Vom Gerätemacher zur Ideenschmiede

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Der finnische Smartphone-Hersteller Nokia gibt den Kampf um den Handymarkt verloren. Er will nun im Internet der Dinge reussieren.

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Der finnische Smartphone-Hersteller Nokia gibt den Kampf um den Handymarkt verloren. Er will nun im Internet der Dinge reussieren.

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Kennen Sie noch das Nokia 3210? Oder das Kult-Spiel "Snake", bei dem man eine gefräßige, ungelenke Schlange füttern musste? Die Älteren werden sich erinnern. 2000 war Nokia der größte Handy-Hersteller. Die Kunden rissen sich um das neueste Nokia-Modell. Der Konzernumsatz machte zeitweise zehn Prozent des finnischen Bruttoinlandsproduktes aus. Auf seinem Höhepunkt 2007 hatte Nokia einen Marktanteil von 41 Prozent. Dann kam das iPhone von Apple. Und damit der Niedergang von Nokia. Die finnischen Entwickler verschliefen die Smartphone-Entwicklung. Im Sommer erwarb der US-Softwarehersteller Microsoft die Mobilfunksparte von Nokia für 7,2 Milliarden Dollar.

Der Kampf um den Smartphone-Markt ist also verloren. Doch die Strategen in Nokias Hauptquartier in Espoo unweit von Helsinki feilen schon an neuen Geschäftsideen. Konzernchef Rajeef Suri setzt auf das Internet der Dinge. Bis 2025 werden 50 Milliarden Geräte miteinander vernetzt sein und über das Internet kommunizieren: Fernseher, Kühlschränke, Autos. Nokia will sich in Zukunft vor allem als Ideenschmiede denn als Gerätehersteller etablieren. Nokia hält schätzungsweise 30.000 Patente in seinem Portfolio. Das geistige Eigentum ist das Kapital, auf dem Nokia gründet.

Die Patente wurden aus gutem Grund aus dem Microsoft-Deal ausgeklammert. Jahrelang stritten sich die Finnen mit Apple wegen der Verletzung von Urheberrechten. Am Ende einigte man sich auf eine millionenschwere Einmalzahlung. Ironie der Geschichte: Ausgerechnet das iPhone brachte Nokia wieder in die Gewinnzone. Die Patentund Lizenzsparte "Technologies" gilt als äußert profitabel, das Wachstum wird im Rechnungsjahr 2014 im zweistelligen Bereich liegen. Dank einer Steuergutschrift wies Nokia im dritten Quartal 2014 einen Nettogewinn von 747 Millionen Euro aus.

Der finnische Konzern ruht sich wiewohl nicht auf seinem Patentportfolio aus, sondern tüftelt in seinen Laboren an Zukunftstechnologien. Zum Beispiel an tragbaren Sensoren (e-Skin) oder an dem Werkstoff Graphen. Graphen, eine Modifikation von Kohlenstoff mit zweidimensionaler Struktur, ist das härteste Material der Welt (und sogar dünner als ein Atom) und im Modell Nokia Lumia verbaut. Im Rahmen eines Graphen-Forschungsprojekts erhielt Nokia eine Milliarde Euro Fördergeld von der EU.

So funktioniert kühler finnischer Pragmatismus: Wenn eine Entwicklung verpasst wurde, wird eben eine neue verfolgt. Nokia investierte kürzlich 100 Millionen Dollar in autonome Fahrzeuge. "Das unterstreicht unsere Überzeugung, dass vernetzte Autos ein beträchtliches Wachstumspotenzial darstellen", sagte Firmenboss Suri.

Selbsterfindung als Lösung

Selbstfahrende Autos könnten nach konservativer Schätzung bereits 2020 auf den Straßen unterwegs sein. Anders als Google will Nokia aber selber keine Autos bauen, sondern lediglich Kartenmaterial für die Navigation liefern. Nokias Kartendienst HERE arbeitet an der nächsten Generation digitaler Karten, den sogenannten HD-Maps. Autonome Fahrzeuge benötigen hochauflösende, zentimetergenaue Karten, die sekündlich mit Informationen über Staus, Sperrungen und Unfälle gespeist werden. Nokia hat im Stile Googles eine Flotte blauer Fahrzeuge ausgesandt, die mit einer auf dem Dach installierten Kamera jeden Straßenwinkel ausleuchten. "Pro Sekunde erfassen wir damit 700.000 3D-Datenpunkte und erstellen hochpräzise Aufnahmen der Umgebung", erklärt HERE-Sprecher Sebastian Kurme auf Anfrage.

Laut einem Bericht des Technikmagazins Wired hat HERE bereits zwei Millionen Kilometer in 30 Ländern auf 6 Kontinenten abgefahren - es ist, als würde man 50-mal um den Äquator kreisen. Nokia operiert auf Augenhöhe mit Konkurrent Google. Statt "Connecting People" lautet der Slogan künftig: "Connecting Devices". Jaakko Aspara ist Professor für strategisches Marketing an der Hanken School of Economics in Helsinki und hat die Entwicklung von Nokia in Studien untersucht: "Nokia ist ein Unternehmen, das in seiner Geschichte schon einige radikale Transformationen vollzogen hat. Zum Beispiel hat es in den frühen 1990er-Jahren sein TV- und Computergeschäft ausgegliedert, zuvor auch die Papier- und Radiergummiproduktion, um sich dann auf Mobiltelefone zu fokussieren. "Das Unternehmen hat eine Organisationskultur, um solche Umstrukturierungen zu bewerkstelligen", konstatiert Ökonom Aspara.

Der neue Dienstleister

Nokia hat sich verschlankt und ist zu einem Dienstleistungsunternehmen geworden. Gleichwohl verändert sich das Marktumfeld rasant - daran müssen sich die Finnen anpassen. Aspara sieht mehrere Herausforderungen für den Konzern. "In den Dienstleistungsbereichen, die das Unternehmen anbietet, müssen das Nutzererlebnis und die Service-Qualität sorgfältig verbessert werden, zum Beispiel bei den Navigationsanwendungen." Zum Ausruhen ist keine Zeit. Hier konkurriert Nokia mit Ericsson und dem chinesischen Hersteller Huawei. "Diese Wettbewerber sollten nicht unterschätzt werden", warnt Aspara.

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