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Die neue steirische Landesverfassung wird wichtige Impulse für die Demokratiereform setzen ■ und die „Einmischung“ der Wähler in ihre eigenen Angelegenheiten fördern.

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Die neue steirische Landesverfassung wird wichtige Impulse für die Demokratiereform setzen ■ und die „Einmischung“ der Wähler in ihre eigenen Angelegenheiten fördern.

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Seit Beginn der siebziger Jahre zeigt sich eine neue Dynamik in der Entwicklung des österreichischen Landesverfassungsrechts. Mit der Entdeckung ihrer „relativen Verfassungsautonomie“ haben die Bundesländer zunehmend Mut gefaßt, zumindest die beschränkte Gestaltungsfreiheit ihrer Grundordnungen im Rahmen des Bundes in Anspruch zu nehmen.

Dies bedeutet keineswegs, daß man vor der ökonomischen Krise in die Verfassungsdiskussion flüchtet. Gleichwohl stellen wir auf breiter Front — im wirtschaftlichen, juristischen, philosophischen Bereich — eine Rückbesin-

nung auf Ordnungsfragen fest, darunter eben auch ein neuerliches Nachdenken über die frie-dens- und partizipationsfördern-de Funktion einer Verfassung, über das Recht als Freiheits-, Si-cherheits- und Ordnuhgsstruktur in einem Gemeinwesen.

In der Steiermark gingen Impulse zur Demokratiereform insbesondere vom „Modell Steiermark“ — dem Ideenpool und der Planungsplattform der ÖVP — aus, in dessen Rahmen Parteiorgane, Experten und aktive Bürger in loser Form zusammenarbeiteten. Ihm entstammt letztlich auch die Arbeit der Expertengruppe Christian Brünner, Wolfgang Mantl, Dietmar Pauger und Reinhard Rack, die — auf der Grundlage eines „Amtsentwurfes“ — ein Reformmodell für die Landesverfassung ausarbeitete, das Ende 1983 der Öffentlichkeit präsentiert wurde und nun die Grundlage der Parteienverhandlungen darstellt.

Als Vorwegnahme bestimmter Kontrollintentionen — und über djie Landesgrenzen hinaus aner-karintePioniertat - ist die bereits erfolgte Einrichtung eines Steier-märkischen Landesrechnungsho^-fes (Landesverfassungsgesetz vom 29. Juni 1982) anzusehen, der als unabhängiges, weisungsungebundenes Organ der finanziellen Kontrolle installiert wurde und ausschließlich dem Landtag verantwortlich ist. Neben die traditionelle Kontrolle der Gebarung des Landes, der Stiftungen, Fonds und Anstalten und von Unternehmungen, an denen das Land mit mindestens 25 Prozent (!) des Stamm-, Grund- oder Eigenkapitals beteiligt ist, tritt die Gebarungskontrolle diverser physischer und juristischer Personen (etwa von Wohnbauträgern oder Gemeinden), die Landesvermö-

gen treuhändig verwalten oder Landesmittel erhalten.

Für alle Projekte des Landes mit Gesamtherstellungskosten von über zwei Promille des Lan-_ desbudgets (derzeit rund 40 Millionen Schilling) sind detaillierte Soll-Kosten- und Folgekosten-Berechnungen dem Landesrechnungshof vorzulegen, während der Projektabwicklung sind laufende Kontrollen vorzunehmen. Diese vorgängige und begleitende Kontrolle bedeutet einen besonders wichtigen Reformschritt. Um das Vergabewesen der öf f entlichen Hand transparenter zu machen, kann dem Landesrechnungshof zudem die Funktion einer Vergabekontrollkommission übertragen werden.

Schließlich kann er auch Akte der Gebarungskontrolle auf-

grund eines Auftrags von einem Drittel der Abgeordneten des Landtags (Minderheitsrecht) oder von 2wei Prozent der zum Landtag Wahlberechtigten.(Kon-trollinitiative) durchführen. Planungsfehler, „Kostenexplosionen“ und Korruptionsphänomene, die dem Image der Politik in den letzten Jahren Schaden zugefügt haben, sollen dadurch vermieden werden.

Der Verfassungsentwurf zielt auf Effizienz und Transparenz des politischen Geschehens. Es werden die politischen Parteien und die Landtagsklubs, öffentliche Enqueten und Anhörungen, Landesausschüsse als neuartiges Kooperationsorgan von Landtag, Regierung, Bürokratie und allenfalls weiteren Teilnehmern rechtlich verankert. Regierungserklä-

rungen, Rechenschaftsberichte und Informationspflichten der Landesregierung werden festge'-* schrieben. Eine Personalisierung ..des- Wahlrechts soll die Mitwir-, kung des Wählers bei der Bestellung seiner Repräsentanten verstärken. Die Bemühungen um politische Kontrolle werden mit dem Ausbau parlamentarischer Minderheitsrechte, der Verankerung von Planungsbestimmungen und Partizipationsrechten der Bürger fortgesetzt.

Diese letzte Stoßrichtung -Ausweitung der Mitbestimmungsrechte der Bürger - stellt das originellste Stück des Entwurfs dar. Es soll den gestiegenen „Einmischungsbedürfnissen“ der Wähler Rechnung tragen und dadurch die wachsende Politikver-

drossenheit abbauen helfen. Der Entwurf ergänzt deshalb die repräsentative Form der Mitwirkung der Bürger an der Gesetzgebung durch verschiedene, zum Teil auch neue direktdemokratische Instrumente zu maßvollen „Eintrittspreisen“ (Quoren). So rinden sich etwa Vorschläge zu folgenden Instrumenten: Begutachtung von Gesetzesvorschlägen und Verordnungsentwürfen auch in Gestalt der sogenannten „Bürgerbegutachtung“, Volksbegehren von mindestens zwei Prozent der Stimmberechtigten, Volksbegehren mit (bei entsprechender Unterstützung vorgeschriebener) nachfolgender Volksabstimmung, vom Landtag, aber auch von Landesbürgern und Gemeinden initiierbare Volksabstimmung, Initiativrecht der Landesbürger als eine Art „Verwaltungsbegehren“, Volksbefragung als Instrument der Meinungskundgabe der Bürger, Petitionsrecht mit Reaktionspflicht der Landesorgane, Auskunfts- und Beschwerderecht.

Die direktdemokratisch-parti-zipatorischen Instrumente kehren auf Gemeindeebene wieder. Volksbegehren (allenfalls mit nachfolgender Volksabstimmung), Volksabstimmung, Volksbefragung, Petitions-, Auskunfts- und Beschwerderecht. Ergänzt wird dieser Instrumentenkasten durch das in alter demokratischer Tradition stehende Institut der Gemeindeversammlung.

Die Regierbarkeit des Gesamtsystems und die Handlungsfähigkeit der obersten Organe sollen so erhöht werden. Dem dient die Verbesserung der politischen Infrastruktur, aber auch die Verlängerung der Funktionsperiode des Landtags auf sechs Jahre — als eine Art Balanceakt gegenüber den verstärkten direktdemokratischen Einflußnahmen innerhalb dieser Periode. Freilich gilt auch

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Sie stellt ein „Regelsystem“ dar, einen Konsens über grundlegende Verfahrensweisen und zentrale politische Institutionen eines Gemeinwesens. Was man darauf aufbaut und daraus macht, ist allemal eine Frage des Engagements, der Kooperationsbereitschaft, der politischen Kultur.

Das zu betonen, ist gerade jetzt keineswegs überflüssig. Die neue Landesverfassung verarbeitet Lehren der letzten Jahre und eröffnet Chancen, die heute politisch eingefordert werden. In den nächsten Jahren gilt es, diese Chancen in alltägliches politisches Kleingeld umzumünzen.

Der Autor ist Dozent am Institut für Soziologie der Grazer Universität.

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