Tokio - © Foto: iStock/visualspace

"Tokyo Fragmente": Aufnehmen, was an den Wegrändern blüht

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Leopold Federmair flaniert durch die japanische Hauptstadt und hat dabei das Unscheinbare und Alltägliche im Blick. Diese Erfahrungen und Wahrnehmungen versammelt er in seinen „Tokyo Fragmenten“.

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Leopold Federmair flaniert durch die japanische Hauptstadt und hat dabei das Unscheinbare und Alltägliche im Blick. Diese Erfahrungen und Wahrnehmungen versammelt er in seinen „Tokyo Fragmenten“.

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Kirschblüten, Sushi, Cosplay, ­Pilgerreisen und zwischen all dem der unermüdlich tätige, der Arbeit und der Karriere völlig ergebene Salaryman. Die Liste der Klischees ließe sich wohl beliebig fortsetzen. Denn Japan hat einen gewissen Reiz. Auffallend ist aber auch, dass dieses Land schon seit einigen Jahren in der deutschsprachigen Literatur besonders präsent ist.

Wolfgang Hermann hat etwa während seiner dortigen Tätigkeit als Lektor in seinem „Japanischen Fährtenbuch“ Streifzüge durch Tokyo dokumentiert. Auch Marion Poschmann siedelt die Handlung ihres Romans „Die Kieferninseln“, der 2017 auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises war, in Japan an. Und ­Margit Schreiner widmet der allseits bekannten ­japanischen Raumnot in ihrer jüngsten Prosaveröffentlichung „Kein Platz mehr“ ebenfalls ein sehr ausführliches Kapitel.

Viele deutschsprachige Autorinnen und Autoren arbeiten in Kooperation mit Universitäten lediglich ein paar Monate in Japan. Einige von ihnen wie beispielsweise Elisabeth Reichart haben sogar für einen längeren Zeitabschnitt ihren Wohnsitz dorthin verlegt. So auch der in Oberösterreich geborene Autor Leopold Federmair, der nach unterschiedlichen Auslandsaufenthalten – unter anderem in Mexiko oder Argentinien – schon seit einiger Zeit mit Frau und Tochter in Hiroshima lebt.

Sehnsucht nach der Großstadt

Der erste Teil seiner „Tokyo Fragmente“, an denen er „wenige Wochen nach dem Tsunami in Tohoku“ zu schreiben begonnen hat, hat bereits Eingang in eines seiner Bücher gefunden. Diese Notate verfolgen, wie es im Vorwort heißt, zunächst gar kein Ziel, außer dass er in der Provinz plötzlich Sehnsucht nach der Großstadt verspürt: „Im Verlauf [...] des Zeitbogens, den diese Aufenthalte zu bilden begannen, ergab sich dann aber doch ein bleibendes Ziel.“ Erst viel später kristallisiert sich für ihn „die Lust des Flanierens, am Durchstreifen der Stadt“ nach dem Vorbild André Bretons heraus.

Den hier versammelten acht Kapiteln, die er bereits „in zwei Online-Magazinen“ publiziert hat, stellt Federmair jeweils ein eigenes Foto voran. In einem Interview beschreibt Federmair den literarischen Impetus so: „In diesen Fragmenten erkunde ich mit einem gewissen Maß an Systematik, aber zugleich anarchisch, indem ich mich und die Sprache treiben lasse, die japanische Großstadt. Dabei interessieren mich kleine Alltagsszenen und Orte abseits der touristischen Pfade – obwohl ich auch diese nicht grundsätzlich verschmähe.“

Keine Geschichte also, obwohl es „einen roten Erzählfaden“, Ankerpunkte quasi aufgrund immer wieder aufgesuchter Orte wie etwa einer kleinen Bar gibt. Fiktion und reale Wahrnehmung verschränken sich im Treiben durch die Stadt, wie er sagt, und lenken den Blick, die Sinne auf das Nebensächliche, Unbedeutende, sodass die Aufzeichnungen auch ganz bewusst dem mündlichen Sprachgestus ähneln können. Federmair betont, dass er dieses flüchtig Festgehaltene später zwar noch redigiert und bearbeitet, jedoch kaum mehr etwas hinzugefügt hat.

Der Kunstgriff, bewusst Lücken und Ungesagtes in Kauf zu nehmen, unterstreicht für ihn zusätzlich das Torsohafte dieses Textes. Es könne immer noch etwas ergänzt werden, weil es übersehen worden ist. Denn: „Eine solche Großstadt läßt sich niemals erschöpfen (sie erschöpft allenfalls den Flaneur). Man kann nur seine Spuren darin ziehen und aufnehmen, was an den Wegrändern blüht.“

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