Irrenhaus mitten im Land der Berge

19451960198020002020

Herbert Föttinger hat den mehrfach ausgezeichneten Shootingstar der neuen Dramatik Thomas Arzt ans Theater in der Josefstadt geholt. "Totes Gebirge" besticht durch feines Sprachtaktgefühl und scharfen Blick auf die österreichische Seele.

19451960198020002020

Herbert Föttinger hat den mehrfach ausgezeichneten Shootingstar der neuen Dramatik Thomas Arzt ans Theater in der Josefstadt geholt. "Totes Gebirge" besticht durch feines Sprachtaktgefühl und scharfen Blick auf die österreichische Seele.

Werbung
Werbung
Werbung

Das Aufführungsrepertoire der Josefstadt "moderner" und "ernster" zu gestalten, mit diesem Versprechen ist Herbert Föttinger in sein zehntes Direktionsjahr gestartet und hat es gleich zu Saisonbeginn mit einer bravourösen Aufführung von Gerhart Hauptmanns "Vor Sonnenuntergang" eingelöst. Mit der jüngsten Uraufführung beweist die Josefstadt erneut den Willen zur (system-)kritischen Reflexion und hat sich dafür Thomas Arzt ans Haus geholt. Der konnte bereits mit seinem Debütstück "Grillenparz" 2011 am Wiener Schauspielhaus, einer konzisen Studie über die krisengebeutelte Leistungsgesellschaft, bei Kritik und Publikum reüssieren. Sein Schreibtalent wird mit Dichterheroen der österreichischen Literatur wie Thomas Bernhard, Arthur Schnitzler und Ödön von Horváth verglichen.

Ein weites, erstarrtes Land

Auch sein neues Stück besticht wieder durch feines Sprachtaktgefühl und gewohnt scharfen Blick auf den gegenwärtigen Gesellschaftszustand. "Totes Gebirge" ist ein Befund über Österreich und die vielbeschworene österreichische Seele, die war bei Schnitzler noch ein weites Land und ist für Arzt zum karstigen Erosionsgebiet erstarrt.

Den Schauplatz der satirischen Bestandsaufnahme bildet -nicht weiter verwunderlich - eine Nervenheilanstalt, in matschigbrauner Farbe und Gummizellenoptik gehalten (Bühne: Miriam Busch). Das Panoramafenster im Hintergrund gibt einen weitläufigen Blick auf die Berggipfel des Hochplateaus frei. Dort hat sich Raimund Woising (Ulrich Reinthaller) einige Tage vorm Jahreswechsel selbst eingeliefert. Ein Zusammenbruch diagnostiziert die Anstaltsleiterin Theresia Mölbing (Susa Meyer) und macht sich sogleich auf Spurensuche über die Gründe der Störung. Dabei haben die schroffe Psychiaterin und ihr engagierter Pfleger Anton Priel während der Feiertage sowieso schon alle Hände voll zu tun mit den beiden Akutpatienten (großartig gespielt von Stefan Gorski und Roman Schmelzer). Der drogenabhängige Nepomuk Elm prognostiziert unablässig den Weltuntergang, während der umtriebige Emanuel Loser sich anschickt, die herbeigeeilte kleine Schwester des neuen Insassen Josefine Schönberg (Maria Köstlinger) zu bezirzen.

Komplexes Kopftheater

Mitten im Land der Berge liegt dieses beschauliche Irrenhaus, in dem sich große Söhne und Töchter versteckt haben. Denn während die Nachnamen der Protagonisten die Berggipfel des Toten Gebirges aufzählen, sind ihre Vornamen verschiedenen Persönlichkeiten aus der österreichischen Geschichte entliehen und verweisen selbst immer wieder auf weitere historische Kontexte. Auf die Enge des Biedermeiers und auf dessen schärfsten Kritiker Ferdinand Raimund, auf Johann Nestroys Kometenlied und auf Schuberts Liederzyklus Winterreise, auf Maria Theresia und ihren Sohn Joseph II, Arzt gestaltet mit dieser Vielzahl an Hinweisen ein Kopftheater, das komplexe Assoziationsketten freisetzt. Da gehen die dazwischen gestreuten Gstanzeln in dialektgefärbter Kunstsprache (Waundawaunsinnwiaraleachalschaß vafliegt) schon eingängiger ins Herz, kongenial von der Musikgruppe Franui vertont, inbrünstig vom Ensemble gesungen. Der nüchterne Stil des Bühnenarrangements von Regisseurin Stephanie Mohr erinnert mit seinen wie aus der Zeit gefallenen Figuren an Inszenierungen von Christoph Marthaler, auch der Umgang mit Musik, Dialog und Pausen lässt Parallelen erkennen. Bei der szenischen Umsetzung des handlungsarmen Stücks hapert es aber bisweilen, manche Dialoge wirken aufgesetzt und auch manch ein Kostüm will nicht recht mit der Figurenbeschreibung harmonieren. Warum trägt die toughe Karrierefrau Josefine Teenager-Kleidung und die überzeugte Wind- und Wetterradfahrerin Theresia immer einen Rock?

Schnitzlers Seelendrama "Das weite Land" beschrieb der Theaterkritiker Alfred Polgar einst als wohlorganisiertes Konzert der Würmer im Holz und auch dieses Stück lebt von der melodiösen Kraft einer Sprachpoesie, mit der auf geschickte Weise Gesellschaftskritik geübt wird. Prekariatspapperlatur, Sozialrisssystem und Ohnmachtssyndrom: Arzt ist Wortefinder und Worterfinder, der mit politischem Unterton ein präzises Spiegelbild gegenwärtiger Krisenzustände zu zeichnen versteht. Schade nur, dass diese Inszenierung nicht vehementer an der Wohlfühlzone eines gewöhnlichen Theaterunterhaltungsabends kratzt.

Totes Gebirge

Theater in der Josefstadt, 3., 6.13. Feb.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung