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Fragwürdige Regie

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Eine neue Phase in der Entwicklung der Regie scheint sich zu zeigen. Stücke gewaltsam politisch umzufunktionieren, findet kaum noch Anklang. Die Scheu vor Emotionen, vor Vertiefung und Verinnerlichung führt dazu, sich mit dem Gehalt einer Bühnendichtung gar nicht sonderlich zu befassen, sondern das Stück als Vorwand für irgendein Regiekonzept darzubieten. Dies war bei Barraults Inszenierung des „Bürgers als Edelmann“ im Burgtheater der Fall, es erweist sich neuerlich bei einer Premiere am gleichen Theater und bei einem Gastspiel im Theater an der Wien.

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Eine neue Phase in der Entwicklung der Regie scheint sich zu zeigen. Stücke gewaltsam politisch umzufunktionieren, findet kaum noch Anklang. Die Scheu vor Emotionen, vor Vertiefung und Verinnerlichung führt dazu, sich mit dem Gehalt einer Bühnendichtung gar nicht sonderlich zu befassen, sondern das Stück als Vorwand für irgendein Regiekonzept darzubieten. Dies war bei Barraults Inszenierung des „Bürgers als Edelmann“ im Burgtheater der Fall, es erweist sich neuerlich bei einer Premiere am gleichen Theater und bei einem Gastspiel im Theater an der Wien.

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Die Tragödie „Die Ba.kchen“ von Euripides bezeichnet Luca Ronconi, der Regisseur der Aufführung dieses Stücks im Burgtheater, als eine zwar sehr schöne, aber „tote Sache“. Das stimmt keineswegs. Da stehen zwei Lebemsemstellungen gegeneinander: Dionysische Gelöstheit, Freude, dyo-nisisoher Uberschwang, ja Orgiastik, Ekstase gegen Beherrschtheit, Gelassenheit, Vernunft. Das gibt es, gewandelt, wohl auch heute. Man denke an das Überschäumen der Gefühle bei Teilnehmern an Pop-Festivals, an die Sehnsucht nach Überwindung der Grenzen des Ichs bei den so sehr gefährdeten Rauschgiftsüchtigen. Dies als Protest gegen hypertrophen Rationalismus und überbordenden Materialismus unserer Zeit. In dieser Tragödie allerdings steigert sich die Lebensfreude in sinnlichem Rausch bis zur mystisch orgiastischen Vereinigung mit dem vermeintlich Göttlichen.

Nietzsche sagte, Euripides habe mit heroischer Kraft ein langes Leben hindurch dem Dionysos widerstanden, ihn aber am Ende glorifiziert. Dionysos, der Sohn des Zeus, zieht in Theben mit einer Schar schwärmerischer Frauen, den Bajcchen, zu nächtlichen Mysterien ins Gebirge, darunter Agaue, die Mutter des Königs Pentheus. Diesem Herrscher aber, Vertreter rationaler Ordnung, ist der neue orgiastische Kult ein Greuel, er bekämpft ihn. Doch Dionysos lockt seinen Gegner in die Berge, das Treiben zu beschauen, und ääßt ihn durch die mit Blindheit geschlagene Agaue zerfleischen. Gloriflzie-rujig des Dionysos? Er siegt, aber daß die Mutter, die, durch ihn veranlaßt, unwissentlich ihren Sohn tötet und nun, wie auch ihr Vater, verstoßen wird, damit warnt Euripides nun doch vor Dionysos und seinem Kult.

Ronconis Unvermögen, das Wesentliche dieser Tragödie zu erfassen,

bedingt eine Wiedergabe, über deren Unzulänglichkeit man nur staunen kann. Durch den Bühnenbildner Pier Luigi Pizzi ließ er nicht nur ein Renaissancebauwerk errichten — Begründung: Wiederentdeckung der Antike in der Renaissance —, sondern auch riesige Holzkonstruktionen, die sich drehen, sich rumpelnd, knarrend nach links, nach rechts, nach vorne, nach hinten verschieben. Dazu bei den Darstellern fast stets — entgegen der Situation — ein lähmend langsames Sprechen. Und das tolle Treiben der wüden Bacchantin-

nen (BaJcchen)? Sie bringen mitunter Holzsesseln mit, um sich niederzusetzen. Sebastian Fischer Ist ein steif-manirierter Pentheus. Judith Holzmeister bietet als Agaue die Rasanz grausigsten Erlebens. Das Plus der Aufführung: Norbert Kappen als Dionysos, dem man das antik Göttliche glaubt. Die im Burgtheater verwendete Übersetzung von Wolf-gang Schadewaldt hat den Vorteil, das allzu Gefällige der Wolzogen-schen Eindeutschung zu vermeiden.

Die Aufführungen der Berliner Schaubühne am Halleschen Ufer werden heute in der Bundesrepublik mehr beachtet als die des Schillertheaters. Der Millionärssohn Peter Stein, der die Mitglieder dieser Bühne obligatorisch in Marxismus schulen läßt, hat auch wieder mit seiner Inszenierung von Kleists ,.Der Prinz von Homburg“ besondere Aufmerksamkeit erregt. Als Gatsspiel im Theater an der Wien dargeboten, zeigte es sich, daß das Stück aber keineswegs politisch umfunktioniert wurde. Stein deutet nur am Anfang und am Schluß durch Texte irn Lautsprecher an, daß der Prinz eigentlich Kleist selbst ist, was längst von Literarhistorikern festgestellt wurde. Das Schauspiel wird zu Kleists Traum.

Stein verlagert das Stück völlig ins Optische, die seelischen Vorgänge sinken dagegen unter. Auf leerer, schwarz verhängter Bühne • - hiefür zeichnet Karl Ernst Herrmann — eröffnet sich nur gelegentlich im Hintergrund der Blick auf einen schmalen Streifen märkischen Lands. Die Figuren werden davor mitunter zu Silhouetten. Ansonsten hellen die Darsteller, zu lebenden skulpturalen Gruppen gestellt und einzeln zu Plastiken erstarrt, aus dem Dunkel der Bühne heraus. Es gibt Berichte, ins Publikum gesprochen, da vollführt

der Prinz pantomimische Bewegungen. Ein trefflicher Einfall: Spielt die Szene beim Prinzen, ist der Kurfürst, von dem sein Schicksal abhängt, schwach aufgehellt zu sehen, spielt sie beim Kurfürsten, sieht man im Dämmer den Prinzen. Die Trauer der Kurfürstin optisch durch einen über das Gesicht gebreiteten Schleier auszudrücken, wirkt abwegig.

Gesamteindruck: Das Künstliche, Kunstvolle beherrscht die Bühne. Es tritt eine Verfremdung des geistigen Gehalts zum Artistischen, Ästhetischen hin ein. Ergriffenheit gibt es

da nicht, Mensch und Schicksal bleiben einem trotz einiger Ausbrüche gleichgültig. Die Kostüme von Moidele Bichel lassen etwa an den Beginn des neunzehnten Jahrhunderts denken: Die Männer tragen lange Hosen. Es gibt aber auch Brustpanzer. Bruno Ganz „zeigt“ mehr die Rolle des Prinzen im Brechtschen Sinn als sie verinnerlicht darzustellen. Natalie erhält durch Jutta Lampe zeitweilig etwas Gänschenhaftes. Und der Kurfürst von Peter Lühr? Das ist eher ein klug überlegener Diplomat anno Freiheitskrieg.

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Wie führen Norweger Stücke des

Norwegers Ibsen auf? Im Akademietheater gab es ein Gastspiel des Nationaltheaters Oslo mit dem Schauspiel „Nora“. Doch schon der Versuch der Regisseurin Edith Roger, lediglich durch ein karges Bühnenbild von Guy Krohg — eine fleischrote, halbrunde Wand ohne Türen, mit einigen Möbeln davor — ins Zeitlose zu heben, erwies sich als abwegig. Ansonsten ein Zuviel, besonders im arg übersteigerten „vögelchenhaften“ Spiel von Ingrid Vardund als Nora. Vor eineinhalb Jahren sahen wir an dieser Bühne eine ungleich bessere Eigenproduktion dieses Stücks.

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