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Mittelalterliches Panorama

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Allmählich beginnt sich die Einsicht durchzusetzen, daß nicht das Mittelalter selbst, sondern unser von jahrhundertealten Vorurteilen geprägtes Bild von diesem mit dem Adjektiv „finster" zu bezeichnen ist. Heinrich Fichtenau, bis 1983 Professdr für mittelalterliche Geschichte an der Wiener Universität, leistet mit seiner ausgewogenen und informativen Studie über das zehnte und frühe elfte Jahrhundert einen wertvollen Beitrag in der Revision dieses Zerrbildes.

Untersucht werden die Versuche jener Zeit, das Leben der Menschen „und vor allem die Beziehungen zur Umwelt einer strengen und dauernden Ordnung zu unterwerfen". Es handelt sich vorwiegend um Kultur-und Mentalitätsgeschichte eines Jahrhunderts, das manchmal als goldenes Zeitalter gelobt wurde.

Die Untersuchung beginnt mit Beispielen für das Ordnungsdenken und widmet ein weiteres Kapitel dem grundlegenden Ordnungsgefüge der Familie. Der Abschnitt „Nobilitas" behandelt die „Edlen" im weiteren Sinn, das Königtum, den Adel und den höheren Klerus. Das Gegenstück zu den Werten der Edlen bildet das Mönchtum, das sich als eigenständige Ordnung von der „Welt" distanziert. Die unteren sozialen Schichten und deren Volksglauben schildert der Abschnitt „Vulgus", die Phänomene der Unordnung - etwa das Entstehen der Ketzergruppen, Lüge, Betrug und unrechte Gewalt - das letzte Kapitel.

Fichtenau weist darauf hin, wie sich trotz aller Veränderungen in Leben, Handeln und Motivationen seit dem zehnten Jahrhundert „doch auch gewisse Konstanten finden". Was aber das Andersartige des Mittelalters betrifft, haben wir kein Recht mehr, auf dieses herabzusehen.

LEBENSORDNUNGENDES 10. JAHRHUNDERTS. Studien über Denkart und Existenz im einstigen Karolingerreich. Von Heinrich Fichtenau. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1992. 614 Seiten, öS 232,40.

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