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Muß der Presserat sterben?

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Am 31. Jänner 1961 wurde der österreichische Presserat gegründet. Anläßlich der feierlichen Konstituierung sagte ich damals im Namen der österreichischen Journalisten, es handle sich hierbei um ein Experiment, das diese mit allen ihren Kräften fördern wollen, und ich knüpfte daran die folgende Prognose: „Ob das Experiment gelingen oder scheitern wird — beides wird enthüllend sein für den Stand der öffentlichen Moral in diesem Land.“

Möglicherweise ist nun der Zeitpunkt für eine solche Enthüllung gekommen. An jenem 31. Jänner 1961 hatte der Präsident des Herausgeberverbandes dem Presserat die volle Unterstützung seines Verbandes zugesichert. Am 22. Dezember 1961 wurde über die Austria Presse Agentur bekannt, daß der Herausgeberverband (entgegen den Statuten des Presserates, denn laut diesen sind die Ratsmitglieder keinen Weisungen unterworfen, sondern bloß ihrem Gewissen verpflichtet) seine Vertreter aus dem Presserat zurückzieht. Sauberkeit durch Selbstkontrolle

Die Begründung — „wegen des Verhaltens der Journalisten während der Kollektivvertragsverhandlungen“ — ist für die Öffentlichkeit uninteressant. Sie gleicht der Begründung des berühmten kleinen Buben, der da sagt: „Gschieht meinem Vätern schon recht, wenn ich mir die Händ gfrier, was kauft er mir keine Handschuh!“ Der Presserat erfüllt eine öffentliche Aufgabe. Er soll mittels demokratischer Selbstkontrolle dem österreichischen Volk saubere Zeitungen geben, das Übermaß an Kriminal- und Sexualberichterstattung beseitigen, den Staatsbürger vor dem Eindringen des Journalismus in seine Privat- und Familiensphäre schützen. Sich von dieser Aufgabe wegen belangloser und durch eine unterdessen erzielte kollektivvertragliche Einigung schon überholter Streitigkeiten einfach zurückzuziehen, wäre kindisch.

Ich sage: wäre. Denn ich hege die Hoffnung, daß sich der Sozialpartner eines Besseren besinnen wird. Die Journalisten mußten ihm lange zureden, ehe er die Idee des Presserates akzeptierte. Sie freuten sich sehr, daß die Zusammenarbeit der Sozialpartner im Presserat zugunsten der Öffentlichkeit sodann verblüffend gut funktionierte. 31 Fälle wurden vom Presserat in der kurzen Zeit seines Bestehens erledigt; nur in zwei Fällen waren die betroffenen Zeitungen oder Journalisten nicht bereit, sich der rein moralischen Autorität des Rates zu unterwerfen. Nun, da das neue Pressegesetz vor das Plenum des Nationalrates gelangt und die österreichische Presse um die verfassungsmäßige Verankerung ihrer öffentlichen Aufgabe kämpft, muß sie beweisen, daß sie einer solchen Deklaration des Verfassungsgebers würdig ist. Sie muß dies unter anderem dadurch beweisen, daß sie in ihrem eigenen Bereich für Sauberkeit sorgt.

Möglicherweise ließe sich durch entsprechende Anwendung der Statuten sowie durch verdoppelte Energie und Initiative der Presserat auch ohne Herausgebervertreter am Leben erhalten. Jedenfalls haben die Journalisten, wie sich nun gezeigt hat, an dieser Institution erheblich größeres Interesse als die Herausgeber.

Der Grund hierfür liegt in einem wenig beachteten Aspekt der Pressefreiheit. Diese wirkt nämlich nicht nur nach außen, gegenüber dem Staat, sondern auch nach innen, als Freiheit der Journalisten gegenüber den Herausgebern oder Eigentümern der Zeitungen. Jenes verderbliche Übermaß an Kriminal- und Sexualberichterstattung, jenes unanständige Eindringen in die intimste Privat- und Familiensphäre des Staatsbürgers geht regelhaft auf kommerzielle Wünsche der Herausgeber zurück, nicht etwa auf besondere moralische Verderbtheit der Journalisten. Und indem der Presserat für Sauberkeit sorgt, hilft er den Journalisten, sich gegen die kommerziellen Wünsche der Herausgeber zu wehren. (Mit dem Gebrauch des bestimmten Artikels sind nicht alle Journalisten und nicht alle Herausgeber gemeint; es gibt auch unanständige Journalisten, zum Glück in großer Minderzahl, es gibt auch anständige Herausgeber, zum Glück in großer Mehrzahl.)

Was heißt „unabhängig“?

Das hiermit skizzierte Problem gehört zu den wichtigsten der modernen Presse, wie sie auch in Österreich teils schon besteht, teils im Entstehen begriffen ist. Aus Anlaß dieser Entwicklung, die sowohl Todes- wie Geburtswehen in sich schließt, ist neuerdings eine für unsere Verhältnisse verblüffend rege Diskussion in Gang gekommen. Hierbei wurde wohl dem eigentlichen Merkmal der „unabhängigen“ Presse zuwenig Rechnung getragen. Dieses Merkmal besteht eben in jener inneren Pressefreiheit — der Freiheit des schreibenden Journalisten gegenüber dem herausgebenden Eigentümer. In dieser Hinsicht muß jede demokratische Zeitung, die diesen Namen verdient, eine unabhängige Zeitung sein. Es kommt hier nicht auf die Eigentumsverhältnisse an, sondern auf die Verfügungsgewalt. Die in Österreich übliche Unterscheidung zwischen „unabhängiger Zeitung“, das heißt Zeitung, die nicht im Eigentum einer politischen Partei ist, und „Parteizeitung“, das heißt Zeitung, die im Eigentum einer politischen Partei ist, scheint mir daher eher irreführend. Vernünftigerweise müßte eine „unabhängige Zeitung“, deren Redaktion in allem und jedem vom herausgebenden Eigentümer abhängig ist, eine „Parteizeitung“ genannt werden; und eine „Parteizeitung“, deren Redaktion von der herausgebenden Partei ein ausreichendes Maß von Unabhängigkeit zugebilligt erhält, müßte als „unabhängige Zeitung“ bezeichnet werden.

Zusammenarbeit der Sozialpartner

Allen demokratisch gesinnten Journalisten dieses Landes liegt die echte Unabhängigkeit der Presse — und damit der Presserat, der ihnen in dieser Richtung Hilfe leistet — auf besondere Weise am Herzen. Die österreichischen Journalisten sind nahezu ohne Ausnahme und erfreulicherweise einschließlich der Chefredakteure gewerkschaftlich organisiert. Der Begriff „Gewerkschaft“ ist untrennbar mit einem anderen Begriff verknüpft: dem der „materiellen Forderungen“. Die Journalistengewerkschaft war kürzlich gezwungen, einen — lückenlos erfolgreichen — Streik zu führen, um solche Forderungen durchzusetzen. Sie hat sich nicht gescheut, dies zu tun. Sie tat es im Bewußtsein, hiermit auch für bessere Zeitungen zu kämpfen.

Aber die Gewerkschaft der Journalisten ist auch, ja vor allem, eine Standesvertretung, die immaterielle Interessen wahrzunehmen hat: die Idee der Pressefreiheit, die Idee einer moralisch sauberen Presse. Und die österreichischen Journalisten sind bereit, mit dem gleichen Nachdruck, mit dem sie für ihre berechtigten materiellen Wünsche gekämpft haben, auch für diese Ideen zu kämpfen.

Ich halte die Stärkung der unabhängigen Presse — im obigen, wohlverstandenen Sinn — für eine wesentliche Aufgabe des Presserates. Und ich weiß sehr wohl, daß es nicht bloß auf Seiten der Journalisten, sondern auch auf Seiten der Herausgeber starke Kräfte gibt, denen diese echte Unabhängigkeit der österreichischen Presse am Herzen liegt. Sollte es gelingen, diese Kräfte durch die vom Herausgeberverband ausgelöste Situation des Presserates zur Besinnung und Sammlung zu bringen, so muß man diesem Verband dankbar sein, hierzu Anlaß gegeben zu haben. Denn ich bezweifle nicht, daß zu guter Letzt dies das Resultat sein wird: die Zusammenarbeit zwischen Journalisten und Herausgebern zugunsten einer sauberen und unabhängigen österreichischen Presse.

Vgl. Christian Broda: DU Freue Ist am Zu; (Forum, Jänner 1961): Jacques Hannak: Die Selbstvemichtung der Presse (Forum. Juni 1961); Friedrich Nowakowskl: Pressefreiheit '-als Wagnis, sowie Egger, Fahrensteiner, Molden, Portisch: Chefredakteure im Gegenangriff (Forum, Juli 1961): Oskar Pollak: Zeitung, Gesinnung und Geschäft (Zukunft, August 1961): Taucher, Leitner, Eisen-reich: Zur Anatomie der Presse (Forum, November 1961): Leonidas Martini,: Die Zukunft der Zeitung (Forum, Dezember 1961).

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