7134204-1997_40_06.jpg
Digital In Arbeit

Ein Knabe löst Katastrophen aus

19451960198020002020

Flugzeugabsturz über Sumatra. Wahrscheinliche Ursache: Enorme Rauchentwicklung durch Waldbrände, die ein Naturphänomen mit dem harmlosen Namen „El Nino” ausgelöst haben dürfte.

19451960198020002020

Flugzeugabsturz über Sumatra. Wahrscheinliche Ursache: Enorme Rauchentwicklung durch Waldbrände, die ein Naturphänomen mit dem harmlosen Namen „El Nino” ausgelöst haben dürfte.

Werbung
Werbung
Werbung

An der Chicago Board of Trade (Börse) steigen Kakao-, Kaffee-und Teepreise exorbitant. In Malaysien wurden wegen Waldbränden und folgender Baucheinwirkung Flughäfen geschlossen. Aus demselben Grund husten die Menschen in Malaysien, Indonesien und Singapur, wenn sie auf die Straße gehen. Peruanische Fischer werden mickrige Fänge einfahren. In Australien sagt ein staatliches Planungsinstitut einen Bückgang der nächsten Weizenernte um 17 Prozent voraus. Diese Phänomene und Vorhersagen haben einen Grund: „El Nino”.

Die Ekuadorianer nennen die etwa alle fünf Jahre auftretende Naturerscheinung der Erwärmung des Pazifischen Ozeans vor ihrer Küste „El Nino”. Das heißt „der Knabe”, und sie meinen, weil er üblicherweise um Weihnachten auftritt, das Jesuskind. Tritt El Nino nicht auf - also im Normalfall -, blasen die Passatwinde das Oberflächen wasser von Ost nach West.

Im Westpazifik sind sowohl Wasserspiegel wie Wassertemperatur höher als im Ostpazifik. Denn hier vor der südamerikanischen Küste sorgt kaltes Auftriebwasser und der antarktische Humboldt-Strom für relativ niedere Oberflächenwasser-Temperaturen. El Nino ist ein Phänomen einer positiven Rückkopplung aus Wind, Wassertemperatur und Meeresströmung. Was es einleitet, ist unbekannt. Heuer begann alles im März, einige Monate früher als sonst: Der Passat blies schwächer, die Wassertemperaturen im mittleren und im Ostpazifik stiegen signifikant und rasch. Sie ließen die Winde vollends zusammenfallen. Sehr schnell änderte sich das Wetter in der großen Pazifikregion: Trockenheit in den sonst regenreichen Tropen, Überschwemmungen in Wüsten- und Steppen-landschaften.

Klimatologen erwarten für heuer den zumindest zweitstärksten El Nino-Effekt in unserem Jahrhundert. Der bisher heftigste von 1982/83 hat wahrscheinlich 2.000 Menschen das Leben gekostet und einen Schaden von 100 Milliarden Schilling verursacht.

Das bis jetzt von der Temperaturabweichung betroffene Gebiet hat, wie Satellitenbilder zeigen, die Größe eines Kontinents. Manche Wissenschaftler behaupten, daß die Heftigkeit von El Nino durch den Menschen und sein Einwirken auf die Atmosphäre beeinflußt wird.

In einem El Nino-Jahr ist das Oberflächenwasser des Ozeans bis zu acht Grad wärmer als sonst. Die Fische in den sonst reichen Fischgründen sind rar, die Fischer gehen leer aus. In Ekuador und Peru regnet es zu Weihnachten stark. Die Atacama Wüste blüht. Heuer werden wegen der außergewöhnlich starken Abweichung extreme Wetteränderungen befürchtet. Schon hat El Nino mit Überschwemmungen in Bolivien die ersten Menschenleben gefordert. In Indonesien, auf den Philippinen, in Ostaustralien und in Südafrika ist es sehr trocken. Wahrscheinlich wird es zu außergewöhnlichen Dürren kommen. Die südafrikanische Regierung hat schon ein Komitee für Katastrophenmanagement eingesetzt. Die erwartete Trockenheit könnte die Getreideernte halbieren. Für Papua-Neuguinea wird eine Hungersnot befürchtet.

Die meisten Wissenschaftler sehen keinen Wettereinfluß des El Nino auf Europa. Aber für die Menschen rund um den Pazifik bringt ein starker El Nino Verluste, Leid und Hunger. Höhere Defizite und schlechtere Handelsbilanzen werden die Volkswirtschaften dieser Länder hart treffen.

Das feine Sensorium der Marktwirtschaft, namentlich die Börse, reagiert: „Futures” auf Kakao, Kaffee und Tee steigen. Wir haben Glück, denn wir werden für den Großen Braunen nur ein paar Schilling mehr zahlen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung