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Weil oft von sozialer Kälte die Rede ist: Die Spitzen der Politik gehen heute, über Parteigrenzen hinweg, miteinander höchst amikal um, sie applizieren nicht nur rituelle Küsse, sie duzen einander auch. Seine Freunde kann man sich aussuchen. Die Leute, mit denen man per Du ist, nicht.

Dabei werden lang erprobte Stationen auf dem Weg zur totalen Verbrüderung (wie Freundschaft-Schließen, Bruderschaft-Trinken oder einfach das gesellige Bemühen um die Hebung des kollektiven Alkoholspiegels) zusehends umgangen. Ehe man auch nur ein persönliches Wort gewechselt hat, bekommt man schon das Du-Wort angetragen.

Die Hast, mit der das geschieht, verrät die Hoffnung, jene Herzlichkeit, die der neue Status eigentlich besiegeln sollte, durch ihn möglichst rasch herzustellen. Die wohltemperierte Distanz des Sie wird als bedrohlich empfunden. Da wirkt auch das amerikanische Vorbild: falsche Vertraulichkeit statt echter Vertrautheit. An der Sprache allein liegt das nicht - wie die Engländer beweisen.

Was einmal Auszeichnung war, unterliegt einem inflationären Gebrauch. Im sogenannten Kulturbetrieb führt das allgemein übliche Du zur Nivellierung aller Beziehungen, suggeriert aber zugleich, dass am Geruch der "Freunderlwirtschaft" etwas dran sein muss. In der beruflichen Sphäre profitiert vom Du-Sagen stets der Höhergestellte: Der Kordon der Höflichkeit schützt den Untergebenen vor verbalen Übergriffen.

Es gibt Angebote, die man nicht ablehnen kann. Wie jemandem das Du-Wort verweigern, ohne ihn zu beleidigen? Außerdem gerät die goldene Regel, dass die Initiative stets von "der Dame" bzw. vom Älteren auszugehen habe, immer mehr aus der Übung: Ältere Herren geben sich nun rundum gönnerhaft. Der "Tyrannei der Intimität" (Richard Sennett) entkommt man auch im kleinen nicht.

Die Autorin ist Germanistin und Literaturkritikerin in Wien.

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