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Im Lärm des politischen Gezänks um die Gesamtschule, die nun mundgerecht anders heißt, ihren Gegnern aber nach wie vor im Halse stecken bleibt, sollte man das Ziel jeglicher Schulreform nicht ganz aus den Augen verlieren: Wie sieht die Bildung aus, die man heute in der Schule vermitteln will?

Da herrscht im germanistischen Seminar auf die Frage nach Karl Kraus betretenes Schweigen, bis einer Studentin einfällt, dass der doch "diese kritische Zeitung" herausgegeben hat. Da überschreibt der Online-Standard einen Artikel über die Odyssee mit "Avigare necesse est, vivere non est necesse" und wird von einem Poster belehrt, dass "Navigation" mit "n" beginnt.

Ich behaupte: In meiner Maturaklasse (1982) hätten auch diejenigen die Frage nach Kraus beantworten können, die nicht Germanistik studieren wollten. Und: damals hätte ein Redakteur solch klassischen Fehltritt verhindert. Unkenrufe zum allgemeinen Niedergang der Allgemeinbildung sind uncool. Trotzdem: Wir lernen, was uns in der Schule als selbstverständlich vermittelt wurde, im so genannten Diskurs nicht mehr als selbstverständlich vorauszusetzen. Wir erinnern uns wiederum an so manchen Lehrer, so manche Lehrerin, deren Wissensvorsprung wir einst als uneinholbar bewundert haben. Ist die Bildungsausdünnung ein historisches Gesetz? Oder lernt man heute anderes?

Nicht der Mut zur Lücke ist die Crux, sondern dass es so etwas wie ein Bildungsideal überhaupt nicht mehr zu geben scheint. Dass man sich von Industrie und Wirtschaft vorschreiben lässt, was Maturanten können sollen. Dass man musische Fächer deshalb für entbehrlich hält. Warum reden wir über "PISA", anstatt über Grundsätzliches? Und wie kann eine Volkspartei ihr Desinteresse an der Debatte signalisieren, indem sie einen Beamtengewerkschafter dafür nominiert?

Die Autorin ist Literaturkritikerin und Germanistin in Wien.

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