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Kompromiß mit dem Nichtstun?

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Es ist selten, daß man, wie jetzt, einen sö klaren Blick auf das Unvermögen der amerikanischen Demokratie werfen kann, mit den Existenzproblemen unserer Zeit fertig zu werden. Der derzeit tobende innenpolitische Streit um das neue Energiekonzept läßt jedoch einen anderen Schluß kaum zu.

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Es ist selten, daß man, wie jetzt, einen sö klaren Blick auf das Unvermögen der amerikanischen Demokratie werfen kann, mit den Existenzproblemen unserer Zeit fertig zu werden. Der derzeit tobende innenpolitische Streit um das neue Energiekonzept läßt jedoch einen anderen Schluß kaum zu.

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Es wind von niemandem bestritten, daß der Energiekrise schwer beizu- kommen ist; aber von ihrer Lösung hängt die Existenz der westlichen Industriestaaten und ihrer demokratischen Regierungsform ab. Es ist auch richtig, daß die USA dank einer sehr bedeutenden Eigenproduktion weniger abhängig von ausländischen Energieprodukten sind als die meisten westeuropäischen Staaten; sie können aber trotzdem ohne diese Importe nicht expandieren und ihre führende wirtschaftliche Rolle behaupten.

Präsident Ford hat daher dem Kongreß ein Energiekonzept unterbreitet, das einerseits den Konsum einschränkert, anderseits helfen soll, zusätzliche Energiequellen zu erschließen. Es gilt also, zwei Fliegen mit einem Schlag zu fangen. Dies soll in erster Linie durch eine Anhebung des Preisniveaus erzielt werden, indem die eingeführten Produkte mit einem höheren Zoll belegt werden und die heimische Produktion höher besteuert wird. Der Preismechanismus würde dann eine Verbrauchsdrosßelung herbeiführen, und dag hohe Preisniveau genügend

Anreiz zur Erschließung neuer Quellen bieten.

Die Regierung war sich im klaren, daß dieses Konzept höchst unpopulär ist. Es erhöht vor allem die schon vervierfachten Energiepreise und bedeutet eine Allgememverteuerung um etwa 3 Prozent, nachdem man gerade erst die ersten Anzeichen eines Sinkens des allgemeinen Preisniveaus infolge der Rezession und der Arbeitslosigkeit erkennen kann. Aber Wie immer man dazu auch stehen mag, es ist ein geschlossenes Konzept, das aus der schwierigen Situation der Energieengpässe und der politischen Abhängigkeit von den undurchsichtigen Kräften des Nähen Ostens herausweist. Überdies ist es ein Konzept, das auch eine Verstärkung der Verhandlungsposition vis ä vis den Ölproduzenten bedeutet, denn bisher hat es eigentlich keine Verhandlungen, sondern hur das Entgegennehmen von Oktrois gegeben, das manchmal mit lautem Protest, manchmal stillschweigend akzeptiert wurde. Die Aussicht auf eine verstärkte Energieproduktion im Westen muß für die Ölproduzenten eine Warnung bedeuten, die Dinge nicht auf die Spitze zu treiben. Anderseits könnte ein ölpreis, der zwar unter dem heutigen Niveau liegen würde, zur Erhaltung der Rentabilität der neuen westlichen Produktionen aber doch relativ hoch läge — man spricht von etwa 8 US- Dollar statt deren 11 —, für die Araber ein gesicherte« Einkommen bedeuten und sie vor möglichen eigenen Kurzschlußhandlungen schützen.

Diesem Sehr umstrittenen, aber geschlossenen Regierungskonzept der hohen Ölpreise und des Marktmechanismus setzten die Demokraten zunächst ein Konzept entgegen, das in der Geschichte noch immer versagt hat: Bewirtschaftung und Zuteilung. Ein Parteikonzept der Demokraten gibt es ja eigentlich überhaupt nicht, Weil man sich auf keines einigen kann, aber mehrere führende Demokraten haben sich für Rationierung des Verbrauchs und für Zuteilungen an Verbrauchergruppen bei künstlich niedrig gehaltenen Preisen (womöglich geregelten) ausgesprochen. Daß damit eine riesige Bürokratie geschaffen würde, die Korruption und Kurzschlüssen Tür und Tor öffnet, wird zugegeben, aber als kleineres Übel betrachtet. Als aber Präsident Ford die Demokraten darauf aufmerksam machte, daß Bewirtschaftung, Zuteilung und Bürokratie nicht bloß als vorübergehende Einrichtungen anzusehen wären, sondern daß sie bei einem Konzept billiger Energie zu einer Dauereinrichtung werden müßten, die ä la longue die Marktwirtschaft überhaupt zerstören würde, begannen Sich die Demokraten der Unpopularität dieses Konzepts gewärtig zu werden. Da ja dem Parlamentarier in erster Linde an seiner Wiederwahl gelegen ist, be gann man sich Zu überlegen, was denn eigentlich am populärsten wäre.

Und stehe da, plötzlich entdeckte man auch hier — was man in unseren Landen leider schon seit Generationen entdeckt hat —, daß das populärste, weil schmerzloseste Konzept das Nichtstun, das Weiterwursteln ist.

Plötzlich vernimmt man aus der sonst immer so reformfreudigen liberalen Presse die Frage; „Warum soll man sich denn eigentlich überhaupt einschränken? Wer hat denn eigentlich Fords Formel, daß man täglich eine Milliarde Barrels ölpro- dukte einsparen sollte, überprüft? Vielleicht könnte man, vor allem angesichts der Wirtschaftskrise, be- ‘ scheidenere Ziele setzen, deren Erreichung weniger schmerzt? Das würde jedenfalls weniger oder nichts kosten und dem Lande die Bewirtschaftung ersparen!“

Daß man nicht über seine Verhältnisse leben darf, wenn man nicht das Auslangen hat, wird dabei nicht ausgesprochen. Es wird auch nicht untersucht, wie die steigenden Zahlungsbilanzdefizite finanziert werden sollen — vielleicht durch eine weitere Doilarabwertung? — und wie man den wachsenden Energiebedarf der Zukunft Zu decken hofft.

Wenn man der Bevölkerung, die entschlossen zu sein schien, sich ln das Unvermeidbare zu fügen, sagt: „Du müßtest ja eigentlich gar keine Opfer bringen“, wird sie sich nicht von s&lbst zum Opferaltar drängen.

So droht das Positive, das in jeder Krise steckt, nämlich das Entwickeln neuer Energien, kreativer Ideen und eines Zusammengehörigkeitsgefühles, unter dem Schutt eines versagenden demokratischen Systems begraben zu werden. Aller Weit wird vordemonstriert, daß die demokratische Staatsform den Herausforderungen der Zeit nicht gewachsen ist — aber nicht deshalb, weil die Herausforderung zu groß ist, sondern weil die Vertreter der Demokratie versagen.

Noch ist die Entscheidung in den USA nicht gefallen. Aber wenn es wirklich gelingen sollte, einen Kompromiß im Nichtstun, im Wegdiskutieren der Notwendigkeit zur Entscheidung zu erreichen, dann ist auch das Endie der amerikanischen Demokratie nicht mehr weit. Die Probleme werden sich sicher nicht wegdiskutieren lassen und aus dem Marasmus der sich auftürmenden Probleme und des unvermeidbaren Chaos wird, wie immer in der Geschichte, der Ruf nach dem starken Mann erschallen.

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