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Entmündigte Jugend?

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Das vergangene Jahrzehnt wird als Jahrzehnt der Jugend in die Geschichte eingehen können. Es stand ganz im Zeichen der Entdeckung der jungen Generation - der 17- bis 28jäh-rigen - als bedeutende Konsumentenschicht, als ausbaufähiges Wählerpotential. Die Jugend wurde von den gesellschaftlichen Gruppen hofiert und von der Wirtschaft als Markt der Zukunft erkannt. Der unbefangene Beobachter müßte auf Grund der Indizien meinen, daß dieser mündigen Generation - sie darf immerhin wählen und konsumieren - ein Stammplatz im öffentlichen Leben eingeräumt werde.

Doch der oberflächliche Blick täuscht Im politischen, wirtschaftlichen, religiösen wie kulturellen Leben spielt die Jugend eine untergeordnete Rolle. An den entscheidenden Schaltstellen in Politik, Kultur, Wirtschaft und Kirche dominieren die Angehörigen der älteren Generationen, die „Arrivierten“. Der Kampf junger Künstler um Anerkennung oder parteigebundener Jugendorganisationen um einen Platz an der Sonne - sprich: um Sitz und Stimme in den Parteigremien -sind Beispiele für diese paradoxe Situation. Es hat den Anschein, als bewerte unsere Gesellschaft die Mündigkeit der Jugend nur nach Nützlichkeitskriterien. Dort, wo die Mündigkeit für bestimmte Gruppen von Nutzen ist (Wahlen oder Konsum), wird sie anerkannt. Ansonsten ist es besser, den Jugendlichen stillschweigend zu „entmündigen“, was durch verschiedene Argumente, wie mangelnde Erfahrung, zu geringer Weitblick, verteidigt wird. Diese Haltung, die der Jugend Selbstbestimmung und Mitbestimmung in einer Gesellschaft, in der sie leben muß, zu entziehen versucht, macht es ihr aber unmöglich, sich in der Gesellschaft zu bewähren, ihre Ideen umzusetzen und ihre Kreativität zu beweisen.

Die Folge ist Resignation, Indifferenz, „soziale Apathie“ - oder Terror als Ausdruck des Hasses gegenüber einer Gesellschaft, die die Jugend nicht als Dialogpartner akzeptiert Eine selche Gesellschaft, die die jugendliche Herausforderung und das dadurch ausgelöste, oft schmerzliche Umdenken scheut, ist auf dem besten Weg zu einer erstarrten Gesellschaft weil sie der Indifferenz Vorschub leistet und jedes Engagement, jeden Idealismüs tötet

Kirchen und Parteien klagen nicht grundlos über das geringe Interesse und Engagement eines Großteils der Jugend. Vielleicht haben viele dieser Jugendlichen einmal leidvoll erfahren müssen, daß sich Engagement nicht mehr lohnt, daß ihre Ideen nicht ernst genommen werden, daß ihre Mündigkeit nicht gefragt ist. Vielleicht haben sie entdecken müssen, daß es für die persönliche Karriere förderlicher ist, keine eigene Meinung zu haben. Vielleicht ist ihnen bewußt geworden, daß sie zwar wählen und konsumieren können, das Vorurteil „Jugend“ aber jede Mitbestimmung verhindert und sie entmündigt - so lange zumindest, bis sie nicht mehr der jugendlichen Generation angehören.

Wie ist es aber bei uns Christen? Sind wir nicht auch oft versucht, die Jugend mit dem Hinweis auf mangelnde Erfahrung und ungenügende Sachkenntnis zu „entmündigen“? Im 1. Timotheusbrief finden wir die Mahnung an die Gemeinde des Timotheus: „Niemand soll dich deiner Jugend wegen geringachten.“ (1 Tim 4, 12.) Gerade die christlichen Gemeinden könnten hier mit gutem Beispiel vorangehen. Indem das ehrliche Gespräch zwischen den Generationen gesucht und die Jugend nicht beiseite gedrängt wird; indem das Miteinander betont und die Jugend als „Jugend“ akzeptiert und als Dialogpartner ernst genommen wird. Gerade die christlichen Gemeinden könnten jenen sozialen Freiheitsraum darstellen, der es den Jugendlichen ermöglicht, ihre Mündigkeit zu erfahren, deren sinnvollen Gebrauch einzuüben und für sich und ihre Umwelt zu beweisen. Die Erfahrung, daß Engagement sich lohnt, ist nur dort möglich, wo Mitverantwortung und Mitentscheidung als Ausdruck und Erprobung der Mündigkeit des Menschen praktiziert werden, wo Mündigkeit nicht abgewürgt, sondern durch das Verständnis, das Vertrauen und die Hilfe der Mitmenschen gestützt und gefördert wird.

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