„Geschichten aus dem Wiener Wald“: Das Spiel um das Mensch-Sein
Die letzte Premiere vor dem Lockdown: Das Burgtheater zeigt, wie aktuell Ödön von Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ im Moment sind.
Die letzte Premiere vor dem Lockdown: Das Burgtheater zeigt, wie aktuell Ödön von Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ im Moment sind.
Ödön von Horváth hat „Geschichten aus dem Wiener Wald“ im Jahr 1931 verfasst, kurz vor der Machtübernahme der Nazis, das Stück aber ist zeitlos und aktueller denn je. Denn Horváth beschreibt eine Gesellschaft voller Opportunismus, Brutalität und Scheinheiligkeit, ohne Solidarität und Menschlichkeit. „Was macht einen Menschen überhaupt aus?“, lautet Horváths zentrale Frage, auf die sich Regisseur Johan Simons im Burgtheater konzentriert. „Sie sind kein Mensch!“, sagt der Rittmeister zum Zauberkönig. Und dieser: „Was soll ich denn schon sein, wenn ich kein Mensch bin, Sie?!“
Auf der Klangebene ist das Weinen eines Babys vom Gequieke eines Schweins nicht zu unterscheiden. Oskar, Fleischhauer und Bräutigam der Protagonistin Marianne, freut sich, wenn er die Sau abstechen kann. Die Sprache verrät ihn, der zwischen Frauen und Viechern keinen Unterschied macht. Mensch ist man nur dann, wenn der „Waren-Wert“ stimmt, so benennt es auch Alfred, Mariannes Geliebter: „Ich bin deiner Liebe nicht wert, ich kann dir keine Existenz bieten, ich bin überhaupt kein Mensch.“
Blick in die Abgründe
Simons hat aus Horváths glasklarer Gesellschaftsanalyse eine Studie heutiger Verhältnisse gemacht – wobei es bei genauer Lektüre nicht allzu viel braucht, denn Horváths Blick in die Abgründe ist erschütternd genug. Im offenen Bühnenbild (Johannes Schütz), das Häuserfassaden, Geschäftsauslagen und Vergnügungsetablissements andeutet, flanieren die Figuren bereits vor Beginn der Vorstellung, sie sind ständig auf der Bühne. Es scheint, als wären sie immer schon da gewesen, wie auch ihre Herzenskälte, ihre Verlogenheit und ihr Egoismus, verdeutlicht durch das Vergrößerungsglas des Mediums Theater.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!