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Der Rückzug des Bundeskanzlers und die künftige Medienpolitik auf dem wissenschaftlichen Prüfstand

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Nach Bundeskanzler Kreiskys ORF-Rückzieher stehen Fragen der Massenmedien und kommunikationstheoretische Probleme von Presse, Rundfunk und Fernsehen wieder obenan. Kommissionen beim Bundeskanzleramt und beim Justizministerium mühen sich zwar weiter ab (ohne Sicherheit, daß ihre Arbeit auch berücksichtigt wird); die Vorgänge liefern aber auch Stoff und Thema ungezählter Arbeitstagungen und Seminare.

Dieser Tage veranstaltete nun die „österreichische Gesellschaft für Politikwissenschaft“ eine Tagung unter Vorsitz ihres Präsidenten, Dozent Horner (Salzburg), die unter dem globalen Titel „Medienpolitik“ und somit auf der Höhe der Zeit stand. Mehrere Arbeitskreise waren bemüht, unter Assistenz ausländischer Medienfachleute und Kommunikationstheoretiker das riesige Problemangebot zu sichten, wenn möglich zu ordnen und Lösungsvorschläge anzubieten.

Was Wunder, daß nach und neben allerlei grundsätzlichen Betrachtungen unterschiedlicher politischer Brisanz und Gewichtigkeit die Diskussion alsbald um den ORF kreiste. Dieser erwies sich wieder einmal als treuer Themenlieferant auch politikwissenschaftlicher Arbeit. Freilich gerade zu jenem Zeitpunkt, da ungestüme Reformer (SPÖ), eifrige Bewahrer (ÖVP) und flexible Taktierer (FPÖ) im Begriffe sind, sich an einen Verhandlungstisch zu setzen, um den allseits erwarteten Ausrutscher der Bundesregierung auf dem heikelsten Gebiet staatlicher Medienpolitik zu verhindern; so besehen, können einige Arbeitsergebnisse durchaus als Grundlage dieser Parteiengespräche gewertet werden.

Nun fordert Generalintendant Bacher die Umwandlung des bestehenden De-facto-Monopols des ORF in ein De-jure-Monopol. Österreichs

Politikwissenschaftler überschritten da leichtfüßig alle Klippen, besprachen einige Denkmodelle und einigten sich in einer Schlußresolution auf Beibehaltung des geltenden Mittelweges. In einigen Jahren, bei Konkurrenzfähigkeit des Kabelfernsehens oder nach Realisierung der totalen Information via Satelliten, wird man wohl Stellung beziehen müssen — oder überrollt sein.

Auch die Änderung der Gesellschaftsform des ORF stand auf dem Prüfstand intellektueller Bemühungen: Hier pendelte sich die Diskussion auf den Vorschlag ein, die Gesellschaft mit beschränkter Haftung in eine Anstalt öffentlichen Rechtes umzuwandeln. Die Beispiele der Rundfunkanstalten in der Bundesrepublik Deutschland wirkten stimulierend. Aber die personelle Zusammensetzung der Aufsichtsgremien etwa, genauer wer, wo, warum und von wem in dieses kollektive Gremium mit Programmkompetenz entsandt werden soll, blieb ungeklärt. Hier tauchen die Schwierigkeiten auf, eine „meinungsplurale, demokratische Kraftfelder spiegelnde Plattform“ zu konstituieren; zumal derartiges gesetzlich fixiert werden soll und wohl muß.

Was den Fakiren ihr Nagelbrett, ist den Rundfunk- und Fernsehjournalisten die gesetzliche Auflage, „vollständig und objektiv“ zu berichten: unbequemes, ungeliebtes aber notwendiges Requisit der täglichen Arbeit. Daß man natürlich niemals vollständig und selten (oder gar nicht) objektiv berichten kann, ist eine kommunikationswissenschaftliche Binsenweisheit. Deren Folgen werden dennoch täglich mit Manipulation verwechselt und mit dem Vorwurf bedacht, einige Journalisten machten ungefragt Politik. Obwohl es keine Patentlösung gibt, könnten die ORF-Novellierer aber einige Überlegungen verwirklichen:

• Die Forderung nach Einführung einer (obligatorischen?) Journalistenausbildung ;

• den Vorschlag, Rundfunk- und Fernsehjournalisten innerhalb ihres Mediums nach einem genauen. Plan von Ressort zu Ressort rotieren zu lassen und

• das Modell der „Minderheitenberichte“. Damit sind feststehende Sendungen gemeint, die — über Serien des Zuschnittes „In'eigener Sache“ hinausgehend — informellen Gruppen, etwa Bürgerinitiativen, die Möglichkeit geben, mit ihren Sachanliegen einen Zugang zum Medium zu finden — ohne den Zwang, Probleme „skandalisieren“ zu müssen. Und das wäre, gekoppelt mit der geltenden ORF-Programmphilosophie, man müsse in den täglichen Nachrichtensendungen ein „Spiegelbild“ gesellschaftlicher Vorgänge liefern, ein durchaus gangbarer Weg.

Letztlich wagte man sich an einen großen Brocken: Statt Meinungsumfragen über einzelne Fernsehsendungen in Auftrag zu geben, möge der ORF Mittel zur Medien-wirkungsforschung bereitstellen. Verkürzt ausgedrückt: Statt rein quantitativer Feststellung von Einschaltziffern, solle lieber wissenschaftlich die Wirkung von Medien auf persönliche Einstellungen, soziales Verhalten oder gesellschaftliche Entwicklung erhoben werden.

Insgesamt Vorstellungen, die, wie etwa auch die Forderung, die äußere Unabhängigkeit des ORF verfassungsgesetzlich zu gewährleisten, einen Weg zu einer Rundfunkreform aufweisen, auf den Bundeskanzler Kreisky erst durch ein beachtliches Looping gelangte.

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