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Schwierige „Fleisch-werdung" des Wortes

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Ein österreichischer Exeget berichtet von seinen Erfahrungen über den Aufbau regionaler Bibelarbeit in Osteuropa.

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Ein österreichischer Exeget berichtet von seinen Erfahrungen über den Aufbau regionaler Bibelarbeit in Osteuropa.

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Das auf Pius Parsch zurückgehende und von Norbert Hös-linger gegründete Österreichische Katholische Bibelwerk (Klosterneuburg) pflegte - neben seiner bedeutsamen Mitarbeit in der theologischen Erwachsenenbildung nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil -schon während der Zeit des Kalten Krieges intensive Beziehungen zu den Diözesen der osteuropäischen Länder. Deshalb konnten sofort nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die Bemühungen verstärkt werden, beim Aufbau der jeweiligen regionalen Bibelarbeit behilflich zu sein. Schon ab 1990 wurden in österreichischen Bildungshäusern Seminare für Theologinnen aus Osteuropa abgehalten, um sie mit den in Mitteleuropa üblich gewordenen Methoden sowohl der Bibelwissenschaft als auch der Erwachsenenbildung vertraut zu machen. Diesen Seminaren folgten inzwischen insgesamt zwanzig weitere Multiplikatorenschulungen, die bereits von ungarischen, polnischen oder tschechischen Veranstaltern in ihren Ländern durchgeführt wurden.

In den letzten Jahren ging man dazu über, derartige Veranstaltungen direkt in den osteuropäischen Ländern zu organisieren. Das Bibel werk ist sich der damit verbundenen Schwierigkeiten wohl bewußt. Gilt es doch, nicht im Stil eines neuzeitlichen Missionars aufzutreten und unsere inhaltlichen und methodischen Errungenschaften als einzige, absolute Wahrheit zu oktroyieren. Darüber hinaus muß auch die sprachliche Hürde genommen werden, da die klassischen internationalen Sprachen wie Englisch, Französisch oder Deutsch bei weitem nicht von allen Zuhörern verstanden werden.

Mein erster Einsatz als Referent fand bei einem Bibelseminar für theologisch interessierte Laien, kirchliche Mitarbeiterinnen, in Zagreb statt. Ich war fasziniert vom Hunger nach zeitgemäßen exegetischen Vermittlungsmethoden, von der begeisterten Aktivität der Teilnehmer, die im Laufe der drei Tage ständig zunahm. Nachdenklich wurde ich allerdings bei einem Besuch einer lokalen religiösen Gruppe, die den Seminarteilnehmern ihre - recht fundamentalistisch anmutenden-Bibellesemethoden nahebrachte, und dabei auf ebenso große Aufnahmebereitschaft stieß, wie ich es zuvor selbst erlebt hatte. Das heißt, daß es offenbar noch ein längerer Weg sein wird, um zu eigenständigen Formen der Bibellektüre und -auslegung zu gelangen. Mir selbst wurde auf jeden Fall - wieder einmal! - klar, daß die historisch-kritische Methode und eine akademische (Schreibtisch-) Theologie allein bei weitem noch nicht der Weisheit letzter Schluß ist, daß es noch ungeheurer Anstrengungen bedarf, um das Wort Gottes heute „Fleisch" werden zu lassen.

Im vergangenen Frühjahr veranstaltete das Institut für Sozialwissen-, schaft und -politik „Dialog" in Varna am Schwarzen Meer ein dreitägiges Seminar für die moderne christliche Bibelwissenschaft. Eine Villacher Pfarre hatte dafür auch einen größeren finanziellen Beitrag zur Verfügung gestellt. Die zeitweise bis zu 50 Teilnehmer setzten sich aus allen Alters- und Bildungsschichten zusammen. Die beiden Dolmetscherinnen waren zwar professionell, theologisch aber völlig ungebildet. So mußte selbstredend auf jedes theologische Fachchinesisch verzichtet werden. Da Katholiken in Bulgarien zu den absoluten religiösen Minderheiten gehören, durften wir uns nicht wundern, zunächst für eine Sekte wie die Zeugen Jehovas oder die Scientology Church gehalten zu werden. Andererseits erweckte die bescheidene Selbstdarstellung eines Katholiken sofort überzogene Erwartungen: daß nämlich die römisch-katholische Kirche ein ideales Bollwerk gegen den Kommunismus, den Islam oder die modernen Jugendreligionen sein müsse. Wieweit die Teilnehmer am Ende tatsächlich Geschmack am Bibellesen gewonnen haben, ist schwer zu beurteilen.

Die bislang letzte Vortragsreise führte mich Ende Oktober nach Tallinn. Die Esten haben ein großes Selbstbewußtsein, dem nicht einmal die über fünfzigjährige „Okkupation" durch die Sowjetunion wirklich etwas anhaben konnte. 60 Prozent der Bevölkerung sind ohne jegliches religiöses Bekenntnis. Von den Getauften sind die meisten Protestanten, ein Viertel Orthodoxe, und die Katholiken zählen höchstens 3.000 Menschen. Gerade sie haben aber einen verhältnismäßig großen Zulauf, da insbesondere das weltumspannende Netzwerk der Diözesan- und Pfarrstrukturen fasziniert. Auch der Reiz des Neuen sowie der Anspruch einer vernünftigen Glaubensbegründung wird dabei wohl mitspielen.

Der Nuntius für die baltischen Staaten, ein spanischer Bischof, der dem Opus Dei angehört, unterstützt nach Kräften den Aufbau einer Katholischen Akademie, die sowohl an der Pädagogischen Universität als auch in der katholischen Pfarre wirksam ist. Natürlich konnten in drei Tagen keine umfassenden Bibeltheologien vermittelt werden, aber es scheint doch ein vielversprechender Anfang gewesen zu sein. Im Augenblick liegt es vor allem an fünf Klosterschwestern aus dem Brigittenorden, die „Stellung zu halten", bis das Land eigene, theologisch gebildete Seelsorgerinnen heranziehen kann.

Gegenüber den fundamentalen Problemen der kirchlichen Aufbauarbeit in den Ländern des ehemaligen Ostblocks erweisen sich die - gewiß sehr wichtigen - gegenwärtigen Diskussionen der österreichischen Kirche als marginal. Es gilt, die Chance des Augenblicks zu nützen, nicht, um der katholischen Kirche weitere Schäfchen zuzuführen, sondern um vielen Menschen auf der Suche nach zentralen Lebensideen behilflich zu sein. Denn wie „im Westen" die Ökonomisierung des Lebens ein Vakuum hinterlassen hat, so geschah dies auch durch die systematische Verdrängung der Religion durch den Staatsatheismus. Soll diese Leere nicht durch syn-kretistische Heilslehren ausgefüllt werden, bedarf es der gemeinsamen Anstrengung aller .gläubigen Christen, Zeugnis abzulegen vom heilbringenden Wort Gottes, der Bibel.

Der Autor ist

promovierter Bibelwissenschaftler und Professor an der Pädagogischen Akademie des Bundes in Wien.

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