Geschichte und Revisionismus

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Was bewegt ein Kollektiv dazu, sich von einem Volk der Unschuldslämmer rückblickend partout in ein Volk der Schurken verwandeln zu wollen? Vielleicht leuchtet vor der Folie pauschaler Verdammnis das Bild eigener Rechtschaffenheit umso stärker. Die Entrüstung über Otto Habsburgs Beharren auf der historisch unbestreitbaren - und dazumal auch unbestrittenen - Tatsache, dass Österreich das erste Opfer der Hitler'schen Aggression war, zeigt: Auch demokratische Diskurse basieren auf (wechselnden) Sprachregelungen und Tabus. Wer gegen den Strom schwimmt, bekommt eins auf die Nase, wobei man sich die Mühe der Differenzierung zwischen Diskutablem und Deplaciertem (die Heldenplatz-Jubler als bloße Schaulustige) gar nicht mehr macht. Die historischen Tatsachen seien doch nun schon ein für allemal geklärt gewesen, hieß es - und dann das! Als könnte Geschichte je "ein für allemal" geklärt sein, als würde ihre Lesart nicht dynamisch auf die Interessenslage der Gegenwart reagieren. Als wäre Geschichte nicht per se revisionistisch.

So hat man in Deutschland den Gedenkmasochismus der Österreicher zum willkommenen Anlass genommen, den Makel der Annexion zu relativieren. In der FAZ verwies Reinhard Olt nicht nur auf anschlussfrohe Historiker wie das Parteimitglied Heinrich von Srbik und auf die Zustimmung der Bischöfe, sondern auch auf den "Umstand, dass bei der Volksabstimmung am 10. April 1938 99,75 der, Ostmärker' für die, Wiedervereinigung' stimmten". Wenn man weiß, was für eine Art Abstimmung das war (und der Wien-Korrespondent der FAZ weiß dies sicher), dann ist das unredlich. Davon, dass Schuschniggs für den 13. März angesetzte Befragung nach zeitgeschichtlichem Common Sense mit rund 70 Prozent für Österreich ausgegangen wäre (weshalb Hitler ja den Einmarsch befahl), steht hier kein Wort.

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