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Die Bakchantinnen
Es gibt wieder die seit Jahren zu einem wesentlichen Faktor des Wiener Kunstlebens gewordenen Aufführungen klassischer Dramen im Akademischen Gymnasium, Wien I. Daß die für alle Freunde, Kenner und Liebhaber schmerzliche Pause von drei Jahren eine schöpferische gewesen ist, bewies die Gestaltung und Darstellung des letzten Werkes von Euripides, die „Bak- chen“, welche, geschrieben um 408 vor Christi am Hofe des Königs Archelaos von Makedonien, nach dem Tod des Dichters von dessen Sohn in Athen aufgeführt und mit dem Siegerpreis ausgezeichnet wurde.
„Was für prächtige Stücke hat Euripides doch gemacht!“ sagt auch Goethe. „Für sein schönstes halte ich die ,Bakchen’.“ Unbeeinflußt durch dieses Urteil Goethes, dessen Interpretation diverse Möglichkeiten offenläßt, erkennen wir heute die untrüglichen Symptome eines Ur- kampfes der Grundkräfte Ratio und Irratio und erspüren das unwiderstehliche Wirken übermächtiger, dem Menschen unfaßbare Gewalten, denen Euripides mit seinen „Bakchantinnen“ ein ewig gültiges Denkmal gesetzt hat.
Dieses wohl schwierigste Drama der griechischen Klassik hat Professor Dr. Wolfgang Wolfring in einer schlechthin meisterhaften Inszenierung auf der von Prof. Diplomarchitekt Franz Hrdy interessant und formschön — wie immer! — geschaffenen, diesmal sehr großflächig angelegten Bühne durch Schüler der 6., 7. und 8. Klassen in dem ihm eigenen Stilprinzip realisiert: es ist der Rhythmus und die Dynamik der griechischen Sprache, in der ausgewählte Chorpartien rezitiert Werdern, welche Gestik und Bewegung im Raum bestimmen. Nur aus deren Synthese mit dem gesprochenen Wort können sich Formelemente bilden, die zum authentischen altgrie- chischen Tanz führen, und solches ist nur an humanistischen Bildungsanstalten möglich.
Die ehemalgie Schülerin Liliana Niesielska war die ideale Choreographin, die Bakchantinnen vorzügliche Jprecherinnen und Tänzerinnen voll Ausdruck, großartig Doris Dornetshuber als Agaue in ihrem Solo. Sehr gut in Sprache und Erscheinung Clemens Stradiot als Pentheus und Eduard Wegrostek, strahlend und sieghaft als Dionysos, in einer Person der Gott und sein Verkünder. Von dem ihm geweihten Kult und von seiner furchtbaren Rache an allem, das sich ihm widersetzt, berichtet der Bote (Thomas Meisl) — eine wahre Glanzleistung, die mit Grausen erfüllt.
Unwillkürlich denkt man an Goethe: Ist dieses Werk wirklich „das schönste“? Und wenn ja: Was war zu seiner Zeit „schön“, und was gilt heute als schön? Wie dem auch sei — dieses tiefste Tiefen des menschlichen Seins ausleuchtende Drama wurde in einer sehr eindrucksvollen Aufführung geboten und von einem überaus zahlreichen Publikum aufs herzlichste bedankt.
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