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Nicht endlos für Kompromisse

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FURCHE: Angesichts der spontanen Straßenblockaden aufgebrachter Bauern kann einem gestandenen Bauernfunktionär doch nicht ganz wohl in seiner Haut sein.

ERWIN PRÖLL: Dabei muß man zwei Dinge auseinanderhalten. Das eine sind die echten Existenzsorgen, die die Bauern drük-ken — nicht nur auf dem Sektor des Weinbaus. Zum anderen sehen sich die Bauern mit einer Regierung konfrontiert, die der Sachpolitik keinen Raum läßt. Und sie stehen einem Landwirtschaftsminister gegenüber, der ihnen das Gefühl gibt, daß er nicht für sie, sondern gegen sie ist.

Das alles treibt die Bauern zu Verzweiflungstaten.

Natürlich ist es dem Bauernbund lieber, wenn sich alles auf der Ebene des Rechtsstaates abspielt. Denn gerade der Bauernbund ist für ein geordnetes Auftreten in der Öffentlichkeit bekannt.

FURCHE: Warum sind den Bauernfunktionären diesmal offensichtlich die Zügel entglitten?

PRÖLL: Der Bauernbund hat den Willen, Optimales für die Bauern am Verhandlungstisch herauszuholen. Das schließt die Bereitschaft zum Kompromiß mit ein. Das bedingt aber auch einen gewissen Spielraum des Verhandlungspartners, der Regierung.

Beim Weingesetz hat die Regierung keinerlei Kompromißbereitschaft gezeigt, der Bauernbund hingegen hält seinen Willen zum Kompromiß nach wie vor aufrecht. In einer solchen Situation kann es natürlich passieren, daß die Bauer nbundführung selbst unter Druck von der Basis her gerät.

FURCHE: Zweifellos haben die Bauern auch innerhalb der Sozialpartnerschaft an Gewicht verloren. Ist es da nicht gleich besser, diese Partnerschaft aufzukündigen?

PRÖLL: Diese Frage stellt man sich im bäuerlichen Bereich seit einigen Jahren und die Frage wird immer dringlicher.

Ich persönlich schätze das Instrument der Sozialpartnerschaft, allerdings darf sie nicht auf dem Rücken von bestimmten sozialen Gruppen ausgetragen werden. Die Kompromißbereitschaft der Bauern wurde am Verhandlungstisch zunehmend strapaziert.

Dazu kommt: wenn man es mit einem Landwirtschaftsminister zu tun hat, für den Parteipolitik in jedem Fall vor Sachpolitik geht, der den Bauern das Gefühl gibt, jetzt werden sie in den Fleischwolf geschickt, dann entlädt sich eines Tages der ganze Unmut.

FURCHE: Wie wichtig ist der Bauernbund eigentlich noch für die ÖVP, wo doch die Volkspartei heute ihre spektakulärsten Stimmengewinne eher in den traditionellen Industriegebieten erzielt?

PRÖLL: Das Vertrauen der Bauernschaft in die ÖVP als ihre politische Heimat ist nicht erschüttert. Ich glaube aber, daß wir unsere Strategie überdenken müssen, wenn wir dieses Vertrauen nicht verlieren wollen.

FURCHE: Konkret?

PRÖLL: Wir müssen unsere Strategie im Umgang mit der derzeitigen sozialistischen Bundesregierung überdenken. Kompromisse in agrarpolitischen Fragen um jeden Preis sind dann nicht mehr machbar, wenn die Existenz von vielen bäuerlichen Betrieben bedroht ist.

Es gibt eine Grenze, ab der Kompromißlosigkeit vorherrschen muß. Und die Sozialisten

haben die Bauern in den 16 Jahren ihrer Regierungstätigkeit mit aller Gewalt an diese Grenze herangetrieben.

FURCHE: Mehr als die Hälfte aller österreichischen Bauern sind sogenannte Nebenerwerbslandwirte. Die Arbeitsplatzknappheit außerhalb des Bauernhofes kann für sie wohl nicht ohne Auswirkungen bleiben.

PRÖLL: Der große Trugschluß der sozialistischen Agrarpolitik liegt darin, daß sie die Bauern als verläßliche Fußtruppe der ÖVP so klein wie möglich machen wül. Nur wird dabei übersehen, daß das gleichzeitig auch enorme Auswirkungen auf die Arbeitnehmerschaft insgesamt hat.

Jeder Bauer, der von seinem Hof vertrieben wird, sucht einen Arbeitsplatz außerhalb der Landwirtschaft und nimmt dort wieder einem nichtbäuerlichen Arbeitnehmer einen Arbeitsplatz weg.

Die Sozialisten sind nicht bereit, anzuerkennen, daß auch der Bauernhof ein Arbeitsplatz ist.

FURCHE: Aber auch der Arbeitsplatz Bauernhof wird — wie jener in der verstaatlichten Industrie — seit Jahren mit staatlichen Subventionen in Milliardenhöhe gefördert. *

PRÖLL: Die Bauern wollen keine Subventionen. Die Bauern wollen für ihr Produkt, das sie ehrlich produzieren, einen ehrlichen Preis.

Warum sind denn in den letzten Jahren Müliardensubventionen in der Landwirtschaft überhaupt notwendig geworden? Weü die letzte zukunftsorientierte Weichenstellung auf dem Agrar-markt vor 18 Jahren durch den damaligen Landwirtschaftsminister Karl Schleinzer erfolgt ist. Seither hat man den Agrarmarkt treiben lassen. Und wenn der Landwirtschaftsminister eingegriffen hat, dann in Form von Kontingentierungsmaßnahmen, das heißt, der Produktionsspielraum der Bauern wurde begrenzt oder beschnitten.

In den siebziger Jahren hat die Regierung geschlafen, anstatt den Bauern die Chance zu alternativen Produktionsmöglichkeiten wie Ölsaaten oder Biomasse zu eröffnen.

FURCHE: Die Chancen der Bauern, für ihre Anliegen in der Gesellschaft Unterstützung zu finden, sind aber heute, trotz aller Probleme, größer denn je, Stichwort „Grüne Bewegung“.

PRÖLL: Wir Bauernvertreter müssen der Gesellschaft klarmachen, daß sie ohne einen Mindeststand an Bauern nicht die Lebensqualität haben kann, die sie sich wünscht. Das reicht von qualitativ hochwertigen Nahrungsmitteln bis zu einer gepflegten Kulturlandschaft.

Und dann müssen wir der Gesellschaft sagen, daß diese Dienstleistung auch abgegolten werden muß. Entweder geschieht dies durch direkte Transferleistungen, durch ein Bauerngehalt sozusagen, oder — was ich für den vernünftigeren Weg halte—durch ein vernünftiges Entgelt für das, was der Bauer produziert.

Das „Gesundschrumpfen“ des Bauernstandes hat natürliche Grenzen, man denke nur an seine Funktion als Landschaftsgärtner. In manchen Gebieten Österreichs ist dieses Mindestmaß an bäuerlicher Bevölkerung bereits unterschritten. So betrachtet, ist das Uberleben der Bauern letztlich auch eine Uberlebensfrage für die Gesellschaft.

Erwin Pröll ist Landeshauptmann-Stellvertreter von Niederösterreich. Mit ihm sprach Tino Teller.

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