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Stille — Nächte

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Die Stille ist das wahre Leben. Die Stille des Lebens, hicht die des Grabes. Nicht die eisige Stille tiefer Höhlen meine ich, auch nicht die Stille eines dunklen Waldes, wo Unheimliches sich begibt, Unergründliches sich beklemmend verbreitet. Das ist eine Stille, die beunruhigt.

Nein, ich meine die Stille, in welcher das einfache Leben vor sich geht.

Ich atme die Stille eines weiten Himmels,, mit all seinen. Wolken, seiner Bläue, seinen Vogelscharen. Dem ziehenden Mond oder der unter- gehemden Sonne. Mit dem flüsternden Wind, dem Schrei einer Krähe, dem Schlagen der Uhr vom Turm.

Die Stille meines Zimmers mit den Geräuschen von außen: das Weinen eines Kindes nebenan und das Bellen eines Hundes im Garten. Wasser rinnt vom Dach, es regnet stetig und leise. Mein Denken ist eingeschlossen und doch unbeschränkt Der Geist, im hastigen Tagwerk versandet, erhebt die Blätter seiner Gedanken, erfrischt von der Stille und stärkt sich neu darin. Er badet in der einfachen Stille wie mitten im salzigen Meer, welches kräftigt und belebt.

Ich liege, schließe die Augen und alles wird gut. Alles wird besser in der belebten Stille des Mysteriums. Ich denke in diese Stille hinein: alles ist so, wie Gott es wollte. Gott, sage ich dann, dein Wille geschehe. Ich fühle das Walten eines höheren Willens und ergebe mich ihm.

Und begreife, daß ich nicht anders kann, als so, wie ich es tue in allem Mühseligen und Herrlichen.

So bin ich ausgeliefert einem Schicksal, mit dem ich streite und das mich doch bezwingt. Lächelnd streng.

Nur die Stille sagt es mir: daß ich klein bin und doch groß, daß ich böse bin und doch gut.

Und die Stille der Nacht mit ihren Tränen zwingt mich doch wieder zu erkennen.

Macht der Stille ist Macht des Er- kennens. Und so werde ich demütig vor dem Leben, nehme das Geschick auf mich. Stille ist Trost. Trost für den, der den Lärm unnötiger Geräusche vieler Tage zu ertragen hatte.

Eine Oase der Stille ist der Rastplatz vor der neuerlichen Ausfahrt in den bewegten Strom.

Sie hüten das Geheimnis, die großen, weiten Nächte, die schweigenden, welche alles bedecken. Oft erwache ich durch dieses Schweigen, denn es spricht zu mir. Ich höre Stimmen, Seufzer, Töne und Melodien. Ich horche und glaube zu verstehen.

Die Geister sammeln sich und flüstern, sie dringen durch das Geheimnis zu mir, sie umdrängen mich, beschwören mich. Bis ich mich erhebe und sie sich an mich drängen, mich begleiten. Sie lassen mich nicht los, offenbaren mir die Geheimnisse, welche ich meinem Inneren un- erschlossen die Seele beunruhigen. Ich sinne in die Dunkelheit, die schweigende Wahrheit. Schmerzlich ist die Offenbarung. Alles Wahre dünkt mich schmerzlich. Diese Blume der Erkenntnis wächst nur im nächtlichen Dunkel, in ihrer schweigenden Macht.

Nacht, schlafendes Licht, offenes Geheimnis, ruhende Melodie. Wenn ich durch die Landschaft gehe welche, von ihr umhüllt, hingestreckt lagert unter der Dunkelheit des Himmels, ist mir, als ob ein leichter Wiederschein von ihr ausginge in das All. Hinauf in die nächtliche Düsternis der Unendlichkeit.

Ein sanftes, mildes Leuchten geht empor und ich fühle mich hinausgetragen in die Geheimnisse, die verschlossenen Wahrheiten, die schmerzlichen Tröstungen und in die unerträgliche unfaßbare Größe.

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