"Religiöse Resteverwertung"

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Der deutsche Theologe und Religionsphilosoph Hans-Joachim Höhn ortet im Furche-Gespräch eine Instrumentalisierung religiöser Motive in der Werbung, konstatiert das Schwinden der Religion als "Kitt der Gesellschaft" und wünscht sich zeitgemäße Buchstabierübungen des Glaubens.

Die Furche: Wir leben in der eigenartigen Situation, dass das Ende der Religion verkündet wurde - und gleichzeitig erleben wir eine Renaissance religiöser Formen in verschiedensten Bereichen. Wie deuten Sie diesen Befund?

Hans-Joachim Höhn: Der Befund ist in der Tat irritierend, denn es sind zwei gegenläufige Bewegungen, die aber vielleicht doch mit dem einen Prozess der Modernisierung unserer Gesellschaft zusammenhängen. Es scheint einerseits so zu sein, dass die Säkularisierung den Scheitelpunkt erreicht hat, dass sie sich inzwischen selber aufzehrt und deswegen eine neue Nachfrage nach Religion erzeugt. Damit einher geht allerdings eine Verlagerung: Die traditionellen religiösen Sinnfragen äußern sich jetzt wieder auf säkularem Feld; sie werden allerdings auch in säkularen Bereichen unserer Gesellschaft beantwortet, etwa im Bereich der Esoterik oder des Ästhetischen.

Die Furche: Als was hat Religion aufgehört zu existieren - und als was überlebt sie?

Höhn: Religion ist sicher immer weniger der Kitt der Gesellschaft, der den Fliehkräften einer hochgradig individualisierten Gesellschaft etwas entgegen setzen könnte. Die Relevanz der Religion in diesem Sinn ist ebenso gesunken wie ihre Relevanz als Zuchtrute in der Pädagogik. Was neu begonnen hat, ist die Nachfrage nach den nichtreligiösen Funktionen der Religion. Also die Nachfrage nach den ästhetischen, therapeutischen Nebenwirkungen religiöser Praxis. Da erleben wir im Bereich unserer Kultur, etwa in der Werbung oder im Marketing, dass hier die Verpackung oder die Ästhetik religiöser Traditionen übernommen wird. Allerdings werden die Inhalte herausoperiert, sie werden entkernt.

Die Furche: Viele sehen darin nur Blasphemie - oder jedenfalls das Abdanken der Religion ...

Höhn: In der Tat gibt es eine ganze Reihe von Klischees, die in der Werbung einfach nur benutzt werden. Diese Plakate mit Klerikern oder Ordensschwestern arbeiten mit Simpelst-Klischees - insofern wäre hier tatsächlich nur eine Art von Resteverwertung religiöser Traditionen zu konstatieren. Etwas anderes ist es, wenn in der Bildsprache, in der formalen Gestaltung Elemente christlicher Ikonographie aufgegriffen werden, indem etwa bestimmte Heiligendarstellungen kopiert werden. Hier lohnt ein zweiter Blick: Wie kann so etwas heute noch positive Resonanz erzeugen, wo doch Religion andernorts so eine schlechte Presse hat? Hier dementiert also die religiöse Ästhetik die pure Instrumentalisierung zu ökonomischen Zwecken ein Stück weit.

Die Furche: Wie sollen religiöse Menschen und Kirchen damit umgehen? Soll man in den Strom des Heute steigen oder soll man auf Widerstand setzen?

Höhn: Es bringt kaum etwas, nur religiöse Doubletten hervorzubringen, die das noch einmal kopieren, was etwa in der Werbung an religiösen Instrumentalisierungen stattfindet. Eine solche Form der Rückaneignung religiöser Traditionen ist wahrscheinlich aussichtslos. Ebensowenig halte ich es für sinnvoll, rein auf die Kontrastfunktion zu setzen und Religion zu einem Gegenentwurf zum modernen Leben zu stilisieren. Ob es nun einen Mittelweg gibt, das ist die große Frage. Jedenfalls wäre das die eigentliche Herausforderung: dass man sich weder in die Position begibt, mit der eigenen Weltfremdheit gut dazustehen, noch dem Zerstreuungsszenario der Erlebnisgesellschaft noch eine religiöse Variante hinzufügt. Christliche Zeitgenossenschaft kann nicht anders, als auf das eingehen, was an der Zeit ist - aber auch das thematisieren, was über die Zeit hinausweist. Insofern kann der Ort christlicher Selbstbehauptung in der modernen Kultur gar nicht anders, als in der Kultur sein.

Die Furche: Wie soll man mit Menschen umgehen, die nicht mehr das suchen, was die Religionsgemeinschaften anbieten wollen, sondern etwas nach ihrer eigenen Façon?

Höhn: Vielleicht kommt man weiter, wenn man sich an eine brauchbare Definition von Religion erinnert:dass sie das verkörpert, was den Menschen fehlt und was zu ihnen passt, und dass das ihnen Passende so zu ihnen gehört, dass sie das Recht haben, jene Fragen zu stellen, auf die Religion hin als Antwort bezogen werden kann. Es ist also die Bereitschaft seitens der Kirchen gefragt, nicht selber die Kriterien zu definieren, die es erlauben, am religiösen Leben teilzuhaben. Dazu gehört auch, dass man den eigenen Bestand religiöser Riten freigibt und den Zeitgenossen die Chance gibt, sich das zu nehmen, was ihnen die Bruchstellen in ihrem Leben zu bewältigen hilft. Der jeder religiösen Anpasserei unverdächtige Roger Schütz hat einmal gesagt: "Lebe das vom Evangelium, was du daran verstanden hast." Das heißt, entdecke die für dich persönlich bestehende Aussage, die es im Evangelium gibt.

Die Furche: Das heißt: Die christliche Tradition gehört nicht den Christen allein.

Höhn: In der Tat. Jeder Christ, der eine gewisse Glaubensbiographie mitbringt, hat ohnehin auch eine eigene Kompetenz erworben, sich den Glauben zu deuten. Wenn wir in frühere Generationen zurückschauen, was dort an Volksreligiosität antreffbar war, so gab es immer das selbstgenommene Recht, in gewisser Distanz zur offiziell dekretierten Frömmigkeit eine eigene Glaubensgestalt zu finden.

Die Furche: Wie geht man mit Moral um? Es sind Zeitgenossen vielleicht zu Recht allergisch auf Moralisierung, die die Kirche lange betrieben hat. Andererseits ist das Christentum nicht ohne Handlungskonsequenzen denkbar.

Höhn: Das ist ein Dilemma. Die Kirche hat in den letzten 30 Jahren gemeint, sie kann gesellschaftliche Nachfrage für das Christentum dadurch wecken, dass sie zeigt, wie sie für die Lebenspraxis belangvoll ist. Dahinter steht sicher, dass der Glaube nicht folgenlos bleiben darf. Wenn allerdings die Auslegung des Glaubens und seiner Konsequenzen stets im Modus der Moral stattfindet, dann sind wir sehr schnell in einer bloß moralisierenden Glaubensformulierung. Die mystischen, ästhetischen, therapeutischen Elemente sind hierbei weitgehend unterschlagen worden und müssen jetzt mühsam wieder erarbeitet werden - was unbedingt nötig ist, denn es handelt sich um eine Engführung. Den Glauben entweder im Modus des Dogmas oder der Moral festzulegen, heißt ihn zu verkürzen.

Die Furche: Sie unterscheiden sich von vielen pessimistischen Ansätzen, die vom "Verdunsten" und "Versickern" des Glaubens reden ...

Höhn: Ich bestreite nicht, dass wir Verdunstungsphänomene des Glaubens zu konstatieren haben, aber mein Interesse geht dahin, aus dieser Depressionskultur in der Weise herauszukommen, dass wir wieder religionsproduktive Orte und Zeiten in unser Blickfeld rücken und uns daran machen, eine zukunftsfähige Sozialform des Christentums zu modellieren. Versickern bedeutet ja nicht einfach Verschwinden, sondern wenn das Wasser versickert, dann dringt es vielleicht sogar ein in die grundwasserführenden Schichten des Bodens. Meine Beobachtung ist die, dass die Wurzelkräfte der nichtreligiösen Felder unserer Kultur dieses Grundwasser wieder ansaugen. Wir haben also das irritierende Phänomen vor uns, dass einerseits die religiösen Parzellen unserer Kultur austrocknen, dagegen aber die nichtreligiösen Parzellen sich von diesem unterirdischen Wasser wieder nähren und religiöse Blüten tragen.

Die Furche: Haben Sie persönlich Vorstellungen, wie das weitergehen könnte?

Höhn: Wir müssen sicher für eine gewisse Zeit damit rechnen, dass die Traditionsabbrüche im Christentum weitergehen. Die Frage ist, ob es gelingt, für eine technisch-industrielle Kultur angemessene Buchstabierübungen des Glaubens zu entwickeln, die dem Selbstverständnis dieser Zeit entsprechen, so dass man nicht immer nur auf die Kontrastsymbole einer längst vergangenen agrarischen Zeit zurückgreifen muss. Man muss dann allerdings wohl den Preis dafür bezahlen, dass noch etliche Traditionen sterben werden.

Das Gespräch führte Cornelius Hell.

Der Religion im Heute auf der Spur

Hans-Joachim Höhn, 1957 geboren, hat Philosophie und Theologie in Frankfurt, Rom, Freiburg und Bonn studiert. Er ist seit 1991 Professor für Systematische Theologie und Religionsphilosophie an der Philosophischen Fakultät der Universität Köln. Zuvor war Höhn Referent für Weltanschauungsfragen im Bistum Limburg, ab 1989 lehrte er Christliche Gesellschaftslehre an der Universität Bonn.

Bei den diesjährigen Salzburger Hochschulwochen (29. Juli bis 4. August) referiert Höhn am 29. und 30. Juli in der Großen Aula der Universität Salzburg über "Ökonomie der Zeit - Ökologie der Zeit": Höhn will dabei eine "Ethik der Zeit" entwickeln. Es geht um die Frage, "wie in einer Epoche beschleunigter Veränderungen zukunftsorientiertes Handeln Maß und Ziel finden kann. Wie weit reicht der Blick in die Zukunft, wenn das Unabsehbare und Ungewisse als Folge der steten Modernisierungen ebenso wächst wie das Planbare?" (Zitat aus dem Programm).

Zuletzt sind von Hans-Joachim Höhn erschienen: "Zerstreuungen. Religion zwischen Sinnsuche und Erlebnismarkt" (1998) und "Ökologische Sozialethik. Grundlagen und Perspektiven" (2001).

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