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Bauernpolitik in Österreich

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Die österreichische Bundeshauptstadt war am vergangenen Sonntag Schauplatz eines nicht alltäglichen Ereignisses. Fast 40.000 Bauern aus allen Teilen Niederösterreichs versammelten sich auf dem Wiener Heldenplatz zur Ponti-fikalfeldmesse und Festkundgebung und zogen dann im prächtigen Festzug über die Ringstraße. Sie alle trugen das Jubiläumsabzeichen ihrer großen politischen Organisation, des Niederösterreichischen Bauernbundes, dessen 50jährigen Bestand sie feierten. Tausende von ihnen waren schon kurz nach Mitternacht aus ihren Ortschaften mit Sonderzügen und Autobussen aufgebrochen, um rechtzeitig an Ort und Stelle zu sein. Niemand hatte sie gezwungen oder auch nur gedrängt. Sie kamen freiwillig und voll Begeisterung, obwohl eine schwere Arbeitswoche hinter ihnen lag und obwohl sie auch für die kommenden Werktage fürwahr keine Achtstundenarbeit erwarten dürften.

Die niederösterreichischen Bauern haben am vergangenen Sonntag flicht für die ' Durchsetzung bestimmter wirtschaftlicher Forderungen demonstriert, sondern in erster Linie und vor allen Dingen Zeugnis für ihren festen Willen zur weiteren einigen Zusammenarbeit im Bauernbund ablegen wollen. Damit soll freilich nicht gesagt sein, daß die Bauernschaft weder Wünsche noch Sorgen hätte. Gerade die gemeinsamen Schwierigkeiten bestärken sie in ihrer Einigkeit. Wenn daher auch beim Jubiläumsfesttag der Bauern kaum Forderungen hörbar wurden, so war doch deutlich die Entschlossenheit und Zuversicht zu spüren, die aus dem Wissen um die Macht der Einigkeit erwächst und berechtigte Forderungen durchzusetzen gewillt ist.

Die verschiedentlich vertretene Ansicht, daß der österreichische Bauer in den letzten Jahren zum politisch uninteressierten, rein auf wirtschaftliche Fragen eingestellten „Farmer“ geworden sei, wurde am 24. Juni gründlich widerlegt. Es ging nicht um wirtschaftliche Angelegenheiten an diesem Tag, und doch kamen Niederösterreichs Bauern zu Zehntausenden nach Wien. Und sie kommen in allen Bundesländern, wann immer der Bauernbund sie ruft.

Obwohl die Besonderheit der bäuerlichen Lebens- und Arbeitsweise der Bildung politischer Massenorganisationen keineswegs förderlich ißt, gibt es doch in Oesterreich kaum noch eine Bevölkerungsgruppe, die eine ähnlich starke und einheitliche politische Ausrichtung aufzuweisen hätte wie die Bauernschaft. Bei den Landwirtschaftskammerwahlen in allen Bundesländern entschied sich die bäuerliche Bevölkerung zu durchschnittlich neunzig Prozent für den Bauernbund der Oesterreichischen Volkspartei. Alle Bemühungen der politischen Gegner können daran nichts ändern. Man hat auch bei den letzten Nationalratswahlen umsonst mit der berechtigten Verärgerung der Bauernschaft über die Verschleppung der Milchpreisregelung politische Spekulationen angestellt. Der Einbruch ins Dorf ist auch diesmal nicht gelungen. Was der Marxismus bei der Arbeiterschaft an Boden verliert, ksnn er in den Landgemeinden nicht aufholen. Ein Prozent der sozialistischen Parteimitglieder stammt aus dem Bauernstand Das ist ein wahrhaft geringer Anteil, der wenig Aussicht hat. größer zu werden.

Vor der politischen Interesselosigkeit schützt die Bauern ihr lebendiges Wissen um das Geschick der Väter, auf deren Rücken Politik gemacht wurde, so lange sie selbst nicht bereit - waren, im politischen Leben mitzuwirken. Als um die Jahrhundertwende jährlich tausende Höfe unter den Hammer kamen und der Ruf nach Hilfe ungehört blieb, drängte die Not die Bauern zum politischen Zusammenschluß. Damals haben sie ihr Schicksal selbst in die Hand genommen und der Bauernpolitik in den gesetzgebenden Körperschaften Eingang verschafft. Doch selbst als der Bauernbund in allen Bundesländern Wurzeln geschlagen hatte und zu einer mächtigen Organisation herangewachsen war, hat er nie Bauernpolitik auf Kosten des Allgemeinwohles gemacht. Die österreichischen Bauern und ihre Vertreter haben auch in schwierigsten Situationen das Allgemeininteresse stets vor dem Standesinteresse berücksichtigt. Der Dank dafür blieb ihnen allerdings vielfach vorbehalten.

Durch ihre zahlenmäßige Stärke und ihre wirtschaftspolitische Bedeutung nahm die Bauernschaft Niederösterreichs im Rahmen des Oesterreichischen Bauernbundes stets eine besondere Stellung ein. Sie stand zur Bundeshauptstadt in unmittelbarer Beziehung und daraus erwuchs ihr manche verantwortungsvolle Aufgabe, während umgekehrt die Ausstrahlungen der Großstadt dem Bauernland nicht immer zum Vorteil gereichten. Doch wann immer die Heimat sie rief, waren' die niederösterreichischen Bauern auf ihrem Platze. Sie haben wiederholt entscheidend in die Geschicke des Staates eingegriffen und waren an der politischen Entwicklung der letzten Jahrzehnte maßgeblich beteiligt. Zahlreiche führende Persönlichkeiten, wie Reither und Dollfuß, sind aus den Reihen des Bauernbundes hervorgegangen, und als man im Jahre 1945 an den Wiederaufbau der befreiten Heimat schritt, lag eines der Zentren des neuen politischen Lebens im Bauernbundhaus in der Schenkenstraße. Noch unter Kanonendonner war ja der Bauernbund wiedererstanden, da man ihn zwar verbieten, aber nicht aus den Herzen seiner Träger hatte reißen können. Aus dem Bauernsohn und Bauernbunddirektor Figl wurde der Bundeskanzler, der Oesterreich der Freiheit entgegenführte und dessen Name unter dem Staatsvertrag steht, der unserer Heimat die völlige Unabhängigkeit wiedergab.

So besteht also in Oesterreich eine enge Wechselwirkung zwischen Bauernpolitik und Staatspolitik, die dem Staate sicherlich nicht zum Schaden gereicht.

In und mit der Oesterreichischen Volkspartei kommt der Bauernbund seinen staatspolitischen Verpflichtungen nach, in und mit dieser OeVP aber fordert er auch die Durchsetzung der berechtigten bäuerlichen Anliegen. Bauernpolitik muß ja auch und vor allem Agrarpolitik sein. Als solche hat sie in den vergangenen Jahrzehnten wichtige Aufgaben erfüllt. Schwierige Entscheidungen für Gegenwart und Zukunft stehen ihr noch bevor. In einer Zeit der schier unbegrenzten Industrialisierung, in der sich alle Welt mit der „Bauernfrage“ und der Gesunderhaltung der Landwirtschaft herumschlägt, ergeben sich naturgemäß auch für Oesterreich mit seinem vorwiegend gebirgigen Charakter schwerwiegende agrarpolitische Fragen, von deren Lösung das Schicksal tausender Existenzen abhängen kann. .

Man darf ohne Uebertreibung behaupten, daß wir uns gegenwärtig mitten in einer gewaltigen Agrarrevolution befinden, deren Auswirkungen vor allem auf die klein- und mittelbäuerlichen Betriebe einer ständigen und sorgfältigen Beobachtung bedürfen, um nicht heillosen Schaden anrichten zu können. Die Struktur des Dorfes erfährt eine um sich greifende Veränderung, der Anteil der nichtbäuerlichen Bevölkerung wird immer größer und die fehlenden Arbeitskräfte können nur durch die Maschine ersetzt werden. Das Tempo der Mechanisierung wird dadurch zwangsweise beschleunigt und bewirkt einen steigenden Kapitalbedarf der Landwirtschaft, der die agrarische Kreditpolitik vor ständig wachsende Aufgaben stellt. Gewaltige Summen werden auch für die Verarbeitung und Lagerung landwirtschaftlicher Produkte benötigt. Eine gefährlich überhandnehmende Verschuldung aber muß unbedingt verhindert werden.

Die ökonomische Anwendung landwirtschaftlicher Maschinen erfordert nicht nur Kapital, sondern größere, arrondierte Flächen und womöglich auch etwas größere Betriebe. Dieses Ziel soll durch die Betriebsaufstockung, das heißt durch den Erwerb freiwerdender Grundstücke erreicht werden. Dies erfordert ebenfalls entsprechendes Kapital. Darüber hinaus verlangt die Bauernschaft mit Recht die sozialpolitische Gleichstellung mit der übrigen Bevölkerung. Die Einführung der Kinderbeihilfe für die Selbständigen in der Land- und Forstwirtschaft bedeutet bereits einen mächtigen Schritt vorwärts auf diesem Weg. Auch die Frage der Altersvorsorge harrt dringend der baldigen Lösung.

Der österreichischen Bauernpolitik sind also auch für die nächste Zeit große und schwierige Aufgaben gestellt. Für deren Erfüllung bedarf es vor allem der Einigkeit und Zusammenarbeit innerhalb der Bauernschaft selbst, dazu bedarf es aber auch des Verständnisses der übrigen Bevölkerungskreise und ihrer Vertreter. Aber konnte die Bauernpolitik in so vielen Fällen verantwortungsbewußte Staatspolitik sein, warum sollte dann nicht auch die Staatspolitik im allgemeinen Interesse auch gesunde Bauernpolitik betreiben können?

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