Nihilismus und Heuchelei

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Unlängst sind die überaus ambitionierten Romane zweier deutschsprachiger Autorinnen erschienen: "Alle Tage" von Terézia Mora und "Spieltrieb" von Juli Zeh. In beiden Büchern stehen Figuren mit einem stark unterkühlten Gefühlshaushalt im Mittelpunkt. Während die Gleichgültigkeit bei Mora als Defekt des Helden erscheint, wird sie von Zehs Protagonisten zum Programm einer postnihilistischen Amoral erhoben: Übrig bleibt der Mensch als Spieler.

Will man aus diesem Zusammentreffen schon ableiten, dass die Grundfragen von Dostojewskis "Schuld und Sühne" heute fröhliche Urständ feiern, dann drängt sich ein Blick auf unsere Medienwirklichkeit auf, die, "übermoralisiert" bis zur Unerträglichkeit, den Widerspruch der Kunst geradezu herausfordert. Eine Naturkatastrophe von Jahrhundertausmaßen löst im fernen Europa wahrlich luxuriöse Fragen aus: Zeigen unsere Politiker Betroffenheit 1. genügend und 2. glaubwürdig? Passt eine Polka besser dazu als ein Marsch? Dürfen wir so weiterleben und -feiern, als wären keine Europäer unter den Opfern? Oder als ginge es bloß um Verkehrstote? Was machen wir jetzt mit dem Staatsvertrag?

In ihrem selektiven Emotionalisierungsappell erzieht die mediale Öffentlichkeit ihre politischen Repräsentanten zu den Geschöpfen, die sie verdient. Es geht ihr nicht mehr darum, ob sie tüchtig sind, nicht einmal darum, ob sie betroffen sind, sondern darum, ob sie "Betroffenheit vermitteln". So bringt man einen Hedonisten dazu, seine Urlaubssteherqualitäten nicht pragmatisch zu begründen (er ist nicht der zuständige Minister), sondern Märchen zu erfinden.

Nihilismus und Heuchelei sind eben keine Gegensätze. Ohne Überzeugungen kommt man leicht ins Trudeln. "Die Bücher, die von der Welt unmoralisch genannt werden, sind Bücher, die der Welt ihre eigene Schande zeigen", sagt Oscar Wilde.

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