles de Brosses über den Fetisch (von 1760) rezipiert; und in der Folge sah er im Geldverhalten eine religiöse Haltung, einen Fetischdienst: ein Vertrauen in (vermeintlich) machthaltige und machtausübende Dinge, eine "Verehrung von leblosen Gegenständen aufgrund einer ihnen innewohnenden Macht und Kraft". So wird "Geld zum Gott des Alltags", dem aufgrund von angenommener Allgegenwart, Allmacht und Erlösungskraft mindestens so viel "Glauben" entgegengebracht wird wie dem souveränen Gott der klassischen Religion(en).

"Ein wenig Gott - ein wenig Mammon"?

Was Marx analysierte ist in der jüdisch-christlichen Glaubens- und Denktradition vorstrukturiert: Es ist die Relation vom ersten und zweiten der zehn Gebote; es ist die Frage nach Gott und/oder Abgott (Götze, Mammon).

Die Tendenz ist unübersehbar, dass der Mensch seine Freiheit nicht voll zu verantworten vermag, dass er sich (immer auch) abhängig macht vom Produkt seiner eigenen Gedanken und Hände. Wir produzieren in der "Selbstentäußerung" nicht nur brauchbare Gegenstände, wir schaffen auch Idole und Fetische. Friedrich Engels sah es richtig: "Jedes Ding kann für dich zum Gott werden; du musst es ihm nur lang genug sagen". Der jüdisch/christliche Impuls hält dagegen: Solche Abhängigkeit kann durchschaut und überwunden werden.

Das Entlastungs- und Befreiungsgeschenk des lebendigen Glaubens und das Vertrauen in den lebendigen Gott bestehen darin, die Fetische, Götzen wieder relativieren zu können, ihnen den Charakter des Mittels, nicht den eines Ziels zuzumessen.

In der Bibel wird das Beziehungsproblem "Mensch und Besitz" ähnlichlautend beschrieben, insbesondere im Verweis auf die "Habsucht, die ein Götzendienst ist" (Kol 3,5). Die biblische Habsucht meint einen Hang zum Nicht-genug-kriegen-Können, zum Immer-noch-mehr-nötig-Haben; das produziert in einem aber auch die Angst und Enge, die sich in Gier, Neid und Geiz in den Menschen inkarniert. Wohin das "Jedermann" führen kann, zeigen ungezählte Beispiele. Ein die Dramatik und Tragikomik dokumentierendes Stück solchen Lebens begegnet uns in Friedrich Dürenmatts "Besuch der alten Dame": Es wird augenscheinlich, wie die Welt und die Menschen im Geldmythos erstarren, erfrieren, zum Töten bereit werden ...

Gibt es eine Moral aus solchem Befund? Sie wird dahingehend zu sehen sein: Die berechtigten Attacken der Religionskritik sind nicht nur auf die klassische Religion gerichtet; sie gelten um nichts weniger auch für die Kulte, Mythen, magischen Praktiken der (Wohlstands-)Gesellschaft von heute, die im Geldwesen ihr Alltagskleid haben. Eine Gesellschaft, die durch das reinigende Bad solcher Kritik gegangen ist, kann im Geld mit Recht einen Segen sehen, weil es der Freiheit und dem Leben dienen kann. "Das Geld wurde für die Großherzigen und Freigiebigen gemacht".

Das bedeutet aber auch Einübung in die Souveränität, die sich nicht allein aus Geld und Besitz aufbaut. Eine Souveränität, die im Glauben an den Besitz-relativierenden Gott begründet ist, hat zu tun mit einer Menschenwürde, die jenseits des nur ökonomischen Kalküls liegt. Und das ist das Fundament der Freiheit, die es ermöglicht, zu "besitzen ohne besessen zu sein" (1 Kor 7,29-31).

Der Autor, Augustiner-Chorherr in St. Florian, ist Professor für Gesellschaftslehre an der Theologischen Hochschule in Linz.

Hörfunktipps Sendungen zur Ökumenischen Sommerakademie 2000, "Gott oder Mammon - Christliche Ethik und die Religion des Geldes" * Praxis - Religion und Gesellschaft Montag, 17. Juli, 21.30 Uhr, Ö1 * Logos - Theologie und Leben Samstag, 9. September, 19.05 Uhr, Ö1 * Logos - Theologie und Leben Samstag, 16. September, 19.05 Uhr, Ö1

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