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In Wien jeden Tag mit den Öffis unterwegs zu sein, ist nicht ohne. Schon die Anfangsschwierigkeiten: bis man das tierische Gebrüll in U-Bahn-Stationen als "Zug fährt ab!" identifiziert. Oder die vielen Straßenbahnfahrer/innen, die schnell wegfahren, wenn sie jemanden laufen sehen. Im letzten Jahr hat mir zweimal jemand die Tür aufgehalten, damit ich noch einsteigen konnte: ein Schwarzer und eine Ungarin. Ein "echter" Wiener schaut gern zu, wenn einem anderen die Bim davonfährt.

Doch die wirkliche Herausforderung kommt erst, wenn man drin ist: Irgendwo rotzt einer, irgendwo schmatzt oder knackt es, von irgendwoher kommt Kebab- oder Pizzageruch. Aber immer noch besser, als man sitzt neben einem hartnäckigen Deodorantverweigerer. Dass jede/r den Mund aufreißt, ohne sich die Hand vorzuhalten, dass Jugendliche ihre Schuhe auf den Sitz gegenüber stellen - daran hat sich der gelernte Wiener ohnehin schon gewöhnt. Oder dass man sich am Sonntagnachmittag nicht auf die Wartebank setzen kann, weil dort die Tschecheranten ihren Doppler hinunterkippen.

Wenn ich lese, sehe ich das alles nicht. Und halte mich für einen besseren, für einen kultivierten Menschen. Jedenfalls für tolerant. Aber lesen kann ich auch nicht mehr, denn bei der nächsten Haltestelle steigt einer dieser iPod-Idioten ein und dröhnt mir seinen akustischen Müll in die Ohren.

Ich denke natürlich, dass sich Toleranz gerade dort bewährt, wo verschiedene Alltagskulturen aufeinanderprallen. Aber wenn ich spüre, wie ich einmal aufräumen möchte mit allen, die stinken, spucken oder Krawall machen, dann weiß ich: der Faschist sitzt auch in mir. Und ich kann nicht garantieren, dass ich mich nicht auf einen iPod-Aggressor stürze und ihm seine Stöpsel aus den Ohren reiße.

cornelius.hell@furche.at

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